Was können wir für die Artenvielfalt tun?

31.05.2008
Die Zahlen sind düster: Rund 16. 000 Arten auf unserem Globus sind akut vom Aussterben bedroht, die weltweite Naturzerstörung kostet jährlich rund zwei Billionen Euro – so das Ergebnis einer aktuelle Studie, die auf der UN-Artenschutzkonferenz in Bonn vorgestellt wurde. Bis gestern berieten dort 5000 Vertreter aus 191 Staaten, wie das weltweite Artensterben aufgehalten werden kann.
Einer der Teilnehmer war Prof. Dr. Joseph H. Reichholf; der Zoologe und Evolutionsbiologe gehört zu den bekanntesten deutschen Artenschutzexperten. Er gilt aber auch als Querdenker und Enfant terrible der Umwelt- und Naturschutzbewegung, weil er gut begründet liebgewordene Vorurteile und Denkfehler attackiert.

Nicht der Klimawandel sei Schuld am Artensterben:

"Die zentralen Probleme sind die industrielle Erzeugung von Futtermitteln und der Anbau von Pflanzen für Brennstoffe. Weltweit schrumpfen die Lebensräume durch die im großen Stil betriebene Landwirtschaft. So werden in Brasilien jeden Tag riesige Regenwaldflächen gerodet, um Soja oder Mais anzubauen, die als Tierfutter in die EU oder nach China exportiert werden. Der weltweite Viehbestand entspricht dem Zehnfachen der Menschen! Der Umweltschutz in den Schwellenländern wird unserer Massentierhaltung geopfert!"

Die Menschen drängten immer tiefer und rücksichtsloser in wertvolle Naturgebiete ein:

"Es gibt drei Bereiche: Erstens die Tropenwälder, Regenwälder, Savannen. Zweitens die Feuchtgebiete, die trockengelegt oder in Reisfelder umgewandelt werden. Und drittens die hochgradig bedrohten, kleinteiligen Überreste der Bergwälder. Die beiden ersten dienen der Massenproduktion für die Weltwirtschaft. Letztere werden von einer Bevölkerung genutzt, die in die höher gelegenen Wälder abwandern und die dortigen Arten bedrohen, z.B. die Berggorillas. Sie müssen in kältere Gebiete ausweichen, sterben an den Erkrankungen der Menschen."

Joseph H. Reichholf, der auch Naturschutz an der Ludwig-Maximilian-Universität lehrt, rät den Deutschen aber auch, in Sachen Artenschutz vor der eigenen Tür zu kehren: Durch die Überdüngung der Flächen und die Massentierhaltung seien auch hiesige Pflanzen und Tiere stark gefährdet.

"Mit der Stallviehhaltung wird mehr Gülle produziert, als die Bauern an Fläche zur Verfügung haben. Nehmen Sie als Beispiel Vechta, der Landkreis produziert mit seinem Viehbestand so viel Abwasser wie Berlin! Dabei leben da gerade mal 120 000 Menschen. Gereinigt werden aber nur die Abwässer der Bevölkerung, der große Rest stinkt zum Himmel."

Seine Forderung:

"Dass wir ein Land werden, dass nur so viel produziert, was unter den hiesigen Bedingungen auch gedeiht, dass aus anderen Ländern möglichst Endprodukte geliefert werden und nicht Rohstoffe. Dass wir also nicht Futterstoffe importieren, sondern Fleisch, was z.B. in Argentinien auf der Pampa wächst. Dann hätten auch die Schwellenländer weit mehr Vorteile."

Sein Appell in Verbindung mit der Artenschutzkonferenz:

"Meine Hoffnung ruhen auf den Kommunalpolitikern. Sie haben vor Ort das Sagen und können Entscheidungsprozesse herbeiführen und sagen, `Wir wollen in unserer Stadt diesen Freiraum für Natur schaffen. Das ist Politik, die direkt auf die Menschen bezogen ist."

Solange wir Deutschen unsere Hausaufgaben nicht im eigenen Land erledigten, sollten wir auch nicht "als Lehrmeister für die ganze Welt dastehen."

"Nach der UN-Biodiversitätskonferenz – Was können wir für die Artenvielfalt tun?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Prof. Dr. Joseph H. Reichholf. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800 – 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturhinweis:
Josef H. Reichholf: Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007
Josef H. Reichholf: Die Zukunft der Arten. Verlag C.H. Beck, München 2005