Vorstadtdrama versus Bilderrätsel

Vorgestellt von Hannelore Heider · 25.04.2007
In "Little children" geht es vor allem um verunsicherte Erwachsene in einer Vorstadtsiedlung. Provoziert durch einen aus verbüßter Haft entlassenen Pädophilen werden sie in ihrer verlogenen Bigotterie bloßgestellt. David Lynchs neuer Film "Inland Empire" zeigt eine Heldin, die sich in eine unselige Melange aus Film- und Lebenswirklichkeit verstrickt.
"Little Children"
USA 2006, Regie: Todd Field, Darsteller: Kate Winslet, Jennifer Connelly, Patrick Wilson, ab 16 Jahren

"Little Childern" ist der Titel für den zweiten Spielfilm von Regisseur Todd Field ("In the Bedroom"). Little children klingt so fragil wie schutzbedürftig, doch solche Schutz befohlenen Wesen gibt es gar nicht mehr in diesem Film. Schon kleine Kinder sind Monster oder werden von ihren frustrierten Eltern so empfunden. Selbst nichts anderes als unglückliche, verunsicherte groß gewordene "little children" fühlen sie sich provoziert durch einen aus verbüßter Haft entlassenen Pädophilen, der in einer schmucken Vorstadtsiedlung an der Ostküste die braven Bürger in hysterische Paranoia treibt - womit der Handlungsrahmen dieses Vorstadtdramas abgesteckt ist.

Anknüpfend an Todd Fields ersten Spielfilm "In the Bedroom" und angelehnt an berühmte Vorbilder wie "America Beauty" oder "Magnolia" werden die wohl situierten Versager in logisch miteinander verknüpften Episoden aber nicht satirisch vorgeführt, sondern in all ihrer Jämmerlichkeit vor uns hin gestellt. Das allerdings so nackt und bloß, dass uns das blanke Mitleid packt.

Denn ihre Makel bestehen eigentlich aus zeihlichen Sünden, wie sexuelle Gier, Abenteuerlust, Verspieltheit, Naivität oder Hilflosigkeit. Was das Ganze so monströs macht und auch wirklich Monster wie den Kinderschänder gebiert, ist die verlogene Bigotterie, angesichts derer moralische Werte einfach nicht mehr verinnerlicht werden. Da ist der Film allen seinen Helden gegenüber gnadenlos. Sie müssen sich in dieser dramatischen Falle fangen, so glaubhaft die durchweg guten Darsteller auch dagegen anspielen. Im Kontrast zur eleganten Dramaturgie und Kameraführung wirkt diese ideologische Zwangsjacke befremdlich.

"Inland Empire"
USA/Polen u.a. 2006, Regie: David Lynch, Darsteller: Laura Dern, Jeremy Irons, Harry Dean Stanton, ab 12 Jahren

Mit seinem neuen Film gibt Kultregisseur David Lynch einmal mehr seinen Zuschauern Rätsel auf und das durchaus gewollt, denn nicht auf intellektuelles Verstehen kommt es ihm an, sondern die Erfahrung, die jeder Einzelne im Kino mit dem Erleben seines Films machen kann. Wie schon in "Mullholland Drive" ist der Schauplatz Hollywood und für die angekündigte "Film-im-Film-Geschichte" scheint man vertraute Sehmuster aktivieren zu können, um in das befürchtet kryptische Lynch-Bilderrätsel einsteigen zu können.

Doch die Hoffnung trügt. Der am Anfang einer glücklichen Hauptdarstellerin (Laura Dern) von einer mysteriösen Nachbarin verkündete Fluch liegt nicht nur über den Dreharbeiten zu einem neuen Film, sondern auch über dem Leben der Protagonistin. Denn wie im Drehbuch für die obsessive Liebesgeschichte vorgegeben, verstrickt sie sich selber in eine unselige Melange aus Film- und Lebenswirklichkeit.

Doch wenn der Zuschauer mit detektivischer Wachheit die verschiedenen Realitäts- und Traumebenen um das Filmprojekt noch identifizieren kann und daran Freude hat, scheitert das Vorhaben, David Lynchs Labyrinth zu entwirren durch die Einführung immer neuer, beklemmender real wirkender oder auch völlig surrealer Lebens- oder Spielebenen (?) für die Film(?)-Heldin, deren zunehmend lebensbedrohliche Sprengkraft keine rationale Erklärung mehr hat.

Laura Dern hängt in einem Albtraum, aus dem es kein Entrinnen mehr zu geben scheint und es ist allein der außergewöhnlichen Darstellungskraft dieses sensiblen, nahezu alterslosen Gesichts zu danken, wenn man bis zum Schluss gefangen bleibt. Was sicher nicht jedem, auch David-Lynch-Fan, gelingen wird.