"Waffen an sich sind nicht das Böse"

Tilman Brück im Gespräch mit Gabi Wuttke · 07.01.2013
Nicht schön, aber realistisch sei die Einschätzung, dass die Vereinten Nationen das Recht auch mit Waffengewalt durchsetzen sollten, sagt Tilman Brück, Direktor des Friedensforschungsinstituts in Stockholm. Manchmal müsse man Kriege führen, um für eine legitimierte Ordnung zu sorgen.
Gabi Wuttke: "Frieden" ist ein großes Wort. Ihn zu befördern, hat sich vor 46 Jahren Sipri zur Aufgabe gemacht, das Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm. Es hat in diesen Tagen einen neuen Chef bekommen, den Wirtschaftswissenschaftler Tilman Brück, bislang beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin. Einen schönen guten Morgen, Herr Brück!

Tilman Brück: Guten Morgen!

Wuttke: Was ist für Sie Frieden?

Brück: Frieden ist mindestens die Abwesenheit von Gewalt zwischen den Menschen. Aber darüber hinaus erfordert Frieden auch noch, dass die Einzelnen, aber auch die Gruppe oder auch einzelne Länder sich quasi verwirklichen können, dass man sich frei betätigen kann, ohne Angst haben zu müssen. Das geht weit hinaus über die Abwesenheit von Gewalt, aber das ist sozusagen die Mindestdefinition.

Wuttke: Wie passt es zusammen, dass Sie als neuer Chef von Sipri nicht alle Militäreinsätze rundheraus ablehnen?

Brück: Militäreinsätze zwischen den Ländern können vergleichbar sein mit Polizeieinsätzen im Landesinneren. Wir brauchen weltweit, genauso wie wir es auch in unserer Gesellschaft brauchen, eine Kontrolle von Gewalt, nicht die komplette Abwesenheit. Der Staat oder die Vereinten Nationen oder andere zwischenstaatliche Bündnisse müssen auch die Aufgabe haben, Recht und Ordnung durchzusetzen, notfalls, als Notlösung, mit Gewalt. Das ist nicht schön, aber das ist realistisch. Und manchmal muss man Kriege führen, um wieder für legitimierte Ordnung zu sorgen.

Wuttke: Aber wird nicht jeder Einsatz von Waffen im geopolitischen, sag ich mal, Teufelskreis dann auch wieder mit Waffen beantwortet, auch wenn, so wie Sie es sagen, Militäreinsätze gibt, die nicht nur legitimiert sind, sondern auch kontrolliert?

Brück: Also wenn ich auf der Straße in einem Rechtsstaat einen Polizisten treffe, der vielleicht bewaffnet ist, aber jetzt vielleicht die Waffe nicht in der Hand führt, dann mache ich mir darüber ja nicht unbedingt Sorgen. Das heißt, die Waffen an sich sind nicht das Böse. Man kann mit Waffen aber böse Sachen machen. Und das Problem ist, wer hat welche Waffen zur Verfügung und was tun die Personen damit oder die Institutionen. So wichtig es ist, zu wissen, wo welche Waffen vorhanden sind, gleichzeitig kann es nicht das Ziel sein, die Waffen per se insgesamt abzuschaffen. Also zu wenig Waffen kann dann auch wieder gefährlich sein, auch wenn in den meisten Situationen unserer Welt leider es insgesamt zu viele Waffen gibt.

Wuttke: Sie sind gelernter Nationalökonom, und eine spannende Frage ist für Sie, was die wirtschaftlichen Chancen von Frieden sind. Was genau meinen Sie damit?

Brück: Frieden ist eigentlich ein tolles Geschäftsmodell. In friedlichen Zeiten kann die Wirtschaft florieren, können Individuen sich verwirklichen, können die Menschen sich frei verhalten und bewegen und ihre Potenziale realisieren. Das Problem ist, dass es keine privatwirtschaftlich organisierten Akteure gibt, die dieses Konzept fördern wollen. Wenn wir zum Beispiel den Fernbusverkehr erlauben, dann gibt es Firmen, die möchten diese Fernbusse in Deutschland betreiben. Aber wenn wir Frieden fördern, ist das ein sehr indirekter Nutzen für sehr viele.

Wir haben also ein Problem, den Frieden kollektiv zu organisieren, weil es wenig einzelne Akteure gibt, die den massiv vorantreiben möchten. Das ist also eine staatliche Aufgabe. Aber in den Prioritätenlisten des Staates, da gibt es viele Themen, die wichtig sind, Inflationsbekämpfung und so weiter. Und von daher muss man dafür sorgen, dass Frieden oben auf der politischen Agenda bleibt. Man muss die Informationen bereitstellen, den Frieden zu schaffen, die deutlich machen, warum Frieden so wichtig ist, auch aus wirtschaftlicher Sicht.

Wuttke: Die Sipri-Jahrbücher über den Stand der weltweiten Rüstung werden öffentlich stark wahrgenommen, aber um anzuknüpfen an das, was Sie gerade gesagt haben: Haben Sie schon in Berlin bedauert, wie wenig die Politik sich praktischerweise um Daten und Fakten schert, die diese Welt ein bisschen friedlicher machen könnten?

Brück: Ja, das ist immer schwierig für die Wissenschaft allgemein. Es ist nicht nur in der Friedensforschung so, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oft von der Politik nicht wahrgenommen werden. Entweder weil es nicht ins Konzept passt oder weil es nicht so einfach ist. Die Wissenschaft liefert ja selten einfache Antworten. Von daher ist es, glaube ich, unabhängig jetzt von dem Thema Frieden, immer schwierig für Wissenschaft und Politik, im Dialog zu bleiben und miteinander zu reden, sodass es für beide Seiten relevant ist. Die Wissenschaft hat die Tendenz dazu, sich etwas abzukapseln, aber die Politik genauso.

Wuttke: Wollen sie denn tatsächlich lernen? Haben Sie den Eindruck?

Brück: Ich glaube, es gibt einige, die wollen das, aber vielleicht gibt es auch einen Unterschied zwischen den – ich sag mal, den Praktikern der Politik und den Spitzenpolitikern, deren Aufgabe es eher ist, sich und ihre Parteien zu vermarkten und zu verkaufen, die aber relativ wenig ins Detailgeschäft der politischen Entscheidungen eingebunden sind.

Wuttke: Wenn Sie also Begegnungen dieser Art aus Ihrem beruflichen Alltag der letzten Jahre kennen und das positive Erfahrungen sind, die das Frustrationspotenzial dann auch ein bisschen absenken – was stellen Sie sich jetzt für Sipri vor?

Brück: Ich glaube, Sipri kann zwei wichtige Funktionen erfüllen: Einerseits kann es durch die Daten, die wir selber herstellen, und die Publikationen Transparenz schaffen. Und wir können zeigen, was Trends sind bei Waffenhandel, Waffenproduktion, bei Abrüstungsfragen, bei Militärausgaben von Staaten. Gleichzeitig können wir in unsere eigene Community, in unsere eigene Gemeinschaft hineinwirken und dort zeigen, was es noch für andere wichtige Themen gibt, und so auch Einfluss nehmen nicht nur auf die Politik und die Gesellschaft, aber auch eben in der Wissenschaft selber bestimmte neue Schwerpunkte zu setzen.

Wuttke: Das heißt, Sie würden den Schwerpunkt jetzt eher auf die Community legen und nach den Erfahrungen, die Sie ja auch gemacht haben, nicht so sehr in eine neue Außenwirkung gehen? Denn das Sipri-Jahrbuch ist das eine, aber es ist ja in vielen Fällen auch das Einzige, womit Sipri in der großen Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Brück: Also ich möchte die Verbindung aus beiden herstellen: Ich könnte mir vorstellen, dass einerseits die ganze wirtschaftliche Analyse von Frieden insgesamt noch viel stärker an Gewicht – sowohl bei Sipri als auch insgesamt – zunehmen wird. Zum Beispiel, wie Unternehmen sich positionieren. Was können sie tun, um ihre Gesellschaften sicher zu machen? Auch Fragen der, ich sag' mal, inneren Sicherheit des Friedens in den reichen Staaten der Welt. Zum Beispiel das Gefühl von Sicherheit, das Menschen haben. Es gibt ein hohes Maß an Unsicherheitsgefühl bei den Bürgern. Viele Menschen in Europa fühlen sich, was Gewalt, Terrorismus, Konflikte angeht, sehr stark bedroht, obwohl das oft objektiv gar nicht gerechtfertigt ist.

Das sind auch Aufgaben für die Polizei zum Beispiel, aber auch für die Medien. Es geht darum, wie man gesellschaftliche Diskussionen führt, wie scharf die Töne sein können, wie über gewalttätige Ereignisse berichtet wird. Es kann durchaus sein, dass die Rolle der Medien dazu beiträgt, die Unsicherheit der Bürger zu stärken. Und wenn wir uns das bewusst machen, kann das schon ein erster wichtiger Schritt dahin sein zu verstehen, woher dieses große Unsicherheitsgefühl kommt, das viele Menschen haben.

Wuttke: Wir haben dieses Gespräch begonnen mit der Frage, was für Sie Frieden ist. Vielleicht schließen wir es ab mit der Frage, ob für Sie auch Worte Waffen sind?

Brück: Ja, ich glaube, dass Worte sehr verletzend sein können und Worte auch mit Bedacht gewählt werden können. Ich glaube, ein respektvoller Umgang miteinander gehört auch zu einer friedlichen Welt.

Wuttke: … sagt im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur Tilman Brück, der neue Direktor des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Tilman Brück
Tilman Brück© dpa / picture alliance / Sipri
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