Wasserwerfer-Prozess

"Wie Irre an ihren Joysticks rumgedreht"

Mit einem Großaufgebot hat die Polizei am damit begonnen, einen Teil des Schlossgartens abzusperren. Dort sollen in der Nacht zum Freitag die ersten von insgesamt 300 Bäumen gefällt werden. Mehrere tausend Demonstranten protestierten gegen die geplante Abholzung.
Wasserwerfer der Polizei gehen am 30. September 2010 in Stuttgart im Schlossgarten gegen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 vor. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Wolfgang Schorlau im Gespräch mit Dieter Kassel · 24.06.2014
Zwei Polizisten stehen wegen ihres Verhaltens während einer Demonstration gegen Stuttgart 21 vor Gericht. Der Nebenkläger Wolfgang Schorlau war bei der Aktion am 30. September dabei und findet den Prozess richtig.
Dieter Kassel: Vor dem Stuttgarter Landgericht beginnt heute der Prozess gegen zwei Einsatzabschnittsleiter der Polizei, im Mittelpunkt steht dabei der Einsatz von Wasserwerfern bei den Demonstrationen gegen das Projekt Stuttgart 21 am 30. September 2010. 130 Bahnhofsgegner wurden damals verletzt, viele von ihnen schwer, 34 Polizisten ebenfalls. Einer der Protestierenden Stuttgart-21-Gegner, Dietrich Wagner, wurde sogar so hart und ungünstig vom Strahl des Wasserwerfers getroffen, dass er fast sein ganzes Augenlicht verlor. Er tritt heute neben anderen auch als Nebenkläger auf.
Wolfgang Schorlau, einer der erfolgreichsten politischen Krimiautoren Deutschlands und einer der bekanntesten Gegner des Stuttgarter Bahnhofs- und Stadtumbauprojekts, war damals am 30. September auch dabei. Schönen guten Morgen, Herr Schorlau!
Wolfgang Schorlau: Schönen guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Wie sehen Sie jetzt diesen Prozess? Ist es gerecht, dass ab heute zwei einzelne Polizeibeamte wegen des 30. Septembers vor Gericht stehen?
"Wie die Jugendlichen geschrien haben"
Schorlau: Es ist gerecht, dass die Polizisten vor Gericht stehen, weil der Einsatz war völlig unverhältnismäßig. Ich kann immer noch nicht vergessen, dass die mit dem Wasserwerfer auf Jugendliche geschossen haben, die oben auf Bäume geklettert waren. Und ich erinnere mich noch daran, wie die geschrien haben, die waren drei Meter hoch und wenn die dort runtergefallen wären, hätte Schlimmstes passieren können.
Kassel: Aber gehören wirklich diese beiden Einsatzleiter vor Gericht?
Schorlau: Ja, es gibt Bilder, wie die sich benommen haben. Es gab Leute, die haben ihre Handys neben den Einsatzwagen gehalten und es gibt ganz schreckliche Bilder, wie die beiden Führer sozusagen wie Irre an ihren Joysticks da rumgedreht haben. Also, insofern gehören die tatsächlich dorthin, wo sie heute hinkommen. Aber was ich schlimm finde, ist, dass der Einsatzleiter, der diesen Einsatz kommandiert hat, dass der immer noch nicht vor Gericht steht. Der gehört eigentlich, der Mann, der das befohlen hat, gehört eigentlich an die Seite dieser beiden Polizisten.
Kassel: Sie waren, Sie haben – und Sie tun das bis heute, wir werden später darauf kommen, an diesem Tag ja auch demonstriert gegen Stuttgart 21. Fangen wir vielleicht mal am Morgen oder am frühen Nachmittag an, bevor es eskalierte, wie haben Sie die Stimmung damals erlebt?
Schorlau: Ja, ich bin eigentlich mehr zufällig in diese Geschichte reingezogen worden. Ich habe eine Figurenrecherche betrieben, ich wollte für eine Figur eines Schülers, suchte ich Material und hörte, dass Stuttgarter Schüler eine Demonstration angemeldet hatten. Und ich dachte, guckst du dir diese Demonstration an und dann fällt dir etwas zu der Figur ein. Und so war ich schon relativ früh bei einer Kundgebung von 2.000 Stuttgarter Schülern unter dem Motto "Bildung statt Prestigebahnhof", das war die Losung.
Und die Schüler hatten ihre Abschlusskundgebung im Park angemeldet. Und ich ging mit diesen dann in den Park und das war eigentlich am Anfang eher eine Partystimmung, also mit Musik, das war eine heitere, gelöste Stimmung. Und dann zogen urplötzlich Polizeiketten auf und dann begann eine Art von Eskalation, die ich eigentlich bis dahin nicht für möglich hielt.
"Schüler versuchten mit Polizisten zu diskutieren"
Kassel: Wie haben die Demonstranten, die Stuttgart-21-Gegner reagiert?
Schorlau: Ja, die Schüler … Ich erinnere mich noch, dass die Schüler auf die Polizisten losgingen, versuchten, mit denen zu diskutieren. Und es war erst eine … Die Partystimmung verflog dann, aber es war noch eine Situation, wo die Demonstranten versucht haben, mit den Polizisten zu reden. Das änderte sich dann natürlich alles, als dann zwei Wasserwerfer aufzogen. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet.
Kassel: Brach dann wirklich Panik aus oder war das eher ein stummes Entsetzen am Anfang?
Schorlau: Panik brach nicht aus, sondern man glaubte es nicht, so war es eher. Man glaubte, es war eine angemeldete Kundgebung, und es war schon klar, jetzt wird es irgendwie ernst, und dann gab es ja einzelne Gewaltszenen. Ich zum Beispiel habe eine Szene beobachtet, als Schüler einen Trupp von fünf Polizisten umringten, versuchten, mit denen zu reden. Und einer dieser Polizisten hat dann ansatzlos einem der Jugendlichen mit voller Kraft ins Gesicht geschlagen. Der kippte über und … Mit so einer Art von Gewalt ist man einfach üblicherweise nicht konfrontiert.
Geschwächter aber lebendiger Protest
Kassel: Das war damals, ist jetzt drei dreiviertel Jahre ungefähr. Sie sind heute natürlich immer noch Gegner des Protests. Hat sich viel geändert, damals hatte man das Gefühl, das Volk gegen Mappus, den damaligen Ministerpräsidenten, heute unter Kretschmann gehen die Proteste ja weiter, auch bei Ihnen. Ist aber die Stimmung eine völlig andere?
Schorlau: Ja, natürlich … Die Gegner, also wir haben die Volksabstimmung verloren, das ist ein ganz wesentlicher Einschnitt. Nichtsdestotrotz ziehen immer noch jeden Montag Tausende durch die Stadt und protestieren gegen dieses Projekt.
Kassel: Glauben Sie persönlich für sich, dass dieser Protest noch Sinn macht?
Schorlau: Ich habe Sie jetzt nicht verstanden.
Kassel: Glauben Sie persönlich für sich als Gegner, dass der Protest noch Sinn macht, heute?
Schorlau: Ja, der Protest ist … Ich halte ihn für notwendig. Schauen Sie, in Stuttgart wird im Grunde genommen etwas Ähnliches wiederholt, was in Berlin mit dem Flughafen gemacht wird. Ein sinnloses Projekt, was wahrscheinlich ebenso wenig funktionieren wird wie der Berliner Flughafen, wird gebaut. Aber diesmal nicht weit weg, sondern mitten in der Stadt und unterirdisch.
Und sehenden Auges machen dort alle mit. Und der Grund, warum dieser Wahnsinn eigentlich in Stuttgart passiert, ist, dass die Bahn sozusagen die oberirdischen Grundstücke verkaufen will. Im Grunde genommen – und das weiß auch jeder – geht es hier um Immobilienspekulation.
Kassel: Um Immobilien und um Geld, und es scheint genauso lange zu dauern möglicherweise wie BER, wenn Sie den Vergleich schon gemacht haben.
Schorlau: Ja.
Kassel: Der Autor Wolfgang Schorlau war das über den Protest gegen Stuttgart 21, jetzt aber vor allen Dingen auch über den vor knapp vier Jahren. Um den geht es nämlich heute beim Auftakt des Prozesses vor dem Stuttgarter Landgericht gegen zwei Einsatzleiter der Polizei vom 30. September 2010.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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