Vorsorge für Atomunfall

Wie sinnvoll sind Jodtabletten?

ARCHIV - Dampf steigt am 12.04.2016 in Huy (Belgien) aus Kühltürmen dem Atomkraftwerk Tihange des Betreibers Electrabel.
Das Atomkraftwerk im belgischen Tihange sorgt im 70 Kilometer entfernten Aachen für Ängste: An Meiler 2 gibt es Tausende Mikrorisse. Was, wenn es zum Ernstfall kommt? © Oliver Berg/dpa
Ortwin Renn im Gespräch mit Dieter Kassel · 01.09.2017
Ab heute werden in der Region Aachen vorsorglich Jodtabletten ausgegeben. Sie sollen für den Fall eines Atomunfalls im nahen belgischen Kernkraftwerk Tihange gegen Strahlung schützen. Der Umweltsoziologe Ortwin Renn sieht das zwiespältig.
Jodtabletten hätten auch Nebenwirkungen, sagt Renn. Menschen über 45 Jahre dürften sie auch in Aachen nicht einnehmen - wegen möglicher Nebenwirkungen. Man müsse abwägen: "Macht es Sinn, das vorsorglich schon auszugeben und man weiß nicht genau, was mit den Tabletten dann passiert?" Allerdings: "Es ist sicher, dass - wenn man tatsächlich eine radioaktive Wolke hat mit viel radioaktivem Jod - dass dann eine vorsorgliche Einnahme einer Jodtablette hilft, dass das radioaktive Jod nicht aufgenommen wird."

Angst führt zu innovativem Verhalten

In Deutschland sei die Angst vor Kernkraftunfällen besonders groß, da man hier in einer ansonsten "relativ risikoarmen Welt" lebe. Im Falle von Fukushima 2011 sei es zu der "paradoxen" Situation gekommen, dass mehr Menschen in Deutschland freiwillig Jodtabletten gekauft hätten als in ganz Japan. "Das sagt etwas auch über Befindlichkeit aus", meint Renn. Dass aus der Atomkatastrophe von Fukushima hierzulande etwas Positives entstanden sei - der Atomausstieg - führt der Wissenschaftler vor allem darauf zurück, dass es Alternativen gebe. Das sei vor 20, 30 Jahren noch nicht so klar gewesen.
Renn spricht von zwei "Typen von Menschen": dem Kampftypen und dem Fluchttypen. Ersterer freue sich, etwas tun zu können und fühle sich durch Jodtabletten im Haus beruhigt. Fluchttypen seien eher verängstigt und würden Gefahren aus dem Weg gehen. Generell sei Angst aber ein "wichtiger Sensor, der uns zu neuem, innovativem Verhalten führt", so Renn. (bth)
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