Warum Trump?

Er vergibt die "License to Hate"

Donald Trump während seiner Rede in New York nach seinem Wahlsieg bei der US-Präsidentschaftswahl
Ein eigentümlicher Narzisst, der Kränkungsgefühle der Menschen spürt und aufnimmt - so sieht der Soziologe Heinz Bude Donald Trump. © AFP/ Mandel Ngan
Heinz Bude im Gespräch mit Frank Meyer · 10.11.2016
Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten sei ein Aufstand der Verbitterten und Zornigen, meint der Soziologe Heinz Bude: "Er hat so eine narzisstische Empathie, der riecht, wo die Leute beleidigt sind." Die Verliererin Hillary Clinton habe die innere Obdachlosigkeit vieler Amerikaner unterschätzt.
Für den Soziologen Heinz Bude steckt hinter dem Wahlerfolg Donald Trumps in gewisser Weise eine Abrechnung mit dem Neoliberalismus.
Viele Menschen hätten den Wunsch, einen Schlussstrich unter die letzten 30 Jahre zu ziehen, sagte Bude im Deutschlandradio Kultur. Die wesentliche Botschaft jener Zeit sei gewesen, dass eine gute Gesellschaft eine Gesellschaft starker Einzelner sei: "Und immer mehr Leute glauben, dass das nichts gebracht hat, dass das nur Ungleichheit gebracht hat, mehr Uneinigkeit (...), mehr Arroganz in der Gesellschaft gebracht hat."

Clinton hat die "innere Obdachlosigkeit" vieler Amerikaner unterschätzt

Trotz rückläufiger Arbeitslosigkeit hätten viele das Gefühl, ihre Träume nicht mehr verwirklichen zu können. Das Leben vieler Menschen sei von Mühe bestimmt, sagte Bude im Hinblick auf die vielen Mehrfachjobber in den USA, die trotz aller Anstrengung nicht auf einen grünen Zweig kommen.
Diese Wut darüber, nicht mehr in einer "Gesellschaft des Versprechens" zu leben, und die "innere Obdachlosigkeit" vieler Menschen hat Hillary Clinton Bude zufolge offenbar unterschätzt.
Der Soziologe Heinz Bude
Der Soziologe Heinz Bude© imago stock&people
Ganz anders Donald Trump: "Das ist, glaube ich, die Leistung dieses eigentümlichen Narzissten Donald Trump, der hat so eine narzisstische Empathie. Der weiß, der riecht, wo die Leute beleidigt sind, der riecht, wo die Leute frustriert sind, und die hat er in eine Art Hasskommunikation verwandelt."

Es geht um eine Idee von Zukunft

Damit habe Trump den Menschen eine "License to Hate" gegeben, die ihnen erlaubt, ihr gekränktes Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Insofern sei dieser politische Stil auch für die Zukunft zu erwarten: "Das sagt mir auch, dass wir am Beginn eines neuen Politikzyklus weltweit stehen, der mit Brexit angefangen hat und jetzt mit Trump weitergeht."

Das Interview im Wortlaut:
Frank Meyer: Wenn jetzt der Wahlsieg dieses kommenden Präsidenten analysiert wird, dann ist oft von einer neuen Macht der Emotion in der Politik die Rede. Nur ein Beispiel dafür: Der frühere französische Premierminister Dominique de Villepin hat zu diesem Wahlsieg gesagt: Angst und Zorn sind mittlerweile die wichtigsten politischen Akteure. Der Soziologe Heinz Bude hat sich in seinem jüngsten Buch "Das Gefühl der Welt" genau mit diesen Phänomenen auseinandergesetzt, mit der Macht von Stimmungen in der Politik. Jetzt ist er für uns am Telefon, guten Tag, Herr Bude!
Heinz Bude: Guten Tag, Herr Meyer!

Mit Wut und Hass die Wahl gewonnen

Meyer: Wie sehen Sie das? Hat denn Donald Trump mit Angst und Zorn diese Wahl gewonnen?
Bude: Ich würde eher sagen: mit Wut und Hass. Ich glaube – und das hat, kann man jetzt sagen, dass das Hillary Clinton wirklich unterschätzt hat –, die Obdachlosigkeit, die in der amerikanischen Gesellschaft, die innere Obdachlosigkeit, die in der amerikanischen Gesellschaft stattgefunden hat … Ich meine damit nicht, dass Leute auf der Straße gelandet sind, sondern ich meine damit das Gefühl, das Leute über ihre Eingebettetheit in der amerikanischen Gesellschaft haben.
Ich glaube, sie hat zu wenig gesehen, dass es über den gesamten gesellschaftlichen Raum versprengt Lebensweisen gibt, die von Mühe bestimmt sind, von Anstrengung bestimmt sind, aber immer die Vorstellung vor Augen haben, dass sie das nicht über einen grünen Zweig bringen wird.
Mehrfachbeschäftigungen haben in allen möglichen Ebenen der Gesellschaft zugenommen und die Haushalte haben den Eindruck, obwohl die Arbeitslosigkeit deutlich abgenommen hat in den letzten zwei Jahren in den USA, dass sie trotzdem nicht das Mehr erreichen können, von dem sie eigentlich im Leben angefangen haben zu träumen erreichen zu können. Also die Vorstellung, dass man nicht mehr in einer Gesellschaft des Versprechens lebt.

"Narzisstische Empathie" Trumps

Und diese ungeheure Wut, die daraus gefolgt ist, dass man die Gekränktheit zum Ausdruck bringen will, hat – und das ist, glaube ich, die Leistung dieses eigentümlichen Narzissten Donald Trump, er hat so eine narzisstische Empathie, der weiß, der riecht, wo die Leute beleidigt sind, der riecht, wo die Leute frustriert sind und enttäuscht sind –, die hat er in einer Art Hasskommunikation verwandelt. Er hat quasi Licence to Hate gegeben. Und das ist glaube ich das sehr Interessante und das ist auch eine Art von politischem Stil, den wir auch in der Zukunft erwarten müssen.
Meyer: Jetzt haben Sie so die Ebene angesprochen, was passiert wirtschaftlich mit den Leuten, was ist mit dem amerikanischen Traum, der gilt nicht mehr für mich. Hat das noch mehr Dimensionen, dieses Beleidigtsein? Es ging ja in dem Wahlkampf auch viel um Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, zu Religion, auch zum Geschlecht. War das auch wichtig, kommt da das Beleidigtsein auch her?
Bude: Ich glaube – und das sagt mir auch, dass wir am Beginn eines neuen Politikzyklus weltweit stehen, der mit Brexit angefangen hat, jetzt mit Trump weitergegangen ist –, es wird ein Schlussstrich gezogen unter die letzten 30 Jahre. Das ist die Zeit, die manche Neoliberalismus nennen, die eine wesentliche Botschaft hatte, nämlich die Botschaft, dass eine gute Gesellschaft eine Gesellschaft starker Einzelner ist und der Auftrag ergeht, die Einzelnen zu stärken und an die Einzelnen der Auftrag ergeht, sich selber zu stärken.

Die Menschen wollen einen Schlussstrich ziehen

Und immer mehr Leute glauben, dass das nichts gebracht hat, dass das nur mehr Ungleichheit gebracht hat, mehr Uneinigkeit gebracht hat, mehr Arroganz in der Gesellschaft gebracht hat. Und es wird eine verheerende Bilanz der letzten 30 Jahre gezogen und man glaubt … und man weiß eigentlich auch gar nicht, warum man selber da hineingestolpert ist, und man denkt nur, wir müssen … Das ist eigentlich keine gute Zeit gewesen und wir wollen einen Schlussstrich darunter ziehen und wollen eine andere Zeit beginnen lassen. Das ist wahnsinnig gefährlich, so ein Schlussstrich.
Meyer: Da werden jetzt Erlösungsfiguren wichtig, so wie Donald Trump, auf die sich die Hoffnung vieler Enttäuschter projizieren, auch bei uns?
Bude: Ich glaube, schon. Es ist sozusagen die Idee … Er hat ja gesagt, ich stelle mich als Projektionsfigur für eure Befürchtungen, für eure Kränkungen zur Verfügung. Er ist ja quasi auch … Er ist gar nicht so sehr ein Messias des anderen, sondern er ist einer, der sagt: Schaut mal, ihr könnt mir das alles sagen und ich bringe das für euch zum Ausdruck.
Und Hass hat eine sehr wichtige Funktion, sie erlaubt, das gekränkte Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Das ist so ein bisschen wie eine emotionale Droge. Und diese emotionale Droge hat er in der amerikanischen Gesellschaft ausgegeben an jeden, der sich angestellt hat. Hat gesagt, hier, komm, du kriegst auch noch was davon. Und dies ist quasi ein Aufstand derer, die bereit waren zu hassen aus einem Gefühl der Verbitterung heraus.

Das Gefühl der Verbitterung gibt es überall

Und dieses Gefühl der Verbitterung, das gibt es auch in Deutschland, das gibt es auch in Europa als ein Gefühl, was man nicht nur festlegen kann bei Leuten, die prekär beschäftigt sind, sondern in vielen, vielen Haushalten, die das Gefühl haben, einen prekären Wohlstand zu haben, einen Wohlstand, der ihnen gerade reicht und der gleichzeitig begleitet ist von einer intensivierten Art des Arbeitens und des Beschäftigtseins. Ich glaube, wir machen uns zu wenig Vorstellung davon, wie verbreitet dieses Empfinden in der Gegenwartsgesellschaft ist.
Meyer: Und gibt es eine Chance für eine rationale Politik, die eben nicht auf Wut und Hass setzen will, dieses Lebensgefühl aufzufangen und in politisches Handeln umzubauen? Oder gibt es da eine Unerreichbarkeit?
Bude: Nein, ich glaube, das ist nicht Unerreichbarkeit. Ich glaube, zwei Einsichten sind sehr wichtig. Erstens ist die Einsicht, dass Stimmung, nicht nur immer die anderen eine Stimmung haben, sondern man selber auch eine Stimmung hat. Also, derjenige, der sagt, ich will die Sache mal rational angehen, tut das auch aus einer bestimmten Stimmung heraus.

Sehnsucht nach einer Idee von Zukunft

Und das Zweite, was sehr, sehr wichtig ist, dass Sie Stimmungen nur mit Stimmungen begegnen können. Und der Kern des Stimmungsbedarfs, geradezu der Sehnsucht in allen, glaube ich, in fast allen OECD-Gesellschaften ist, dass man wieder eine Idee von Zukunft auch vom politischen Personal verlangt, an die man glauben kann. Eine Idee von Zukunft, die die Chance gibt, dass man mittun kann, um es mit Donald Trump zu sagen: dass die vergessenen Männer und Frauen wieder eine Stimme bekommen in der Gestaltung der allgemeinen Verhältnisse.
Und wenn Sie das mit der Stimmung vortragen können – ich glaube, dass das möglich ist, und ich bin da fest davon überzeugt, dass wir in einer Welt leben, die nicht das letzte Wort der Geschichte ist –, dann können Sie diese Stimmung der Wut und des Hasses vielleicht in eine Stimmung bringen der gemeinsamen Anstrengung, wenn Sie so wollen – hört sich komisch an –, für eine bessere Welt.
Meyer: Wut und Hass hatten wir in diesem Wahlkampf bei Donald Trump, sagt der Soziologe Heinz Bude. Sein Buch zu diesem Thema heißt "Das Gefühl der Welt. Die Macht von Stimmungen", im Hanser Verlag erschienen. Vielen Dank, Herr Bude!
Bude: Ich danke Ihnen, Herr Meyer!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema