Warhols Mondgöttin

Von Nicole Maisch · 18.07.2008
Als Nico vor 20 Jahren starb, wurden ihr im Ausland viele Nachrufe gewidmet. In Deutschland allerdings nahm das Feuilleton ihren Tod kaum zur Kenntnis. Dabei gehörte sie jahrelang zum engsten Kreis um den amerikanischen Pop-Art-Künstler Andy Warhol. Sie spielte in Warhols Film "Chelsea Girls" mit und sang auf dem Debütalbum der Band "Velvet Underground".
"Shrieking city sun shiver in my veins / In flames I run / In flames I run / Waiting for the sign to come"
Nicos "Nibelungenlied" führt weit zurück in die Kindheit der Sängerin: 1938 als Christa Päffgen in Köln geboren, im Berliner Umland groß geworden, hat sie den Himmel während des Zweiten Weltkriegs immer wieder brennen sehen und schon als kleines Kind ihren Vater an dieses Inferno verloren.

"Will you spell the words for me to hear / Nibelungen / Nibelungen / Nibelungen land"

Das Land, in dem sie geboren wurde, ist ihr nie zur Heimat geworden.

"Ich bin auch keine Deutsche, ich bin nur ganz wenig deutsch."

Es zieht sie in die Ferne. Doch ein Zuhause findet sie nirgendwo, denn fremd ist sie vor allem sich selbst.

Für die große, weite Welt ist Christa Päffgen nur das eine: auf teutonische Art und Weise schön. Ebenmäßige Gesichtzüge, blondes Haar und der statuenhaft hoch gewachsene Körper machen die Tochter einer Schneiderin zur "Greta Garbo des Rock'n Roll". International und androgyn nennt sie sich selbst Nico, betont so ihr Fremdsein und entzieht sich schon Dank des Namens jeglicher Zuordnung.

"I've no regrets. No. Except that I was born a woman instead of a man."

Frau sein, das hieß für Nico lange, den Warenwert ihres Körpers zu nutzen. Als 15-Jährige wird sie vom Ku'damm weg für die Modewelt entdeckt. Die eigene Schönheit verführt zu allererst das Mädchen selbst: Die Kunstfigur Nico darzustellen wird Christa Päffgens Beruf. Sie modelt, wirbt für verschiedenste Produkte, feiert Partys in Paris, London und Rom, spielt sich selbst in Fellinis "La Dolce Vita" - und ermüdet zusehends am eigenen zu süßen Leben. Auch ihr Umzug in die USA für einen Vertrag bei der Agentur Eileen Ford und Schauspielunterricht bei Lee Strasberg ändert daran nichts.

"Well, I've been living in New York since 1959 modelling for Fords. Until I took up acting lessons with Lee Strasberg and Marilyn Monroe was in my class. Very exciting."

Mitte der 60er Jahre macht Andy Warhol das Topmodel zu einem seiner Superstars und bringt es in der von ihm protegierten, damals noch unbekannten Band "The Velvet Underground" als singenden Blickfang unter. Nico bleibt Projektionsfläche, auch für die Männer, mit denen sie das Bett teilt: Bob Dylan, Jim Morrison oder Lou Reed.

Letzterer schreibt ihr drei Songs für "The Velvet Underground & Nico". 1967 kaum wahrgenommen, gilt die Platte heute als Klassiker der Rockgeschichte. Während die Hippies mit Love & Peace den Zeitgeist bestimmen, erzählt diese erste LP der Velvets grausam und provokant von Drogensucht, Gewalt und Lebensüberdruss. Es sind Nicos Themen. Ihre lang gehegte Sehnsucht, sich auszudrücken und nicht nur auszustellen, wird immer stärker. Sie schreibt und komponiert erstmals selbst, John Cale arrangiert die Stücke. "The Marble Index", 1968 veröffentlicht, ist Nicos düsterer Neubeginn.

Von nun an gibt sie den Blick in ihr Inneres frei und verweigert den auf ihren Körper. Weite, schwarze Kleidung und dunkel gefärbtes Haar machen aus Warhols Mondgöttin einen morbiden Schmerzensengel.

Ihre Soloplatten sind keinem Genre zuzuordnen. Experimentelle Avantgarde und mittelalterliche Litanei zugleich, erinnert die verzweifelte Ausweglosigkeit ihrer Musik an die gequälte Seele der deutschen Romantik. Schon längst aber hat Nico viel mehr als nur ihr Land hinter sich gelassen. Wenig hält sie noch im Leben. Ihr Sohn Ari Boulogne:

"And that she was fighting by creating. Create to exist, she told me many times. Or: Do or Die."

"Kreieren um zu existieren" - für beides braucht Nico Heroin. Nur der Schuss, den sie sich setzt, lässt sie auftauchen aus den Untiefen ihres selbst gemauerten Kerkers. Nicht richtig am Leben, aber noch lange nicht tot, strebt Nico zwei Jahrzehnte lang dem Ende entgegen. Am 18. Juli 1988 erreicht sie es. An einer Hirnblutung stirbt an diesem Tag eine der wichtigsten Ikonen der 60er Jahre.

Ausstellung:
In Köln ist im Herbst eine Ausstellung dem Leben der Christa Päffgen gewidmet: "Nico - Stationen einer Popikone" eröffnet am 15. Oktober im Museum für Angewandte Kunst.