Warum wir Weihnachten so sehr lieben

Von Gerd Brendel · 22.12.2012
Jetzt wird gefeiert, jetzt wird getrunken! Ein bevorstehendes Fest gibt gleichsam den Befehl, sich zu freuen und glücklich zu sein, sagt der Wiener Philosoph Robert Pfaller. Wenn wir feiern, dann fühlen wir uns "auf Augenhöhe mit dem Leben".
Sollen aber Feste sein, so kann niemand leugnen, dass dieses Fest der Weihnacht ein bewundernswürdiges Fest ist, so vollkommen erreicht es seinen Zweck.

Der Theologe Friedrich Schleiermacher in seiner Erzählung "die Weihnachtsfeier". Aber von welchem Zweck spricht er? Was macht ein Fest zum Fest, eine Feier zur Feier?

"Feste und Feiern fußten auf Wertüberzeugungen, politischen Ideologien, manchmal Weltbildern, hatten also in irgendeiner Art und Weise einen sinngebenden Anspruch."

Der Soziologe Winfried Gebhardt findet diese sinngebende Funktion in Feiern zum Nationalfeiertag, in Trauerfeiern, Gedenkfeiern oder Gottesdienstfeiern. Sie folgen einem vorgeschriebenem Ablauf, einer Liturgie, die in den Teilnehmern im Idealfall das erhabene Gefühl von Pathos auslösen.

Dass es beim Festefeiern auch darum geht, den Alltag außer Kraft zu setzen, mit Exzess und Rausch, betont der Wiener Philosoph Robert Pfaller:

"Ich glaube Feste haben eine entscheidende Funktion. Sie befehlen den Individuen das Glück oder die Freude. Feste sind genau die Anlässe, an denen so ein Genussgebot: 'Jetzt wird aber gefeiert, jetzt wird getrunken! Jetzt wird die Arbeit liegen gelassen!' erteilt wird."

Wir sind, wenn wir feiern, souverän.

"Wir sind nicht nur Sachbearbeiter unserer biologischen Funktionen und servil und versuchen, das Leben aufrecht zu erhalten, sondern dann sind wir auf Augenhöhe mit dem Leben und stellen dem Leben die entscheidende Frage: Na, was sind eigentlich die Gründe, für die es sich zu leben lohnt?"

Auf Augenhöhe mit dem Leben - "Leben" als Synonym für eine transzendente Instanz, oder gar mit Gott?

" Man begegnet Gott? Schwierig, weil es keine direkte Begegnung ist, sondern eine durch die Erinnerung vermittelte."

Der evangelische Theologe und Gemeindepfarrer Christopher Zarnow nennt religiöse Feste deshalb:

"Vergegenwärtigung von Vergangenem."

Die noch einmal die heilige Geschichte, den Mythos aufführen.

"Also wenn man zum Beispiel an 'ne katholische Osternacht denkt, da wird ja die gesamt Heilsgeschichte inszeniert, das beginnt mit Adam und Eva und endet mit der Auferstehung."

Auch an Weihnachten wird Heilsgeschichte inszeniert -von den Krippenfiguren bis zum Singen von Weihnachtsliedern unterm Weihnachtsbaum. Die Ursprungserzählung ist seit 2000 Jahren dieselbe, aber wie die Weihnachtsgeschichte in die Gegenwart geholt wird, ist Stoff einer ganz anderen, von Menschen gemachten Geschichte.

Von Indienstnahme und Missbrauch durch die Familie, den Markt oder durch die Politik.

Der US-amerikanische Historiker Joe Perry hat die Geschichte von "Weihnachten made in Germany" untersucht.

"Das deutsche Weihnachten war das erste moderne Weihnachtsfest, erfunden und geformt im 19. Jahrhundert."

Von romantischen Theologen wie Friedrich Schleiermacher, von Schriftstellern wie E.T.A. Hoffmann und in großbürgerlichen Intellektuellen-Salons.

"Weihnachten ist auf das schönste ausgefallen. An zwei Enden eines langen Tisches brannten zwei kleine Weihnachtsbäume, und alle übrigen Lichter und Lichterchen machten den Anblick außerordentlich hübsch" -

schreibt Caroline von Humboldt 1815 an ihren Mann Wilhelm von Humboldt über die ersten Berliner Weihnachtsbäume in ihrer Wohnung.

Weihnachten im trauten Familienkreis und die dazu gehörige Innerlichkeit wird in den folgenden Jahrzehnten zum Standardfest schlechthin.

"Über die bürgerliche Elite verbreitet sich das Fest immer weiter durch die Gesellschaftsschichten. Es wird zum emotionalen Symbol für das Familienleben der Mittelklasse."

Die wachsende Verbreitung des bürgerlichen Feiermodells lässt Weihnachten zum Wirtschaftsfaktor werden. Ohne Eisenbahnen keine Christbäume für die Städter, ohne Weihnachtsschaufenster keine Geschenke.

"Der weihnachtliche Sentimentalismus wird um 1900 zum Verkaufswerkzeug für Reklame-Fachleute die entdecken, dass man Konsumgüter nur an Weihnachten zusätzlich als Geschenke vermarkten kann."

Nach den Kaufleuten entdecken die Politiker Weihnachten für ihre Zwecke. Bilder von Weltkriegssoldaten beim Weihnachtsfest im Schützengraben sollen die Bevölkerung in der Heimat bei Laune halten. In den 20er-Jahren entdecken die Nazis Weinachten für ihre Zwecke.

"Die Kernfamilie, die sich in Eintracht zusammenfindet wird zum netten Modell für die nationalsozialistische Volksgemeinschaft. In ihren Sturmlokalen feiern die SA -Männer Weihnachten, singen 'Stille Nacht' und anschließend das Horst-Wessel-Lied."

Und im Zweiten Weltkrieg sind die sentimentalen Wochenschau-Berichte zu Weihnachten ein wichtiger Teil nationalsozialistischer Durchhalte-Propaganda.

Die Instrumentalisierung des christlichen Hochfestes durch die Nazis markiert den letzten bösen Höhepunkt staatlicher Propaganda. Was und wie zu feiern ist, lassen sich heute die wenigsten vorschreiben.

Mit der Individualisierung von Festen geht die Kommerzialisierung einher. Der Soziologe Winfried Gebhardt hat dafür den Begriff Eventisierung geprägt.

Winfried Gebhardt: "Eventisierung heißt, dass eine Event-Industrie entsteht, die zunehmend aus kommerziellen Interesse Feste, Feiern veranstaltet, um damit Geld zu verdienen."

Auf der einen Seite droht das Fest von der Alltagslogik überformt zu werden. Die innere Einstellung auf das Heilige wird durch die Sorge um den Gänsebraten überformt.

So übersetzt der Gemeindepfarrer Christopher Tarnow diese Entwicklung für das Weihnachtszeit.

"Und umgekehrt ist es auch so, dass sich die Alltagslogik dafür öffnet, unter bestimmten Bedingungen jeden Tag zum Exzess zu machen. Das heißt, dass die Grenzen zwischen Feiern und Alltag in Zeiten, wo die Feierkultur sich sehr stark individualisiert, auch prekär wird."

Vor Gänsebraten-Hysterie und "Eventisierung" rettet sich der Theologie Christopher Tarnow mit christlicher Demut: Dass ein Fest gelingt, liegt letztendlich nicht in der Macht der Feiernden.

"Wahrscheinlich ist das Fest unter dem Fest verborgen, und das ist noch mal 'ne andere Art der Transzendenz, dass auch die gelungenste Inszenierung vom Fest, nicht garantiert, dass sich die Weihnachtsfreude auch erfüllt."

Das singen wir ja in dem bekannten Paul-Gerhardt-Lied: Wie soll ich Dich empfangen. Es heißt ja, setze Du mir die Fackel bei.