Weg vom Öl

Hans-Jochen Luhmann im Gespräch mit Liane v. Billerbeck · 28.10.2011
18 Monate nach der Katastrophe auf der Bohrplattform Deepwater Horizon darf der Ölkonzern BP wieder im Golf von Mexiko bohren. Nach Einschätzung von Hans-Jochen Luhmann hat BP viel in die Sicherheit investiert - dennoch sollten weitere Ölquellen besser gar nicht erst angezapft werden.
Liane von Billerbeck: Der BP-Chef Dudley hat gerade gute Nachrichten verkündet: Der Gewinn des Konzerns stieg nämlich im vergangenen Quartal auf 5,14 Milliarden Dollar, beinahe das Dreifache des Vorjahresquartals. Geht also alles weiter wie vor der Ölkatastrophe? Darüber wollen wir jetzt mit Professor Hans-Jochen Luhmann sprechen. Er ist Experte für energiewirtschaftliche Fragen vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Schönen guten Morgen!

Hans-Jochen Luhmann: Schönen Guten Morgen, Frau von Billerbeck!

von Billerbeck: 18 Monate nach der Explosion auf der Deepwater Horizon darf BP wieder nach Öl bohren, wie kann das sein?

Luhmann: Man hat in den USA Konsequenzen hinsichtlich der Regulierung gezogen, und sofern BP diese Bedingungen erfüllt, und das tut sie, darf natürlich auch BP wieder bohren.

von Billerbeck: Nach offiziellen us-amerikanischen Untersuchungen aber trägt BP die Hauptschuld an der Umweltkatastrophe vom April 2010. Wenn der Konzern jetzt weitermachen darf, ist denn BP soviel besser geworden?

Luhmann: BP hat entsprechende Zusagen gemacht, die über die verpflichtenden Zusagen hinausgehen. Insofern hat BP die Bedingungen erfüllt und nach meiner persönlichen Einschätzung ist es auch so, dass ein Unternehmen, welches eine solche Katastrophe erlebt, natürlich den größten Anreiz hat, daraus selber zu lernen. Insofern halte ich das auch für glaubwürdig.

von Billerbeck: Welche Konsequenzen sind denn bei BP gezogen worden?

Luhmann: Man hat erheblich in die Sicherheit investiert. Ich möchte zunächst mal widersprechen, dass BP der Hauptschuldige ist, sondern mir scheint das Problem – und so haben es auch alle Kommissionen bestätigt –, es ist eine Schuld sämtlicher Beteiligter gewesen, also sowohl BP als Rahmenverantwortlicher wie auch derjenigen, die mitgewirkt haben, die Betreiber der Plattform, und diejenigen, die zementiert haben.

von Billerbeck: Also Halliburton und Transocean.

Luhmann: Genau. Und mir scheint – und so ist, glaube ich, die allgemeine Wahrnehmung, es ist gewesen ein Problem in der Kultur der Unternehmen in den USA. Und der Ansatz ist, diese Sicherheitskultur zu ändern, und das hat man mit großer Entschiedenheit in den USA gemacht. Und insofern ist es meines Erachtens, dass BP wieder bohren darf, nur ein Aspekt davon, von dem grundsätzlichen Wandel, der in den USA in Gang gesetzt worden ist.

von Billerbeck: Gucken wir uns doch mal an, wie die Lage im Golf von Mexiko heute ist. Wo ist denn das ausgelaufene Öl geblieben? Es wurde damals immer von 780 Millionen Liter Rohöl gesprochen, das ist ja eine horrende Menge – wo ist es?

Luhmann: Ja, darüber werden wir in unserem Gespräch keine abschließende Erkenntnis bekommen, sondern das ist in Grenzen strittig. Ein Großteil wird unter See geblieben sein, ein Teil wird verbrannt worden sein, ein Teil wird an die Oberfläche gekommen sein, ein Teil wird sich abgebaut haben. Wie nun ganz genau die Mengen sind, sowohl die absoluten Mengen wie die Verhältnisse, das hat man verhindert, es genau wissen zu wollen, und das ist natürlich auch kein Wunder, weil natürlich der Schaden, der geschätzte Schaden wesentlich davon bestimmt wird, wie diese Zahlen aussehen werden. Im Ergebnis hat man ein großes Forschungsprogramm mit Unterstützung von BP für eine halbe Milliarde Dollar auf die Schiene gesetzt, das wird 10 Jahre dauern. Parallel werden die rechtlichen Konflikte und Streitereien laufen über die Schäden, die zu entgelten sind. Das heißt, die Antwort auf diese Frage wird man vielleicht in 10 Jahren besser wissen.

von Billerbeck: Es ist ja damals schon – ich will da noch mal auf dieses Detail kommen – es ist ja damals schon nach relativ kurzer Zeit, nach wenigen Wochen und Monaten gesagt worden: Wir finden das Öl nicht mehr, das hat sich aufgelöst. Ist das glaubhaft, dass es im Ozean abgebaut wurde, also in so großen Mengen?

Luhmann: Es ist glaubhaft, dass es sich verteilt hat, und die …

von Billerbeck: Das ist ja was anderes!

Luhmann: … die Art und Weise, wie man verteiltes Öl hinterher detektieren will, ist natürlich das Suchen von Stecknadeln in einem Heuhaufen. Insofern finde ich den entscheidenden Vorgang, dass BP im Dezember letzten Jahres dann schließlich, die bis dahin sozusagen keine Aussagen gemacht hatten zu der Menge, dann hingegangen ist und die Mengenangaben der Regierung bestritten hat, und zwar über das Argument, dass in den Schätzungen, die den Regierungsangaben zugrunde lagen, dass da lauter Unsicherheiten drin seien. Also man sieht, dass diese Frage nicht eine jungfräulich wissenschaftliche Frage ist, sondern dass da massiv Interessen und Geldmengen drin stecken, und deswegen das mehr ein Kampf der Interessen als eine wissenschaftliche Debatte ist.

von Billerbeck: Also es geht darum, wir müssen jetzt also fragen: Wie stark ist die Öllobby, dass sie darauf Einfluss nehmen kann, dass wir erfahren, wie viel Öl da eigentlich ausgeflossen ist, wie viel Öl da verschwunden, wie viel Öl da sich aufgelöst hat, abgebaut wurde, das werden wir nicht erfahren, weil die Öllobby darauf Einfluss nimmt und die Schadenersatzsummen deckeln will?

Luhmann: Genau, so ist es, wobei das nicht ölspezifisch ist, sondern so ist es immer, wenn die Frage nach Fakten verbunden ist mit Konsequenzen für Entschädigungszahlungen. Dafür ist die Ölindustrie nicht spezifisch, sondern das gleiche Problem haben Sie bei anderen Chemieunternehmen, bei pharmazeutischen Fragen ganz genau so.

von Billerbeck: Hans-Jochen Luhmann ist mein Gesprächspartner, Experte für energiewirtschaftliche Fragen vom Wuppertal-Institut. Wir fragen nach den Folgen der Katastrophe auf der Ölbohrplattform Deepwater Horizon vor 18 Monaten. Welche Konsequenzen hat man in den USA nach dieser Katastrophe denn administrativ gezogen, was die Kontrollen beispielsweise betrifft?

Luhmann: Die entscheidende Konsequenz, die man gezogen hat, ist die Auflösung der damaligen Überwachungsbehörde, die für Mineralienschürfung insgesamt zuständig war, in inzwischen neuerdings drei unterschiedliche Einheiten. Der Sinn davon ist, einen offensichtlichen Interessenkonflikt zu lösen. Man kann in der Statistik genau erkennen, dass mit dem Übergang zur Bush-Regierung die Häufigkeit und die Mengen von Ölleckagen drastisch hochgegangen ist im Gegensatz zum Trend bis dahin, und entscheidend dafür wird gewesen sein, dass man eben die Überwachung in eine Behörde getan hat, die eben auch dafür verantwortlich war, die Lizenzgebühren der Ölindustrie einzusammeln, und der Erfolgsmaßstab dieser Behörde waren eben dann die Geldmengen. Entsprechend haben sie die Sicherheitsfragen vernachlässigt. Heute hat man das geändert, es gibt eine Behörde, die sammelt das Geld ein, es gibt eine Behörde, die ist für Sicherheitszustände hier, es gibt eine dritte Behörde, die für die Umweltfragen zuständig ist, und im Verhältnis – das will ich noch sagen – dieser beiden letzteren Behörden hat man dann einen Umwelt-Offizier eingesetzt, der in Streitfragen zwischen diesen beiden Behörden, also zwischen Sicherheits- und Umweltfragen, zu entscheiden hat.

von Billerbeck: Es liegt sicher auch daran, dass George Bush aus Texas, einem Öl-Bundesstaat, kam und Obama aus einem anderen. Wie weit kann sich denn Obama dem Einfluss der Ölkonzerne entziehen, auf die amerikanische Politik?

Luhmann: Also lassen Sie mich zunächst noch zu der bush’schen Strategie sagen, dass das keine spezifische Ölstrategie war, sondern in der Finanzwelt ist ja genau das gleiche gemacht worden. Sie können ja immer Scheinwachstum dadurch generieren, dass sie Grenzen gegen Raubbau wegschieben. Und das hat die Bush-Regierung eben nicht nur beim Öl, sondern auch bei Finanzen und sicherlich in weiteren Bereichen getan. Zu der Position der Obama-Administration ist mein Eindruck, dass sie sich weitgehend durchgesetzt hat gegen die Ölindustrie – oder ich weiß gar nicht, eigentlich sind ja alle Aussagen der Ölindustrie im Hinblick auf die Verbesserung der Unternehmenskultur positiv gewesen, und insofern müssen wir unterscheiden in dem Interessenkonflikt hinsichtlich der Bereinigung der Schäden durch die Vergangenheit und die Verbesserung der Kultur in Zukunft. Und es kann ja auch – und das zeigen die Zahlen – ja nicht im Interesse der Ölindustrie sein, dass in den USA in den letzten zehn Jahren die Unfallhäufigkeit so massiv gestiegen ist und in Europa zum Beispiel nicht. Das ist nicht im Interesse der Industrie.

von Billerbeck: Nun gibt es ja nicht bloß BP, die nach Öl bohren, sondern auch noch andere Konzerne, Shell beispielsweise. Und da las ich in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" vom Chef von Shell, Peter Voser, auch dieser Konzern, er sagt, mit entsprechender Technik sei beinahe alles machbar beim Bohren nach Öl in der Tiefsee. Sie haben am Anfang unseres Gesprächs gesagt, es ist sehr viel in Sicherheit und Technik investiert worden. Dennoch die Frage: Hat er recht?

Luhmann: Nur begrenzt, finde ich. Die entscheidende Frage ist doch die Folgen, dass die Ölindustrie in ein anderes Risikoprofil wechselt, indem sie entsprechende Entleerung der Leichtförderbahnquellen nun zum Beispiel in die Tiefsee geht, und das auch unter arktischen Bedingungen. Eine solche Industrie müsste, wie andere Industrien auch – ich erinnere an die Chemieindustrie, ich erinnere an die Kernenergie – einer Philosophie unterworfen werden, dass es einen größtmöglichen Unfall gibt. Und an der Stelle ist die Regulierung immer noch ambivalent. Man ist zwar dahin gegangen, das ist eine der Konsequenzen, dass die Unternehmen nun alle Worst-Case-Szenarios machen müssen und Notfallpläne, wie sie damit umgehen wollen, müssen sie zeigen. Aber das gab es zum Teil vorher auch schon: Zum Beispiel im Falle der Deepwater Horizon hatte BP in dem Genehmigungsantrag einen – im schlimmsten Fall – einen Ölaustritt angegeben, der um etwa einen Faktor drei höher liegt als der, der dann eintrat. Dennoch kriegten sie die Genehmigung. Also die offene Frage ist, wie mit solchen Plänen dann eigentlich in der Genehmigung umgegangen wird, das ist offen.

von Billerbeck: Wo liegt denn nun die Risikogrenze, ab der wir diese Technologie nicht mehr einsetzen, weil sie zu gefährlich ist?

Luhmann: Eine natürliche Grenze liegt dort, wo Taucher noch händisch etwas machen können, aber das liegt bei 300 Metern, und wir sind ja weit jenseits von 1.000 Metern, wir sind in Ägypten bei 2.000 Metern. Ein zweiter natürlicher Unterschied ist, ob man zum Beispiel im Golf von Mexico unter warmen Bedingungen, wo es natürliche Abbauprozesse gibt, weil die Mikroben dort gewöhnt sind an kleinere Leckagen aus dem Meeresboden – wenn man aber das gleiche macht in der eiskalten Arktis, wie dort die Abbauprozesse eigentlich laufen sollen im Falle, dass ein Worst Case da eintritt ist mir – und nicht nur mir – schleierhaft.

von Billerbeck: Welche Konsequenz müsste man denn ziehen? Weg vom Öl?

Luhmann: Das ist natürlich anzuraten, und da sind die Kulturen meines Wissens gespalten. Man nimmt weiterhin auch in Europa jede Quelle von Öl mit und tut so, als wenn es es wert sei, in solche Tiefen zu gehen, statt zu sagen: Nein, wenn wir ein Klimaproblem haben, müssen wir aus dem Fossilen raus, also müssen wir auch in Europa die Ersten sein, die Quellen fossiler Energieträger nicht öffnen.

von Billerbeck: Es gibt einen Vorschlag vom Energiekommissar Oettinger, bisher ein Vorschlag. Was meinen Sie, was wird am Ende davon übrig bleiben?

Luhmann: Das ist ein sehr vorsichtiger Vorschlag. Wir sind eben in Europa in einem Staatenbund, und nicht ein Bundesstaat wie die USA. Ich denke, das da, was er vorgeschlagen hat, wird wesentlich durchgehen. Aber es ist eben auch nicht so viel, es ist eben nur die Regulierung der Schäden für die Umwelt. Die zivilen Schäden, die ja in den USA die Hauptsache ausgemacht haben von dem 20-Milliarden-Fonds von BP, werden in Europa nicht zentral reguliert, sondern es wird den Einzelstaaten überlassen. Und auch hinsichtlich der Sicherheit ist das nur ein Rahmenwerk, denn die Hauptaufgabe bleibt den Einzelstaaten überlassen, und wir haben jetzt zum Beispiel in Malta, in Zypern erste Offshore-Bohrungen. Aber ich will niemand zu nahe treten, aber wie soll ein solcher Staat ein solcher kleiner Staat damit angemessen umgehen können, wenn er eine einzige Bohrung hat und es geht schief?

von Billerbeck: Das sagt und warnt Hans-Jochen Luhmann, Experte für energiewirtschaftliche Fragen beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Danke Ihnen für das Gespräch!

Luhmann: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Links auf dradio.de:
Umwelt und Verbraucher vom 15.9.2011: Schuldzuweisung im Fall "Deepwater Horizon" - USA legen Abschlussbericht zur Ölkatastrophe im Golf von Mexiko vor
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