"Wähler in Großstädten eventuell wählerischer"

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Holger Hattinger · 23.05.2011
Nach dem Wahldebakel für die CDU in Bremen hat der Vorsitzende der Jungen Union, Philipp Mißfelder, seiner Partei empfohlen, sich breiter aufzustellen, weil sie mit einem einzigen Thema nicht gewählt werde. Er warnte davor, "sich bei den Grünen anzubiedern."
Holger Hattinger: München, Berlin, Hamburg und natürlich Bremen, in den meisten Großstädten kann sich die CDU nicht mehr richtig durchsetzen. Vor allem in der Hansestadt kann einem die Spitzenkandidatin der Christdemokraten fast leid tun – nur knapp über 20 Prozent, das ist das schlechteste Ergebnis bei einer Bürgerschaftswahl seit 1959. Mit Rita Mohr-Lüllmann ist die CDU sogar nur noch drittstärkste Kraft in Bremen. Die Grünen kommen nach aktueller Prognose auf 22,5 Prozent, das sind sechs Punkte mehr als 2007, und stärkste Kraft bleibt die SPD mit 38,6 Prozent der Stimmen.

Am Telefon ist jetzt Philipp Mißfelder, Vorsitzender der Jungen Union. Guten Morgen, Herr Mißfelder!

Philipp Mißfelder: Guten Morgen!

Hattinger: Was hat die Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann falsch gemacht?

Mißfelder: Ach, da möchte ich mich gar nicht groß zu äußern. Ich habe den Wahlkampf in Bremen bei einer einzigen Veranstaltung nur erlebt, ich kann sagen, dass ich dort einen recht positiven Eindruck auch von ihr gewonnen habe, ich kenne sie ja auch aus der Zusammenarbeit aus dem Bundesvorstand der CDU, und es ist bei solchen Ergebnissen nicht so, dass es einer Person liegt und dass man sagen kann, das war jetzt die Schuldige und deshalb dort abgestempelt gehört.

Ich glaube, sie hat sich da wacker geschlagen, und in so einer Situation muss man jetzt auch nicht noch nachtreten.

Hattinger: Nun ist es so, dass man fast den Eindruck haben könnte, in Bremen sei es ein Ritual, die SPD zu wählen. Tritt die CDU bei der nächsten Bürgerschaftswahl gar nicht mehr an?

Mißfelder: Also so treten wir ja gar nicht an und das ist ja auch nicht unsere Ausrede oder so etwas. Es sagt ja keiner, Bremen ist immer so und deshalb brauchen wir jetzt daraus keine Schlüsse ziehen, sondern das ist natürlich – das haben ja auch Kollegen von mir gestern gesagt – eine schmerzhafte Niederlage und auch kein Einzelfall, denn wir haben ja auch in Hamburg schlecht abgeschnitten. Und da hat man gesehen, dass der großstädtische, urbane Strategieansatz eben nicht gezogen hat, den wir verfolgt haben, und das muss uns auch weiter beschäftigen und das muss auch gründlich analysiert werden.

Hattinger: Da sind Sie erst am Anfang, aber es fällt natürlich auf, dass – wie es der Generalsekretär der CDU, Hermann Gröhe, gestern formuliert hat – die Volkspartei CDU es auf dem Land leichter habe als in der Stadt. Woran liegt das?

Mißfelder: Na ja, kann man ja jetzt auch nicht so richtig sagen, bei allem Respekt gegenüber unserem Generalsekretär. Wir haben in Baden-Württemberg, in einem unserer Stammländer, zwar, was die absoluten Stimmen angeht, ja einiges dazugeholt, aber es ist ja trotzdem so, dass wir da auch eine Wahl verloren haben in einer Hochburg.

Man kann jetzt nicht sagen, die CDU ist jetzt per se auf dem Gewinnerticket auf dem Land und auf einem Verliererticket in der Stadt. So ist das nicht, sondern es gibt schon so ein bisschen eine Stimmung gegen uns gerade, die müssen wir auch ernst nehmen, und deshalb muss man auch die Landtagswahlen alle in Summe sehen.

Hattinger: Gut, trotzdem sieht es so aus, wenn man jetzt mal vielleicht von Köln und Frankfurt am Main absieht, dass in den Großstädten München, Berlin, Hamburg, Bremen es die CDU schwer hat gegenüber SPD und vor allem jetzt auch den starken kommenden Grünen. Was hat das für Gründe?

Mißfelder: Ja, es wird ja seit Jahren landauf, landab in der CDU schon diskutiert. Es gab mal eine Kommission "große Städte" unter Leitung von Jürgen Rüttgers, jetzt soll es solche ähnlichen Ansätze wieder geben. Es wird weiter diskutiert werden. Ich glaube einfach, dass sich in großen Städten die CDU mit einer sehr zersplitterten Wählerschaft ja auch zum Teil schwertut.

Schauen Sie sich einfach die Umfrageergebnisse in Berlin an, wie sie seit Monaten in einer Achterbahnfahrt rauf und runter gehen. Zwar für die CDU nicht, da sind sie konstant niedrig, aber für die anderen Parteien, die da um Platz eins spielen – SPD, Grüne oder auch der Absturz der Linkspartei in Berlin. Das zeigt schon, dass die Wähler in Großstädten eventuell wählerischer sind.

Und das heißt eben, dass man dort auch vielleicht andere Antworten finden muss, vielleicht auch ganz breit sich aufstellen muss. Das haben wir ja früher auch in Städten getan. Die CDU in Berlin unter Richard von Weizsäcker war beispielsweise extremst breit aufgestellt, sie hat ganz breit eben auch im konservativen Bereich gefischt, an anderer Stelle auch sehr liberal und sehr geöffnet sich präsentiert.

Und vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn Volksparteien sich auch auf ihren ursprünglichen Charakter als Volkspartei, nämlich vor allem auch in der Breite auch in Großstädten darstellen. Mit einem einzigen Thema wird die CDU nicht gewählt und nicht gepunktet. Das geht vielleicht für die Grünen gut, wird sich dann aber bei der nächsten Wahl auch wieder einrenken.

Hattinger: Ich nehme jetzt mal auf, was Sie gerade gesagt haben, breit aufstellen und im konservativen Milieu fischen, aber auch bei den Liberalen. Die CDU-Spitzenkandidatin in Bremen zumindest hätte sich auch eine Koalition mit den Grünen vorstellen können, mit einer grünen Bürgermeisterin. Sie halten das für eine ganz schlechte Idee, warum eigentlich?

Mißfelder: In Bremen muss das die Bremer CDU selbst entscheiden, in Hamburg hat die CDU das ja selbst entschieden und hat damit ja auch eine erfolgreiche Koalition gemacht – zumindest für ein paar Wochen war die erfolgreich, danach nicht mehr. Es ist so, jeder muss das selber vor Ort bei sich entscheiden. Es kann ja auch funktionieren – im Saarland funktioniert es ja auch.

Es ist aber in der Tat so, dass ich glaube, dass der Höhenflug der Grünen nur dadurch bestärkt werden würde, wenn wir ihnen jetzt hinterherrennen würden. Jetzt ist noch bis zur nächsten Bundestagswahl sehr viel Zeit, und bis dahin wird sich auch noch sehr viel verändern, deshalb sind diese Wahlergebnisse zwar ein Warnschuss, aber haben mit der nächsten Bundestagswahl relativ wenig zu tun.

Wenn wir aber auch wollen, dass das nicht so kommt, dass die Grünen bei den nächsten Bundestagswahlen Rekordergebnisse einfahren, dann muss man sie angreifen, dann müssen wir die Auseinandersetzung suchen, auch im Deutschen Bundestag, fragen, wofür sie letztendlich auch stehen, und vor allem den wichtigsten Punkt aufgreifen, dass die grünen Politiker meilenweit von der Wählerschaft der Grünen entfernt sind. Ich sehe es ja im Bundestag und in der Auseinandersetzung dort. Da müssen wir einfach angreifen, und dann glaube ich auch, werden wir einen Keil zwischen die Wählerschaft der Grünen und das Spitzenpersonal der Grünen treiben können.

Hattinger: Habe ich Sie gerade richtig verstanden, die grünen Politiker seien meilenweit von der grünen Wählerschaft entfernt?

Mißfelder: Es gibt ja wählersoziologische Untersuchungen, welches Milieu wählt welche Partei, das hat sich ein Stück weit für die FDP zum Negativen entwickelt. Die sogenannten Besserverdiener, wie die FDP sich ja früher auch selber gerne tituliert hat, wählen doch schon lange nicht mehr FDP. Das war vielleicht noch bei der letzten Bundestagswahl der Fall, aber es drängeln sich ja gerade auch bei den Grünen Freiberufler, Selbstständige. Diejenigen, die auch unternehmerischen Geist beweisen können, drängeln sich ja auch bei den Grünen, auch weil sie eben damit einer gewissen Haltung auch Ausdruck verleihen wollen.

Es hat aber nichts mit der wirtschaftspolitischen Kompetenz der Grünen tatsächlich zu tun, die ja von Vorstellungen wie Bürgergeld ausgeht, von mehr Umverteilung ausgeht, von höheren Steuern ausgeht. Und ich glaube, diese Themen muss man auch aufgreifen, und dann wird man auch sehen, dass sich das grüne Führungspersonal sich ja wirklich sehr, sehr weit von der Wählerschaft entfernt hat. Das hat wirklich nichts miteinander zu tun. Es hat nach der letzten Bundestagswahl einen sehr großen Linksruck auch innerhalb der Fraktion gegeben – Hans-Christian Ströbele gibt heute dort den Ton an –, das hat aber nichts mit der Wählerschaft der Grünen zu tun.

Hattinger: Sie haben vorhin gesagt mit Blick auf Hamburg, man könne sich durchaus Koalitionen mit den Grünen vorstellen, gleichzeitig gibt es seit März eine Kampagne der Jungen Union, die heißt "Grün kannste knicken". Das klingt ein bisschen widersprüchlich.

Mißfelder: Dann muss ich das noch mal klarstellen, damit da kein Missverständnis entsteht. Die Hamburger CDU hat selbst entschieden, dass sie eine Koalition machen will mit den Grünen. Das muss jeder selber entscheiden, ist meine Meinung, jeder Landesverband, aber jeder Landesverband muss auch gucken, wo man dabei landet. Und wir haben gesehen, wo die Hamburger dabei gelandet sind, dass sie mit den Grünen koaliert sind, nämlich bei einem desaströsen historischen Niedergangsergebnis.

Und deshalb kann ich eigentlich nur jedem abraten, sich bei den Grünen anzubiedern. Das wird unsere Wählerschaft uns im Kern sehr übel nehmen, und dann ist eben auch nichts mehr mit der Gleichung, dass wir auf dem Land besonders gut abschneiden.

Hattinger: Philipp Mißfelder war das, er sitzt für die CDU im Bundestag und ist Vorsitzender der Jungen Union. Herr Mißfelder, ich bedanke mich für das Gespräch!

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