Wahre Kings und Queens der Spiele

Von Lorenz Maroldt, Tagesspiegel · 11.08.2012
Am Ende der Olympischen Spiele in London zeige sich mal wieder, dass so manches in Wahrheit ganz anders ist, als es am Anfang schien. Vor allem gelte das für die Deutschen - für Sportler, Politiker und Funktionäre, kommentiert Lorenz Maroldt, Chefredakteur des Berliner "Tagesspiegels".
Kurz vor dem Ende der Olympischen Spiele von London ist die wichtigste Entscheidungen gefallen: Die Goldmedaille der Herzen ist der Queen nicht mehr zu nehmen. Grandios, wie sie die gesamte Weltkonkurrenz auf die Plätze verwies. Der kleine Film zur Eröffnungsfeier, in dem sie am Ende an der Seite von James Bond mit einem Fallschirm über dem Olympiastadion aus einem Hubschrauber sprang, hat Milliarden Zuschauer gerührt und begeistert.

Und die Sportler ihres Vereinigten Königsreichs hat diese Szene offenbar dermaßen gepusht, dass sie auf Platz drei im Medaillenspiegel sprangen, gleich hinter den Großmächten China und den USA.

Natürlich war die Queen nicht selbst gesprungen, sondern ein Double, und selbstverständlich ist keine Goldmedaille aus reinem Gold. Überhaupt zeigt sich am Ende mal wieder, dass so manches in Wahrheit ganz anders ist, als es am Anfang schien. Vor allem gilt das für die Deutschen - für Sportler, Politiker und Funktionäre.

Das zeichnete sich schon recht bald ab. Denn statt ein Sportmärchen mit dem Titel "Paul Biedermann und die Badenixen" zu schreiben, erlebte Deutschland im Becken ein Debakel. Da gingen mehr als nur ein paar Medaillenhoffnungen unter. Wie es scheint, haben die vereinten Bundesrepublikaner das Schwimmen verlernt. Aus Sicherheitsgründen sollte wohl besser ein Teil der Sportförderung zur DLRG umgeleitet werden.

Doch da ist der Verteidigungsminister vor: Thomas de Maiziere, der seine etwas lahmen Sportsoldaten in London besuchte, will den Spitzensport, und zwar nur diesen, weiter unterstützen, er sieht darin "eine glänzende Werbung" für seine Truppe. Allerdings hatten diesmal ausgerechnet die deutschen Schützen einen krummen Lauf - oder einen Knick in der Optik.

Das gilt bei diesen Olympischen Spielen allerdings auch für einige der schwarz-rot-goldenen Verbandsfunktionäre. Als die erhoffte Medaillenflut ausblieb, lief ihnen der Mund über. Die einen verteidigten die mäßige Ausbeute mit dem unpassenden Hinweis auf den vermeintlich friedfertigen Charakter der Deutschen, die anderen mit der mutigen Moralerklärung, sauber und rein von verbotenen Mittelchen verliere es sich doch recht angenehm.

Dann gab es noch jene, die meinten, bei den Sportlern einen gewissen Hang zur Gleichgültigkeit zu spüren, was ihnen wiederum einen sehr engagierten Angriff der Athleten einbrachte. Dem schloss sich auch der Goldkanute Sebastian Brendel an, ebenso Diskuskönig Robert Harting, der wieder einmal nicht nur die Trikotindustrie zum Zerreißen schön auf die Folter spannte.

Jedenfalls gab es viel Ärger im deutschen Team, und auch Gewichtheber Michael Steiner schien ja weniger unter seiner Hantel zusammenzubrechen, als vielmehr unter der Last der Erwartung. Den Tiefpunkt aber setzte ganz standesgemäß der Chef selbst: Michael Vesper, Generalsekretär des deutschen olympischen Sportsbundes, holte Blech in der deutschen Paradedisziplin "Hilflose Hysterie". Als Schirmherr der Kampagne "Wir rudern nicht mit Nazis" verabschiedete er eine bis dahin weitgehend unbekannte Rostockerin wegen ihres rechtsradikalen Freundes vorzeitig nach Hause. Damit machte er sie für ein paar Tage belastend berühmt und schenkte der leicht gelangweilten deutschen Öffentlichkeit eine denkwürdige Debatte über Gesinnung und Sippenhaft.

Das ist, eindeutig, ein Fall für den Bundesinnenminister, und so fühlte sich auch Hans-Peter Friedrich für London nachnominiert. Es blieb allerdings nur bei einem Kurzauftritt mit einer peinlichen Pirouette: Erst forderte Friedrich von deutschen Sportlern ein Bekenntnis zur Demokratie, dann ruderte er ganz schnell zurück. Für einen neuen Extremistenerlass war der Fisch dann wohl doch ein bisschen zu klein.

Schießen und Weglaufen, also Biathlon, das ist, und bleibt die deutsche Paradedisziplin, aber eben nur bei den Winterspielen. Spiegelfechten? Leider noch nicht olympisch. Hoch zu Ross? Diesmal eher nicht. Aber trotz allem: Schön war es doch! Herrliche Bilder gab es aus Großbritannien, strahlende Überraschungssieger, aber auch ein paar seltsame: Der alternde Radprofi Alexander Winokurov gehört ganz sicher dazu, die kindlich-junge Schwimmerin Ruta Meilutyte ebenso. Die Dopingbilanz ist noch offen.

Eine andere aber ist klar: Michael Phelps hat sich in die ewige Heldengeschichte Olympias geschwommen, Usain Bolt ist dorthin gerannt. Ja, der Blick gilt immer auch dem Medaillenspiegel. Wo sind eigentlich diesmal die Russen geblieben? Aber die wahren Kings und Queens der Spiele sind Sportler, nicht Länder.

Schön war's. Und in vier Jahren geht's weiter, am Strand von Rio. Ach ja, wie passend: Im Beachvolleyball waren wir diesmal gar nicht so schlecht.
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