Warum Romney gegen Obama punkten konnte

Moderation: Klaus Pokatzky · 04.10.2012
Romney wirkte wie ein souveräner Verkäufer, Obama zögerlich und professoral: Der Literaturwissenschaftler Heinz Ickstadt analysiert die sprachlichen und körpersprachlichen Aspekte der Fernsehdebatte im US-Wahlkampf - und erklärt, was der Präsident beim nächsten Mal besser machen muss.
Klaus Pokatzky: Bei uns war es 3 Uhr in der Früh, in Denver, Colorado 21 Uhr, als Barack Obama und Mitt Romney vor den Fernsehkameras aufeinandertrafen. Am 16. Oktober und am 22. Oktober gibt es zwei weitere Fernsehdebatten zwischen den beiden. Die Nacht um die Ohren geschlagen hat sich für uns vor dem Fernseher der Literaturwissenschaftler und Amerikanist Heinz Ickstadt. Willkommen im Studio!

Heinz Ickstadt: Ich freue mich, hier zu sein!

Pokatzky: 90 Minuten, Herr Ickstadt, ging das Ganze. "Spiegel online" hat bilanziert: "Der mächtigste Kommunikator der Welt" – damit ist Obama natürlich gemeint – "schien seltsam sprachlos auf der größten Bühne, die ein Wahlkampf zu bieten hat." Herr Ickstadt, wie geht das? Hat Obama als Präsident das Sprechen verlernt?

Ickstadt: Das wäre nun wirklich übertrieben. Erstens hat er länger gesprochen als Romney – fünf Minuten länger, er hat viel geredet. Trotzdem glaube ich, dass Romney wohl insgesamt einen besseren Eindruck gemacht hat, das liegt aber auch mindestens am zwei Faktoren, würde ich denken: Das eine ist, dass er als Herausforderer einen Riesenvorteil hat gegenüber einem Präsidenten, der eine Politik verteidigen muss, von der er weiß, dass sie Schwächen hat, dass sie nicht das gebracht hat, wofür er eingestanden ist – und da er ein kluger Mensch ist, weiß er genau um diese Schwächen. Und das zögerliche Sprechen, die Pausen, die er macht, sollen ihn zwar sicher einerseits als reflektierten Sprecher zeigen, aber gleichzeitig geben sie die Möglichkeit, das zu interpretieren, dass er sich selber über seine eigenen Achievements, also seine eigenen Leistungen unsicher fühlt.

Pokatzky: Aber für einige Kommentatoren kann das gar nicht so überraschend sein. Die "Welt" zum Beispiel, die hat vorher geschrieben: "Während Mitt Romney Debatten stets genossen hat und darin geübt ist, gilt der begnadete Redner und Autor Barack Obama nicht als mitreißender Diskutant."

Wie geht das – ein begnadeter Redner sein, aber als Diskutant, wenn ich einem gegenüber sitze und spontan reagieren muss, dann bin ich da nicht so doll?

Ickstadt: Das geht sehr leicht, wenn Sie sich überlegen, dass Obama die besten Reden am Anfang seiner ... oder sogar noch als Kandidat gehalten hat, zum Beispiel diese große Rede über Rassismus, da hatte er ein freies Feld, eine ganze Stunde, in der er seine ganzen Gedanken in allen Nuancen darstellen kann. Und die Nuancen, das ist das, was man nicht machen kann in solchen ...

Pokatzky: Im Fernsehstudio.

Ickstadt: ... in diesem fünf Minuten, zwei Minuten Bites, da muss man immer drauf und feste, und sobald man anfängt zu nuancieren, hat man das Problem, dass alles, über das geredet wird, sowieso viel zu schwierig ist für das Publikum, und je mehr man differenziert, desto mehr Gefahr läuft man, die Leute zu langweilen. Romney hat die andere Strategie genommen, er hat eigentlich, muss ich sagen – ich bin natürlich, ich gebe es zu, ich bin Obama-Fan. Romney für mich ist wie ein Salesman, der ein Produkt angepriesen hat, und zwar sehr geschickt angepriesen hat, rhetorisch sehr geschickt, mit einem Mienenspiel, das gleichzeitig auch um Vertrauen heischt, er hat ein Produkt angeboten, dessen Wert er überhaupt nicht nachweisen konnte. Er hat es eigentlich rhetorisch geschafft, zu sagen: Leute, was ich euch biete, ist wunderbar – viel besser als das, was Obama geboten hat. Das ist natürlich auch eine sehr leichte Position.

Pokatzky: Ja, und hat er das auch sprachlich überzeugend rübergebracht?

Ickstadt: Er hat es in seiner Körpersprache rübergebracht. Jeder Salesman, der etwas auf sich hält….

Pokatzky: Ein Verkäufer.

Ickstadt: Jeder Verkäufer ...

Pokatzky: Ein Gebrauchtwagenverkäufer!

Ickstadt: Zum Beispiel. Wie oft werden Leute dazu überredet, etwas zu kaufen, was sie gar nicht wollen…

Pokatzky: Wie war seine Körpersprache? Ihre Körpersprache ist so, Sie hauen jetzt gerade immer auf den Tisch, wenn ich das sagen darf.

Ickstadt: Ja, also – das sollte ich wahrscheinlich nicht tun, weil es ins Mikrofon geht. Man sah natürlich nicht die Hände, das Podium hat das ja abgedeckt – die machten alle beide Notizen –, aber er drehte sich immer Obama zu und lächelte, wenn Obama redete, gütig, verzeihend über den Unsinn, den Obama sagte.

Pokatzky: Präsidial?

Ickstadt: Präsidial, ja, in gewisser Hinsicht, aber wie gesagt, auch in dieser Haltung dessen: Nun rede du nur, ich kann dich jederzeit widerlegen. Und sobald Obama versuchte, das, was Romney anscheinend widerlegt hatte, selbst zu widerlegen, brauchte er so viel Zeit, dass Romney das abschütteln konnte.

Pokatzky: Und Obama hat regelmäßig auf den Boden, auf seine Schuhe geguckt.

Ickstadt: Das glaube ich nicht.

Pokatzky: Wie kann so was sein? Also ...

Ickstadt: Haben Sie es gesehen?

Pokatzky: "Spiegel online" schreibt von Obamas Lustlosigkeit: "Obamas Blick wanderte regelmäßig gen Boden, wenn Herausforderer Mitt Romney zu einer Antwort ansetzte."

Ickstadt: Also da muss ich "Spiegel online" – es sei denn, ich bin eingeschlafen und habe es nicht gemerkt, aber soweit ich weiß, hat Obama eigentlich sehr häufig natürlich nach seinen Notizen gesucht, das hat Romney auch gemacht.

Pokatzky: Aber nicht auf seine Schuhe geguckt?

Ickstadt: Nicht auf seine Schuhe geguckt, er hat viel gelächelt, weil er das irgendwie auch ausgleichen musste. Er hat häufiger auf seine Frau geblickt, von der er sich Trost und Zusprache erhoffte, offensichtlich. Aber ich fand, also der "Spiegel" übertreibt maßlos!

Pokatzky: Das sagt jetzt nicht nur der Obama-Fan, sondern der für uns, für das "Radiofeuilleton" aufmerksam zusehende Amerikanist Heinz Ickstadt, mit dem wir über die Fernsehdebatte Obama gegen Romney sprechen.

Ickstadt: In Grenzen objektiv.

Pokatzky: In Grenzen objektiv – also wie war die Körpersprache Obamas? War sie von Selbstsicherheit?

Ickstadt: Ich finde die Kriterien der Beurteilung solcher Diskussionen sind überhaupt fragwürdig. Aber wenn man sich einmal auf dieses Spiel einlässt – und es ist praktisch unmöglich, sich nicht darauf einzulassen, dann ist man den Regeln ausgeliefert. Und die begünstigen meinetwegen einen Schnellredner, der vor allen Dingen auch versucht, sozusagen alles, was er sagt, glaubhaft darzustellen, mit der Überzeugung des Predigers, ...

Pokatzky: ... oder auch des Salesman.

Ickstadt: ... oder auch des Verkäufers, und das konnte Romney sehr gut. Obama verabscheut diese Einstellung, und er versucht sich im Gegensatz dazu als reflektierter, nachdenklicher, die Fakten kennender Präsident autoritär darzustellen, was ihm natürlich immer ausgelegt wird als professoral, und was die Amerikaner nicht vertragen können, ist ein Professor, der gleichzeitig Präsident ist.

Pokatzky: Also jetzt mal ein bisschen weniger an den Fan Heinz Ickstadt, sondern an unseren um Objektivität bemühten Sprachkritiker: Der "Tagesspiegel"-Kollege Malte Lehming hat in einer, wie ich fand, sehr klugen Analyse auch von der Sprache Barack Obamas vorher geschrieben, sein Hoffnungs-, Versöhnungs- und Befreiungspathos hat sich verbraucht, und er muss sprachlich abrüsten, um in Sachen Glaubwürdigkeit aufrüsten zu können. Er muss seine Worte in kaltes Wasser tauchen. Heute Nacht, war das Wasser zu kalt? War es vielleicht auch schon so ein bisschen zu Eis gefroren?

Ickstadt: Ich glaube eher, dass die Linke, die linken Kritiker – auch im Fernsehen haben ihn sehr scharf deswegen kritisiert, weil er zu passiv, zu wenig aggressiv gewesen sei. Und man kann ihm in der Tat vorwerfen, er hat mehrere Auswahl- und Entscheidungsmöglichkeiten gehabt. Er hätte ja zum Beispiel Romneys Pläne wirklich auseinandernehmen können. Er hätte die Schwächen, die Romney gezeigt hat zum Beispiel, die 47 Prozent, um die er sich nicht zu kümmern braucht, weil es ihm nur auf die Wichtigen ankommt in der Gesellschaft, darauf hätte er eingehen können. Hat er nicht gemacht.

Pokatzky: Warum nicht?

Ickstadt: Ja, das ist die Frage. Das ist ja auch im Grunde sein Präsidialstil gewesen, also der Vorwurf, den die Republikaner an ihn machen, dass er sozusagen die Gesellschaft polarisiert, ist absurd, denn Obama hat sich immer als jemand, der über den Parteien steht, dargestellt, und immer auf die anderen zugeht. Das heißt, er baut eigentlich immer Brücken. Und Brückenbauer sind keine Aggressoren, sozusagen. Und ich finde, an diesem Punkt hat er wahrscheinlich einen Fehler gemacht, den er korrigieren muss in den nächsten Debatten.

Pokatzky: Aber die werden doch wochenlang, Monate im Zweifelsfall, auf so einen Fernsehauftritt, der wirklich zu dem Wichtigstem im Wahlkampf überhaupt gehört, vorbereitet. Da muss man ihn doch drauf gedrillt haben, denn den Romney hat man ja offenbar gedrillt.

Ickstadt: Ja, aber wie gesagt, Romney hatte es leichter. Er musste immer nur sagen, was du machst, lieber Obama, hat nicht geklappt. Und insofern vertraut meinem Programm, aber dieses Programm hat er nie weiter erläutert.

Pokatzky: Wie werden die denn überhaupt sprachlich vorbereitet? Oder geht es da wirklich jetzt nur darum, sich möglichst gut optisch zu präsentieren? Geht es da überhaupt um sprachliche Vorbereitung?

Ickstadt: Also genau weiß ich das nicht, es gibt aber sicher auch da Differenzen in der Selbstdarstellung, und ich bin sicher, dass es da verschiedene Schulen gibt, was er nun machen soll – ob er sich als überlegter, überlegener Präsident darstellen soll oder als jemand, der wie ein Boxer zurückschlägt. Und Obama hat sich für das entschieden, wovon er glaubte, dass es seiner Natur am nächsten ist. Nur wird das dieser Form nicht ganz gerecht.

Pokatzky: Die beiden Kontrahenten sollen ja, und jetzt kommen wir zur Form dieser Fernsehdebatte, in einer streng begrenzten Redezeit gegenseitig sich mit Schlagworten auch bewerfen, mit den berühmten Soundbites. Also möglichst knapp, pointiert, damit auch wirklich was in den Köpfen des Publikums hängen bleibt. Was ist denn bei Ihnen, Heinz Ickstadt, hängen geblieben, welcher Spruch bleibt?

Ickstadt: Das ist eine gute Frage. Also ich meine, im Grunde haben die sich letztlich dann, wenn sie nicht über Details geredet haben, auf Grundlinien der Diskrepanz festgelegt, Obama für die Verantwortung des Staates, in eine Wirtschaft einzugreifen, die durchhängt ...

Pokatzky: Das ist aber jetzt kein Spruch – also offenbar ist keiner geblieben?

Ickstadt: Wenn Sie so wollen, nicht so viele, nein. Nein, also gut, also Romney will weg von den bundesstaatlichen Eingriffen, er will zurück zu Staat, Individuum ...

Pokatzky: Ja, aber das ist nicht der Spruch, den Spruch hat es jetzt nicht gegeben.

Ickstadt: Ja, also mir fällt er jetzt nicht ein.

Pokatzky: Vielleicht kommt er ja noch bei den beiden nächsten, die wie gesagt am 16. und am 22. Oktober stattfinden. Danke, Heinz Ickstadt, Literaturwissenschaftler mit Schwerpunkt amerikanische Literatur für diese Analyse der sprachlichen und körpersprachlichen Aspekte der Fernsehdebatte heute Nacht!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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