Wahre Autorität hat nur ein demokratischer Staat

Von Peter Bender · 22.07.2007
Es war ein Satz, der aus dem gewohnten Politik-Einerlei heraus fiel und aufhorchen ließ: "Der Bundesregierung stellt man keine Ultimaten". Die Bundeskanzlerin sagte es zu den türkischen Verbänden, die das Gespräch mit ihr verweigerten, weil sie an einem Gesetz nichts ändern wollte. Der Satz ist selten, weil er etwas einfordert, das Seltenheitswert bekommen hat, nämlich Respekt vor der Autorität des Staates. Autorität des Staates hat nichts mit autoritärem Staat zu tun, nichts mit Staatsverehrung oder Staatskult. Im Gegenteil: Wahre Autorität hat nur ein demokratischer Staat, weil seine Repräsentanten und damit seine Regierung vom Volk gewählt sind.
Aber Demokratie wird hierzulande oft ganz anders verstanden: Man darf nicht nur sagen, was man meint, man darf auch tun und sich benehmen, wie einem gerade zumute ist. Die türkischen Verbandsfunktionäre trugen ihre Forderungen nicht der Regierungschefin vor, die ein großes Programm für die Türken vorlegt, sie machten sich und ihre Sache wichtig mit einem Knalleffekt: Gespräch verweigern und demonstrieren macht mehr her als diskutieren. Da steigen alle Medien ein. Aber die Türken haben diese Methode nicht erfunden und hätten sie wohl kaum angewandt, wenn es nicht auch sonst üblich sein würde, Argumente durch Demonstrationen zu ersetzen. Was dabei verkommt, sind nicht nur zivile Umgangsformen, sondern auch die Autorität des demokratischen Staates.

Aber daran ist nicht zuletzt dieser Staat selbst schuld. Vor vier Jahren sagte der Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz in der Sonntag-Abend-Sendung "Sabine Christiansen": "Diese Sendung bestimmt die politische Agenda in Deutschland mittlerweile mehr als der Deutsche Bundestag." Diese Klage ist vielfach zu hören. Was ins Parlament gehört, findet in Fernsehen, Funk und Bild-Zeitung statt. Die Medien werden wichtiger als die Volksvertretung. Politiker fast aller Parteien beklagen es, aber tun nichts, um es zu ändern. Sie liefern sich den Medien aus und werden entsprechend behandelt. Man muss nur einmal hören, wie flotte junge Damen mit flinkem Mundwerk im Funk einen Abgeordneten ankündigen. Oder wie Interviewer mit Politikern umgehen, nur manche finden eine Mitte zwischen Liebedienerei und Frechheit. Oder wie in einer Talk-Runde Minister und Abgeordnete brav in ihren Sesseln warten, bis ihnen das Wort erteilt wird.

Wie soll man einen Bundespräsidenten achten, der sich sein Sommerfest von der Wirtschaft bezahlen lässt? Die Bundesländer machen es bei ihren Festen ebenso. Sieben- oder achthundert Tausend Euro soll das Präsidenten-Fest gekostet haben. Von wem waren die Staatsbürger ins Schloss Bellevue eingeladen, vom Staatsoberhaupt oder von den Herren der Konzerne? Es koste den Steuerzahlen keinen Cent, so wird das Verfahren angepriesen, ein Schnäppchen für den Bundespräsidenten, der sein Fest umsonst bekommt.

Umsonst, das Lieblingswort des deutschen Konsumenten. Aber ist die Bundesrepublik Deutschland ein Konsument? Oder ist sie verpflichtet, Vorbild zu sein als ordentlicher Hausvater, der nur ausgibt, was er hat? Und wenn er kein Geld zum Feiern hat, aufs Feiern eben verzichtet. Unerträglich und unverantwortlich ist, dass sich der Staat von der Wirtschaft aushalten lässt, um sich als Staat dem Volke zu präsentieren. Über wachsende Politikverdrossenheit wird unablässig geklagt, um die politikferne Jugend macht man sich immer mehr Sorgen, aber wie sollen die jungen Leute einen Staat ernst nehmen, der sich sponsern lässt wie jeder Fußballverein?

"Einer Bundesregierung stellt man keine Ultimaten", erklärte die Bundeskanzlerin den türkischen Verbänden. Dieser seltene, gute Satz bedarf einer Bestätigung: Er muss auch gesagt werden, wenn die Mächtigen der Wirtschaftsverbände Forderungen stellen.

Peter Bender, promovierter Althistoriker, ist seit 1954 Journalist und beschäftigt sich seitdem besonders intensiv mit dem Ost-West-Verhältnis in Deutschland und Europa. 1968/69 arbeitete er ein Jahr im Internationalen Institut für strategische Studien in London, von 1973 bis 1975 war er ARD-Hörfunk-Korrespondent in Warschau. Peter Bender ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderen "Unsere Erbschaft. Was war die DDR - was bleibt von ihr?", "Die Neue Ostpolitik und ihre Folgen. Vom Mauerbau bis zur Vereinigung" und "Episode oder Epoche? Zur Geschichte des geteilten Deutschland".