Wanderbewegungen unserer Urahnen

28.05.2009
Durch sein klares Design veranschaulicht dieser "Atlas der Vorgeschichte" vorbildlich die Geschichte Europas von der Zeit vor etwa 1,7 Millionen Jahren bis zur Zeit des römischen Imperiums. Übereinandergelegte Karten machen deutlich, welche Wege in der Vorzeit möglich waren, als man vom Ural bis Irland trockenen Fußes laufen konnte.
In Europa gibt es nach den bisherigen Erkenntnissen der Forschung seit ca.1,7 Millionen Jahren Menschen. Die Archäologie dokumentiert und deutet all die Fundstücke, die Licht auf das Leben unserer Vorfahren werfen und uns so eine Vorstellung vermitteln von ihren Leistungen, denen wir es letztendlich verdanken, dass wir heute so leben können, wie wir es tun.

Der Begriff der "Vorgeschichte", der dem Atlas zugrunde liegt, bedeutet, dass es sich um den unvorstellbar langen historischen Vorlauf unserer noch nicht durch schriftliche Quellen fassbaren Ahnen handelt. Der Atlas, der durch sein klares Design komplexe Inhalte für alle interessierten Benutzer vorbildlich veranschaulicht, führt von der Zeit um ca. 1,7 Millionen Jahren bis hin zur Zeitenwende, als fast das gesamte Europa durch die Expansion des römischen Imperiums kulturell über Schriftquellen auf ganz neue Weise für das kollektive Gedächtnis erschließbar wurde.

Wer versucht, sich durch die Lektüre der bisher veröffentlichten Forschungsergebnisse über die Geschichte des europäischen Teils der Menschheit sachkundig zu machen, stößt auf viele Hindernisse, da es so gut wie unmöglich ist, sich eine genaue Vorstellung zu machen von der durch dramatische Umwälzungen ständig veränderten Bühne Europas. Karten sind da für die Vorstellung unerlässliche Hilfsmittel.

Wenn ich in die Vorgeschichte durch die Hilfe chronologisch übereinandergelegter Karten wie in der Geologie durch verschiedene Schichten gleichsam räumlich hineinsehen sehen kann, und begreife, wie Europa vor 1,7 Millionen Jahren aussah und es dann viel viel später - eiszeitbedingt - verändert war, als der Meeresspiegel 120 Meter tiefer lag und man unser Europa vom Ural bis ins westliche Irland trockenen Fußes durchqueren konnte, dann haften die Informationen über die Lebensbedingungen und die Überlebensleistungen unserer Vorfahren ganz anders im Gedächtnis, als wenn man sich selbst ohne die erforderlichen Grundkenntnisse Bilder zusammenreimt, die einer seriösen Überprüfung nicht standhalten können.

Wer sich das Vergnügen gönnt, mit Hilfe dieses Atlasses langsam die europäische Geschichte zu erschließen, wird feststellen, wie kulturell komplex und spannend der hundertprozentige Migrationshintergrund ist, den alle Bewohner Europas gemeinsam haben. Die Erforschung dieser Geschichte ist eine gesamteuropäische Leistung vieler Einzeldisziplinen, deren derzeitigen Stand uns der Atlas in Bild und Text auf vorbildliche Weise nahe bringt.

Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr

Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Atlas der Vorgeschichte. Europa von den ersten Menschen bis Christi Geburt
Theiss Verlag, Stuttgart 2009
240 Seiten mit 120 Karten und rund 150 farbigen Abbildungen, 49,90 Euro