Was brauchen die Menschen in Deutschland wirklich?

Das sagt der Polizist

Polizist Kevin Komolka
Kevin Komolka ist seit rund zehn Jahren Polizist. In Hildesheim fährt er Streife. Außerdem ist er Vorsitzender der Jungen Gruppe in der Gewerkschaft der Polizei. © Hagen Immel
Kevin Komolka im Gespräch mit Ute Welty · 20.09.2017
Mehr Respekt gegenüber seinem Beruf: Das wünscht sich der Polizist Kevin Komolka. In seinem Alltag erlebt er öfter körperliche Gewalt. Von der Politik fordert er, dass nicht nur mehr Polizisten eingestellt werden, sondern diese auch bundesweit gleichgestellt werden.
Was brauchen die Menschen in Deutschland wirklich? Das fragen wir in dieser Woche Bürgerinnen und Bürger. Einer von ihnen ist Kevin Komolka, Streifenpolizist in Hildesheim. Er mag seinen Beruf, denn der sei abwechslungsreich und halte jeden Tag neue Herausforderungen bereit.
"Auf der anderen Seite hat man natürlich auch insbesondere aufgrund der nun steigenden Terrorlage in Deutschland auch immer irgendwie die Befürchtung, dass mal was Großes passieren könnte."

Mangel an Respekt

Im Umgang mit der Polizei in Deutschland mangelt es seiner Meinung an Respekt. Zwar habe es insbesondere nach dem G-20-Gipfel in Hamburg eine "Danke-Polizei"-Kultur gegeben. Doch er werde immer wieder auch mit ausgestrecktem Mittelfinger begrüßt - von Menschen, die meist durch Alkohol enthemmt seien, sagt Komolka. Und körperliche Auseinandersetzungen seien die "Schattenseite" seines Berufs.
Dass alle Parteien "nach ganz vielen Jahren" die Einstellung von mehr Polizisten fordern, findet Komolka gut. Allerdings: "Ich habe ein Problem mit dieser 'Hopplahopp-Einstellung' - so frei nach dem Motto: Jetzt ist das Sicherheitsbedürfnis hoch, jetzt brauchen wir unbedingt schnell mehr Polizei."

Kritik am "föderalen Flickenteppich"

Dabei werde vergessen, dass die Ausbildung mindestens drei Jahre dauere. Die benötigten 13.000 Polizisten müssten erst einmal gefunden werden - im Wettbewerb mit der freien Wirtschaft, aber auch innerhalb der Bundesländer. Denn Einstellungsvoraussetzungen, Besoldung, Arbeitszeiten, Urlaubstage seien in den Ländern unterschiedlich geregelt. Diesen "föderalen Flickenteppich" kritisiert Komolka.

Im folgenden das Gespräch im Wortlaut:
Ute Welty: Wir versuchen, den Puls zu fühlen des Landes in dieser Woche vor der Bundestagswahl, versuchen herauszubekommen, wie die großen Themen des Wahlkampfs ankommen bei Menschen aus der Praxis. Mit einer Integrationslotsin haben wir schon gesprochen, auch mit einer Unternehmerin, und heute Morgen wollen wir die Stimme eines Polizisten hören. Kevin Komolka ist seit rund zehn Jahren bei der Polizei, tätig derzeit im Streifendienst in Hildesheim und Vorsitzender der Jungen Gruppe in der Gewerkschaft der Polizei. Guten Morgen, Herr Komolka!
Kevin Komolka: Einen wunderschönen guten Morgen!
Welty: Mit welchem Gefühl beginnen Sie diesen Morgen, was denken Sie beim ersten Kaffee, beim ersten Tee, was auf Sie zukommt?
Komolka: Dazu muss ich sagen, ich bin Polizeibeamter im Streifendienst, und von daher ist natürlich mein Tätigkeitsfeld auch wirklich weitreichend. Das heißt also, mit meinem ersten Kaffee morgens weiß ich noch nicht richtig, wie sieht der Tag überhaupt aus, ist das Erste, ein schwerer Unfall oder vielleicht einfach nur eine Parkbehinderung.
Welty: Und wie geht man dann mit dieser Herausforderung um, nicht zu wissen, was kommt?
Komolka: Es ist auf der einen Seite natürlich ein schönes Gefühl, weil unser Beruf nun mal sehr abwechslungsreich ist, und das ist auch der Grund, warum ich den sehr gern mache, dass man eben auch nicht weiß, was so kommen kann. Auf der anderen Seite hat man natürlich auch, insbesondere aufgrund der nun steigenden Terrorlage in Deutschland auch immer irgendwie die Befürchtung, dass mal was Großes passieren könnte.

Danke-Polizei-Kultur nach dem G20-Gipfel

Welty: Wenn Sie unterwegs sind auf der Straße, auf Streife in Uniform, werden Sie ja von den Menschen erkannt, als Polizist identifiziert – wie reagieren die auf Sie?
Komolka: Das ist höchst unterschiedlich. Es gibt viele Leute, gerade auch nach dem G20-Gipfel, hat sich so eine Danke-Polizei-Kultur eingeschlichen. Das heißt, viele sagen auch, Mensch, schön, dass Sie da sind und auch mal bei uns im Straßenzug Streife fahren …
Welty: Danke-Polizei-Kultur heißt das bei Ihnen?
Komolka: Das ist jetzt von mir so ein – es gibt ja offiziell einen Danke-Polizei-Tag, den gibt es in den USA, der hat in einigen Bundesländern hier in Deutschland von Unterstützungsorganisationen wie dem Verein Keine Gewalt gegen Polizeibeamte e.V. zum Beispiel auch schon Einzug gehalten, dass die teilweise in Rheinland-Pfalz oder so auf die Straße gehen und den Polizisten öffentlich danken. Und darum übernehme ich den Begriff immer ganz gern, weil das gab es lange nicht, dass tatsächlich Leute auch mal den Streifenwagen in ??? nahmen und gesagt haben, Mensch, ich wollte nur mal Danke sagen, dass Sie sich auch hier blicken lassen, und für Ihre schwere Arbeit.
Welty: Und auf der anderen Seite dieser Danke-Polizei-Kultur steht was?
Komolka: Auf der anderen Seite dieser Danke-Polizei-Kultur gibt es natürlich auch diejenigen, die, je öfter man einen Streifenwagen sieht, in ihrem Sicherheitsbedürfnis sich auch so ein bisschen, ich sag mal, in die andere Richtung entwickeln, die nämlich sagen, oh, was ist denn hier los, warum fährt hier schon wieder Polizei? Ist irgendwas Schlimmes, worauf ich mich vorbereiten muss. Und auf der ganz anderen Seite gibt es natürlich diejenigen, die die Polizei und uns nicht akzeptieren und wo man dann auch schon mal mit einem ausgestreckten Mittelfinger begrüßt wird.
Welty: Wann ist Ihnen das zum letzten Mal passiert?
Komolka: Letzte Woche, Nachtdienst. Das ist insbesondere dann, wenn durch Alkohol enthemmt wird und abends Gruppen unterwegs sind, die sich stark fühlen, die dann auch, egal, was man macht, polizeiliche Maßnahmen in Frage stellen und da teilweise sich auch unter aller Sau benehmen, wenn ich es jetzt mal so ganz klar und deutlich sagen darf.

Ein ausgestreckter Mittelfinger ist keine Lappalie

Welty: So ein ausgestreckter Mittelfinger, das ist ja eigentlich nur doof. Das ist ja keine körperliche Bedrohung. Aber es gibt ja auch Situationen, in denen Sie dann eben auch körperlich attackiert werden. Wie geht man dann am nächsten Tag in den Dienst wieder rein, mit dieser Erfahrung im Nacken?
Komolka: Gut, der ausgestreckte Mittelfinger ist nun auch keine Lappalie. Das ist auch schon ein Beleidigungstatbestand. Und klar, wenn es dann natürlich in die körperliche Auseinandersetzung geht, das ist so die Schattenseite. Ich habe ja vorhin gesagt, das Schöne ist, dass wir eine sehr abwechslungsreiche Tätigkeit haben. Aber immer dann, wenn es natürlich Gewalt gegen uns gibt, dann bereiten wir das nach innerhalb der Schicht, sprechen über den Einsatz und hoffen am nächsten Tag jedenfalls, dass das nicht wieder passiert. Nur, es kann halt immer wieder passieren. Das ist das kleine Risiko an unserem Beruf.
Welty: Das Bedürfnis nach Sicherheit ist hoch, ist auch gestiegen bei den Menschen, bei der Bevölkerung. Daran Mitschuld in Anführungszeichen hat auch die große Zahl von Wohnungseinbrüchen. Wie werden Sie damit konfrontiert, oder inwieweit sind Sie damit konfrontiert?
Komolka: Das geht so in die Richtung, was ich eingangs gesagt habe, dass wir auch öfter mal angehalten werden, Mensch, Danke, dass Sie hier durchfahren und auch mal unsere Häuser sich anschauen. Letzten Endes ist es aber bei den großen Zahlen der Wohnungseinbruchsdiebstähle und Tageswohnungseinbruchsdiebstähle einfach nicht möglich mit der aktuellen Polizeistärke für eine, ich sag jetzt mal, flächendeckende und umfangreiche Sicherung zu sorgen in den Wohnungsgebieten. Dafür sind wir einfach schlichtweg zu wenig.
Welty: Das heißt, da muss man sich gar keine Illusionen machen? Wohnungen lassen sich so nicht schützen?
Komolka: Genau. Da braucht man sich gar keine Illusionen zu machen. So stark, wie die Polizei jetzt ist, wir können regelmäßig Bestreifungen durchführen, wir können auch so gut ermitteln, wie wir wollen – Kriminalität ist nicht vorhersehbar. Das heißt also quasi, es ginge eigentlich ausschließlich darüber, die Streifenintensität zu erhöhen, und das geht nur mit mehr Personal.

"Diese Hoppla-Hopp-Einstellung"

Welty: Fast alle Parteien fordern ja im diesjährigen Wahlkampf mehr Polizisten für die Zukunft, und als Gewerkschafter, der Sie ja auch sind, werden Sie kaum dagegensprechen, aber sehen Sie auch die Möglichkeit, dass diese Forderung umgesetzt wird?
Komolka: Erstmal finde ich die Forderung gut, und ich finde es auch schön, dass nach ganz vielen Jahren endlich alle Parteien mal auf die Idee kommen, wir müssten mehr Polizei einstellen. Ich habe ein Problem mit dieser Hoppla-Hopp-Einstellung, so frei nach dem Motto, jetzt ist das Sicherheitsbedürfnis hoch, jetzt brauchen wir unbedingt schnell mehr Polizei, und dabei zu vergessen, dass ein fertiger Polizist mindestens drei Jahre Studium beziehungsweise Ausbildung genießen muss, bevor er dann letzten Endes neben mir im Streifenwagen sitzen kann. Das bedeutet quasi, dass, wenn wir jetzt sagen, wir brauchen unbedingt 13.000 neue Polizistinnen und Polizisten, dass wir sie erstmal finden müssen, im Wettbewerb auch mit der freien Wirtschaft, dass der Wettbewerb auch in den Bundesländern besteht, das heißt also, quasi wir föderale Unterschiede haben in 18 unterschiedlichen Polizeien des Bundes und der Länder.
So beginnt es bei der Einstellung schon, dass da die Länder auseinanderklaffen – wer darf wie groß sein, wie schwer, wie sportlich, welche schulischen Leistungen mitbringen – und allein dort schon gesiebt wird, welches Bundesland kann im Prinzip die höchsten Qualitätsstandards setzen bei der Auswahl des Nachwuchses. Und es geht danach weiter, wenn die Kolleginnen und Kollegen fertig sind, in der Besoldung, Versorgung und im Laufbahnrecht. Dass man nämlich sagen kann, in dem einen Land kriegen die freie Heilfürsorge, in dem anderen muss ich die Beihilfe bezahlen, im dritten arbeite ich 41 Stunden, im vierten 40 Stunden. Dann habe ich 30 Tage Urlaub, 28 Tage Urlaub – es ist ein föderaler Flickenteppich in den Polizeien des Bundes und der Länder, was es uns wirklich schwierig macht, die Bewerberinnen und Bewerber auf einen Polizeiberuf zu reduzieren, weil das ist das, was von den Parteien immer gemacht wird. Wir brauchen 13.000 neue Polizisten, aber bundesweit.
Welty: Offene Worte über Polizeiarbeit und über Föderalismus von Kevin Komolka, Polizist in Hildesheim. Und ich sage: Danke, Polizei!
Welty: Vielen Dank!
Welty: Was brauchen Menschen in Deutschland? Das fragen wir in dieser Woche vor der Bundestagswahl. Alle Interviews zum Thema finden Sie auch online.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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