Wahrheitssplitter über eine vermeintliche Kindsmörderin

Von Eberhard Spreng · 17.01.2010
Mit "Taking Care of Baby" bringt Sascha Hawemann ein Stück über die Unmöglichkeit der wahrhaftigen Dokumentation im Deutschen Theater in Berlin auf die Bühne.
Donna leider unter dem Leeman-Keatley-Syndrom, einer übergroßen Sensibilität für die schlechte Lage der Welt und das erklärt, warum sie ihre geliebten Kinder getötet hat. Das zumindest behauptet der Psychiater Dr. Millard, der mit dieser These Karriere machen will.

In Dennis Kellys Stück wird er von einem Reporter genauso über das vergangene Geschehen befragt wie alle anderen Figuren: Donnas Mutter Lynn, die als Lokalpolitikerin Karriere macht, als auch Donnas Ex Martin und Lynns Freund Jim. Ihre Antworten sprechen diese – nicht selten von der Vorderbühne - direkt ins Publikum, so als hätte dies die Position des recherchierenden Autors, eines fragenden Ermittlers übernommen.

Statt englische Justizskandale um vermeintliche Kindsmörderinnen unmittelbar zu dokumentieren, hat sich Dennis Kelly in dieser Doku-Fiction in die Dramaturgie des Stücks mit eingeschrieben.

Der Zuschauer, der bis zum Schluss nicht sicher sein kann, ob Donna ihre Babys wirklich ermordet hat, ist Varianten und Splittern der Wahrheit auf der Spur. Er lernt vor allem denen zu misstrauen, die wie die von Barbara Schnitzler sehr überzeugend verkörperte Politikerin Lynn mit Wahrheiten hausieren geht. Und er interessiert sich für Figuren, die wie Donnas Ex-Mann Martin (Moritz Grove) seine Wahrheit vor der Öffentlichkeit schützen will.

Sascha Hawemann inszeniert das Stück über die Unmöglichkeit der wahrhaftigen Dokumentation präzis in einem nüchternen weißen Raum. Der Schriftzug, der anfänglich auf die Authentizität der jeweils folgenden Aussagen hinweist, zersetzt sich zunehmend zu einem verbröselten Gebrabbel. Auf der Strecke bleibt zum Schluss nicht die Wahrheit, aber der Glaube, sie jemals in den Medien geboten zu bekommen.