Was zu denken gibt

Von Reinhard Kreissl · 17.05.2007
Die Vorbereitungen auf das Gipfeltreffen der G8-Staaten Anfang Juni in Heiligendamm gehorchen einer bekannten Dramaturgie. Der Vergleich mit dem Theater liegt nahe. Die Herrschaft wird dargestellt, man gibt ein lebendes Bild ab von etwas, das keine klare Verkörperung besitzt.
Von den römischen Kaisern über die absolutistischen Fürsten bis hin zu den gewählten Vertretern der Gegenwart – das Muster ist das gleiche. Vor den Augen des Volkes zeigen sich die Repräsentanten der Herrschaft und demonstrieren ihre Macht durch weithin sichtbare Taten: Ob man im Zirkus Christen den Löwen zum Fraß vorwirft, öffentliche Hinrichtungen auf den Marktplätzen in Gegenwart des Fürsten veranstaltet oder vor den Fernsehkameras weltweit sichtbar zeigt, dass der demokratische Souverän noch jeden Gegner seiner Politik mit Wasserwerfern, Gummiknüppeln und Vorbeugehaft zur (Staats-)räson bringt – immer geht es um die Demonstration der eigenen Macht vor dem Publikum der Untertanen.

Gleichsam im Vorprogramm bringen Wolfgang Schäuble und die Sicherheitsbehörden die Zuschauer in Stimmung: Gegner des Gipfels werden zu knüppelschwingenden, marodierenden Horden stilisiert und mit allen Maßnahmen überzogen, die durch eine dehnbare sicherheitsgesetzliche Grundlage noch gedeckt scheinen. Da werden Razzien durchgeführt und ironisch wird von den Kritikern festgestellt, dass man wohl eine Reihe von Computerfestplatten verhaftet habe. Aus Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden werden Bedrohungsszenarien gewebt, die den Einsatz aller Mittel der wehrhaften Demokratie geboten erscheinen lassen. Noch sei nichts passiert, aber lieber im Vorfeld eingreifen, als im Nachhinein den Schadensfall beklagen.

Was zu denken gibt, ist die Entfesselung der Exekutive bei solchen Anlässen. Die martialische Aufrüstung des Versammlungsortes, die Hektik der Ermittlungen und Einschüchterungen im Vorfeld, all das scheint einer gut funktionierenden rechtsstaatlich verfassten Demokratie unwürdig. Erinnern wir uns: das moderne Recht entstand als Abwehrrecht der Bürger gegen den willkürlichen Zugriff der Mächtigen. Es zieht seine Legitimität aus den Schutzgarantien und Verfahren, die aus dem Untertan den Staatsbürger mit eigenen Rechtsansprüchen machen. Das moderne Recht legitimiert weniger den Bau von Stacheldrahtzäunen zum Schutz der Mächtigen, es soll die Zivilgesellschaft vor jenen schützen, die über die Mittel verfügen, ihre Ziele auch gegen einzelne und die Mehrheit durchzusetzen. Der Zaun um Heiligendamm ist ein politisches Symbol. Aber – sieht man ihn aus rechtsstaatlicher Perspektive: Sollte er eigentlich nicht eher jene schützen, die auf der Außenseite stehen? Ist nicht die Macht auf der Innenseite versammelt und betreffen die dort verkündeten Beschlüsse über globale Politik nicht jene, die davor demonstrieren und ihren Anliegen kollektiv Gehör verschaffen wollen?

Die Reduktion dieses Problems auf die Angst vor gewalttätigen Übergriffen ist eine ebenso geschickte, wie irreführende Strategie. Im Gegenlicht der medial inszenierten Bedrohung wirft der Protest der Gipfelgegner lange Schatten, die den Einsatz aller Mittel zu rechtfertigen scheinen. Aber was sind schon ein paar jugendliche Rabauken, bei denen sich moralische Erregung in erhöhte Testosteronproduktion umsetzt, im Vergleich zu Entscheidungen der Gipfelteilnehmer, deren Folgen möglicherweise das Leben der Weltbevölkerung nachhaltig beschädigen können? Wäre es da nicht besser, man nähme das eingezäunte Terrain um Heiligendamm als eine Schutzzone, in der jene, die eine neue Politik für die Welt entwerfen wollen, diese in ihren Folgen erst einmal am eigenen Leib erproben? Eine unrealistische Zuspitzung, gewiss, aber aus der Logik der politischen Macht und ihrer Wirkungen nicht unplausibel.

Diejenigen, die abgeschottet durch den Cordon Sanitaire und weit entfernt vom Ort der Verhandlungen ihren zornigen Protest zu artikulieren versuchen, wollen lediglich ein urdemokratisches Recht wahrnehmen, das Recht auf Versammlungsfreiheit. Sie wollen aber auch, dass aus dieser Versammlung heraus sich das entwickelt, was Hannah Arendt als politische Macht bezeichnet hat. Macht entsteht, im Gegensatz zu Gewalt, die auch aus den Gewehrläufen erwächst, durch das Zusammenhandeln der Vielen. Macht kann nie ein Einzelner haben, sie ist das Produkt kollektiven Handelns. Das aber macht sie in den Augen der Repräsentanten politischer Herrschaft zugleich auch immer zu einer bedrohlichen Erscheinung. Denn im Protest gegen den Gipfel artikuliert sich ein machtvolles Unbehagen nicht nur an der Form dieser Art von politischer Herrschaft, sondern auch an ihren Inhalten, Zielen und Methoden.

Wer dies als Politik der Straße disqualifiziert und darin nur eine zu verhindernde gefährliche Störung der Ordnung eines medial inszenierten Ereignisses wie dem Treffen der G8 sieht, der legt ein Politikverständnis an den Tag, das mit den Grundideen der Demokratie nur schwer in Einklang zu bringen ist.

Dr. Reinhard Kreissl, geboren 1952, ist Soziologe und Publizist. Studium in München, Promotion in Frankfurt/Main. Habilitation an der Universität Wuppertal. Kreissl hat u.a. an den Universitäten San Diego, Berkeley und Melbourne gearbeitet. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst und schrieb regelmäßig für das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung". Letzte Buchpublikation: "Die ewige Zweite. Warum die Macht den Frauen immer eine Nasenlänge voraus ist". Kreissl lebt in München und Wien.