Was das Land zusammenhält

Von Jochen Spengler · 31.05.2012
Auch wenn einige zweifeln, die große Mehrheit der Briten hält an der Monarchie fest. Für sie gehört das Jahrhunderte alte System zum Kern des britischen Nationalbewusstseins. Vor allem die Queen, die in diesem Jahr sechzigjähriges Thronjubiläum feiert, erfreut sich bei ihren Untertanen großer Beliebtheit.
Ich muss gesehen werden, damit man mich für wahr hält. Getreu ihrem Motto spart die Queen auf ihrer Jubiläumstour kaum einen Landstrich Großbritanniens aus. Und wohin sie auch kommt, überall stößt sie auf tausende begeisterte Untertanen, die jubeln, singen und die blau-weiß-roten Fähnchen schwingen:

Frau: "Sie ist die Königin unseres Landes und ich bin stolz auf sie."

Mann: "Sie ist alles für das Vereinigte Königreich."
Frau: "Dass sie nach Leicester kommt, als Teil der Jubiläumstour, ist fantastisch."
Mann: "1000 Jahre Monarchie, da gibt es weltweit nichts Vergleichbares - und wir haben es."
86 Jahre alt und im 60. Jahr ihrer Regentschaft genießt Queen Elizabeth die Zweite den Höhepunkt ihrer Popularität. 54 Staaten bekennen sich zu ihr als Kopf des Commonwealth und in sechszehn davon ist sie auch Staatsoberhaupt, so in Australien, Kanada und Großbritannien.

"Sie ist zu einem nationalen Schatz geworden genau wie Queen Victoria ihre Ururgroßmutter. Sie hat einfach so lange durchgehalten und soviel Disziplin gezeigt - das muss man bewundern,"

sagt Karina Urbach, Historikerin an der Universität Cambridge und Autorin einer Queen-Victoria-Biographie. Der Journalist und Queen-Biograph Thomas Kielinger ergänzt:

"Die Stabilität der Nation zu vertreten und über dem Kommen und Gehen der Parteipolitik zu stehen - das hat sie so mustergültig dargestellt, diese Stabilität, heute mehr denn; wenn Sie schauen wie viele Institutionen um uns herum zusammenbrechen oder bröckeln: die Politiker, die Medien eh, die Banken."

Umfragen zufolge sind 80 Prozent der Briten für die Monarchie und selbst der nach Unabhängigkeit strebende Schottische Ministerpräsident Alex Salmond denkt gar nicht daran, mit England auch die Queen loswerden zu wollen.

Dabei gibt es im Zeitalter der Demokratien kaum logisch-rationale Begründungen für eine Erbmonarchie. Thomas Kielinger versucht sich dennoch an einer:

"Die Briten haben Monarchie in ihrem Gencode drin. Die Könige hat es schon gegeben vor der Eroberung der Normannen und seitdem 1.000 Jahre. Die Queen ist erst Nummer 40 in der Thronfolge seit der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer im Jahre 1066. Das ist so eine massive Stabilität, die auch schwache Herrscher überstehen wird. Ich schwör's ihnen."

Elizabeth die Zweite ist allerdings keine schwache Herrscherin, sondern ein Sinnbild für Wandel, und Würde, Disziplin und Kontinuität. Das deutete sich bereits an, als sie Prinzessin war. An ihrem 21. Geburtstag im April 1957 gab die junge Elizabeth in einer weltweiten Rundfunkansprache von Kapstadt aus ein bemerkenswertes Versprechen:

"Es gibt ein Motto, nach dem viele meiner Vorfahren gelebt haben, ein nobles Motto: 'Ich diene. Ich erkläre vor euch allen, dass mein ganzes Leben, ob es lang währt oder kurz, dem Dienst an Euch gewidmet sein soll und dem Dienst an unserer großen Familie des Empire, zu der wir alle gehören.'"

Ein Versprechen, ja ein Gelübde, an das sich Elizabeth Zeit ihres Lebens gebunden fühlt und dessen Einlösung schon fünf Jahre später, endgültig eingefordert wird. Vor 60 Jahren, am Morgen des 6. Februar 1952 meldet die BBC:

"König George der Sechste, ist friedlich im Schlaf verstorben. Der 56-Jährige litt unheilbar an Lungenkrebs. Seine Tochter Elizabeth hält sich mit ihrem Mann in Kenia auf. Prinz Philip informiert seine Frau erst einige Stunden verspätet vom Tod ihres Vaters. Das bedeutet: Von nun an ist Elizabeth Königin. Beide wissen: Die unbeschwerteste Zeit ihres gemeinsamen Lebens ist vorbei."

Ihr Enkel, Prinz William, heute der Zweite in der Thronfolge und 29 Jahre alt, kann nachvollziehen, was der plötzliche Wechsel vom privaten Glück auf den Thron für die 25jährige Elizabeth bedeutet hat:

"Was mich wirklich umhaut, wenn ich jetzt darauf zurückblicke, ist, dass es in jenem von Männern dominierten Zeitalter extrem beängstigend gewesen sein muss, in so eine Stellung zu kommen. Und das in diesem Alter - mir selbst fällt es immer noch schwer, die Dinge gebührend ernst zu nehmen, und eine solche Bürde und Verantwortung, muss für sie in dem Alter einfach unglaublich gewesen sein."

In einem seltenen BBC-Interview gesteht Elizabeth Jahre später:

"In gewisser Weise hatte ich keine Ausbildung, mein Vater starb viel zu jung. Ich musste sehr plötzlich übernehmen und so gut ich konnte, das Beste daraus machen, akzeptieren, dass es Dein Schicksal ist. Weil ich glaube, dass Kontinuität sehr wichtig ist. Es ist eine Lebensaufgabe. Die meisten Menschen haben einen Beruf und dann gehen sie nach Hause; hier gehen Job und Leben zusammen, man kann es nicht wirklich trennen."

Ihrer Lebensaufgabe widmet sich die Königin seit nunmehr sechs Jahrzehnten mit einem unerschütterlichen Pflichtgefühl. Bis zu 500 Termine nimmt sie jährlich wahr: Empfänge, Besichtigungen, Begegnungen. Ihre Nachkommen bewundern das Durchhaltevermögen der 86-Jährigen - etwa der Enkel der Queen, Prinz Harry:

"Die Art wie sie sich verhält, immer lächelt, einen Ort betritt und ihn belebt. Das sind Sachen, die sie in ihrem Alter nicht mehr tun sollte. Aber sie macht es einfach, nicht nur hier sondern in der ganzen Welt."

Mehr als 260 offizielle Auslandsreisen in 116 Staaten hat die Königin gemacht. Der Abgeordnete Sir Peter Tapsell berichtet gegenüber dem Unterhaus, er habe von einem Höfling wissen wollen, wie sie solche Strapazen überhaupt schultere? Die knappe Antwort lautete: "Indem sie während der Reisen auf Salat, Meeresfrüchte und Wassermelonen verzichtet.

Repräsentieren ja - regieren aber tun andere. Die Queen hat keine unmittelbare Macht, aber durchaus Einfluss. Und gerade darin liegt das Geheimnis ihres Erfolges, vermutet die Historikerin Karina Urbach:

"Diese Überparteilichkeit, dass man eben jemanden hat, der keine politischen Interessen verfolgt, das ist etwas, was die Briten an ihr schätzen. Und dann dieses lange Wissen."

Seit 60 Jahren trifft sie sich einmal pro Woche mit dem jeweiligen Premierminister zu vertraulichen Gesprächen und ihr Sohn Prinz Andrew meint, es gebe nur drei Leute im Staat, die wirklich Bescheid wüssten: der Finanzminister, der Premier und die Queen. Einer der bis heute zwölf Premierminister war John Major. Er hält die Begegnungen mit der Königin für sehr nützlich:

"Wo sonst kann man mit einem Menschen sprechen in der absoluten Gewissheit, dass es vollkommen unter vier Augen bleibt. Deswegen sind die Gespräche sehr frei und unverblümt und hilfreich. Und: Die Queen gibt es seit 60 Jahren. Ihr erster Premierminister war Winston Churchill. Es gibt sehr wenig, was sie noch nicht gesehen und nicht verstanden hätte. Und jeder, der nicht auf ihre Meinung hört oder ihren Rat einholt, verpasst eine Riesengelegenheit."

Historiker werden eines Tages aufdecken, wo und wie die Queen Einfluss genommen hat auf die Amtsgeschäfte ihrer Regierung. In der Öffentlichkeit darf sich die Monarchin selbst nicht politisch äußern. Bis auf ihre jährlichen Commonwealth- und Weihnachtsansprachen werden all ihre Reden von der Regierung verfasst. Was nicht bedeutet, dass sie nicht eigene Akzente hätte setzen können: so im letzten Jahr die Aussöhnung mit Irland und vor allem beim Ausbau des Commonwealth zu heute 54 Staaten:

"Das Commonwealth ist ihr größtes Verdienst. Das glaube ich schon, dass sie das geschafft hat. Diesen Prozess der Dekolonisation, der ja sehr schmerzhaft war, der viel Blut und viele Kriege gefordert hat, den hat sie versucht, erträglich zu machen. Die Königin hat als erste - eine 'weiße Häuptlingsfrau' sozusagen - die Beziehungen zu den Farbigen in Afrika gepflegt. Sie stand mit all diesen frühen unabhängigen Fürsten, mit Kenyatta, Cruma und wie sie alle hießen, auf bestem Fuße."

Nicht zu unterschätzen ist bei allem die Hilfe ihrer Familie, oder: der Firma, wie sich die Windsors selbst nennen:

"Während der Jahre als Ihre Königin war die Unterstützung durch meine Familie über die Generationen hinweg unermesslich. Prinz Philip ist, so glaube ich, bekannt dafür, dass er Komplimente aller Art ablehnt. Aber immer war er mir beständige Stütze und Ratgeber."

Philip liest ihre Reden gegen, er ist vermutlich der einzige, der ihr die Wahrheit sagt und er ist berühmt als Eisbrecher, indem er verkrampfte Begegnungen auflockert mit legendären und oft politisch nicht korrekten Scherzen.

Natürlich musste auch diese erfahrene Monarchin im Laufe ihrer Regentschaft Rückschläge und Niederlagen verkraften. Besonders 1992 entpuppt sich als "fürchterliches Jahr", wie sie selbst in einer Tischrede zum 40. Thronjubliäum bekennt. Die Ehen von Charles, Anne und Andrew zerbrechen, Skandalfotos, schmutzige Wäsche in den Boulevardzeitungen, ein Brand zerstört große Teile des Familiensitzes Schloss Windsor. Sie werde auf dieses Jahr nicht mit ungetrübter Freude zurückblicken:

"1992 is not a year on which I shall look back with undiluted pleasure ... it is turned out to be an annus horribilis."

Den Tiefpunkt ihres Ansehens durchlebt die Queen 1997 nach dem Tod von Prinzessin Diana. Tagelang weigert sie sich, von Schloss Balmoral in Schottland nach London zurückzukehren und öffentlich ihre Trauer zu bekunden. Elizabeth, so erklärt Biograph Kielinger, leidet unter der Kardinalsünde der englischen Aristokratie:

"Wir weinen nicht über das Leben, wir lassen uns das nicht ansehen. Und diese Attitüde hat diese ganze Familiengeschichte geprägt; zum großen Nachteil mancher Krisen, denen es gut getan hätte, wenn sie früher auf den Tisch gelegt worden wären."

Schließlich aber überwindet die Queen diese Attitüde, indem sie sich auf eine andere über Jahrhunderte ausgeformte Eigenschaft der britischen Monarchie besinnt: die Fähigkeit zum Wandel und zur Anpassung. Am 5. September 1997 tritt sie vor die Nation und hält ihre wohl wichtigste Rede. Erstmals offenbart sie ihre Gefühle und bekundet ehrliche Trauer um Diana:

"Was ich jetzt zu Ihnen sage, als Ihre Königin und als eine Großmutter, kommt aus meinem Herzen. Zunächst möchte ich selbst Diana meine Achtung erweisen. Sie war ein außergewöhnlicher und begnadeter Mensch. In guten und schlechten Zeiten hat sie nie ihre Fähigkeit verloren zu lächeln und zu lachen oder andere zu inspirieren mit ihrer Wärme und Freundlichkeit. Ich habe sie bewundert und respektiert wegen ihrer Energie und ihrer Hingabe an andere. Und insbesondere für ihre Zuneigung ihren beiden Jungen gegenüber."

Im Nachhinein betrachtet waren die Diana-Jahre heilsam für die Queen, glaubt die Historikerin Karina Urbach:

"Sie hat daraus gelernt, dass sie nicht so distanziert auftreten darf, dass man eine sehr viel gefühlsbetontere, mütterlichere Königin haben will. ... und jetzt im Alter als Großmutter hat sie es jetzt endlich erreicht, dass sie zu sich selbst gefunden hat und gelassener geworden ist."

Was Elizabeth bei ihren Kindern an emotionaler Zuwendung versäumte, holt sie bei den Enkeln nach. Und nebenbei überwindet die Monarchie ihre Existenzkrise - durch Lernbereitschaft, Durchhalten und Aussitzen, aber auch durch unermüdliches Engagement für soziale Aufgaben, für Wohltätigkeitsorganisationen und für die Streitkräfte.

Im März dieses Jahres erneuert Elizabeth vor den Parlamentariern ihr Gelübde, das sie 1947 ablegte. Auch in den kommenden Jahren wolle sie sich dem Dienst am Land und seinen Menschen widmen.

"Es war für mich ein Privileg, Zeuge eines Teils unserer Geschichte sein zu können und mit der Hilfe meiner Familie verpflichte ich mich erneut zum Dienst an unserem großartigen Land und seinen Menschen, jetzt und in den kommenden Jahren."

Ihr sehnlichster Wunsch sei es, dass ihr diamentenes Thronjubiläum zur nachbarschaftlichen Begegnung genutzt werde. Millionen werden in den kommenden Tagen feiern und teilhaben an der historischen Schiffsparade auf der Themse, Hunderten von Straßenparties, Konzerten und Ausstellungen oder werden Londons Straßen säumen beim Kutsch-Umzug der Queen.

Die bewegendsten Dankesworte findet Sir Peter Tapsell. Für ihn, so macht der 82-Jährige im Parlament deutlich, wohnte schon seit dem Anfang ein Zauber inne. Die bleibende Erinnerung seiner Generation sei die an eine atemberaubende Schönheit, die vor 60 Jahren den Thron bestiegen habe. Nichts in der ganzen Welt sei begeisternder als eine schöne Frau:

"Für meine Generation ist die bleibende Erinnerung an die Queen ihre atemberaubende Schönheit als sie den Thron bestieg. In der ganzen Welt gibt es nichts Begeisternderes als eine schöne Frau."

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