Vorauseilender Gehorsam gefährdet Kunstfreiheit

Von Uwe Friedrich · 26.09.2006
Nach ihrer Entscheidung, die Oper "Idomeneo" vom Spielplan zu nehmen, um mögliche Proteste und Anschläge zu vermeiden, steht die Intendantin der Deutschen Oper Berlin in der Kritik. Vorauseilender Gehorsam gegenüber islamistischen Extremisten gefährde bürgerliche Freiheiten, lautet der Vorwurf. Harms verteidigte sich mit dem Hinweis auf Sicherheitsbedenken.
Als Kirsten Harms vor die Presse trat, befand sich die Intendantin der Deutschen Oper Berlin in der Defensive. Ihre Entscheidung, die bereits bei der Premiere heftig umstrittene Inszenierung der Mozart-Oper "Idomeneo" aus Angst vor Störungen oder Angriffen abzusetzen, ist allgemein stark kritisiert worden. Kirsten Harms beruft sich nun auf ihre Verantwortung gegenüber den Angestellten und Gästen von Berlins größtem Opernhaus. Mitten im Urlaub habe sie einen Anruf des Berliner Innensenators Erhard Körting erhalten, der auf eine durchaus ernstzunehmende Bedrohung hingewiesen habe.

Harms: "Eine Sicherheitsbehörde, die eine Fachbehörde ist, hat eine Einschätzung abgegeben. Würde ich diese ignorieren und sagen, wir spielen trotzdem oder jetzt erst recht, und es würde etwas passieren, so würde jeder im Nachhinein, so würde jeder mit Recht sagen, sie hat sich über die Warnung des Innensenators als auch des Landeskriminalamtes hinweggesetzt."

Viel genauer war auch in der heutigen Pressekonferenz nicht zu erfahren, worin die anonyme Bedrohung denn bestand. Doch Kirsten Harms zitiert die Worte des Innensenators.

"Er hat gesagt, er liebt die Deutsche Oper sehr, fährt oft an ihr vorbei und möchte nicht erleben, dass sie nicht mehr da ist. Also, ich habe sozusagen diese Information des Innensenators durchaus als dramatisch empfunden, aber weitere hinweise hat er mir so nicht gegeben, was da direkt vorläge."

Ground Zero an der Berliner Bismarckstraße? Das klingt vielleicht doch etwas übertrieben. Die Berliner Polizei betont jedenfalls inzwischen, es habe keine konkrete Bedrohung vorgelegen und es sei allein Entscheidung der Deutschen Oper gewesen, die Wiederaufnahme von "Idomeneo" abzusagen. Anlass der Sicherheitswarnung ist eine etwa anderthalbminütige Szene am Ende der Oper. Der abgetretene König Idomeneo kehrt noch einmal zurück und zieht aus einem blutigen Sack die abgeschlagenen Häupter Poseidons und der Religionsgründer Jesus, Buddha und Mohammed.

Nach dem Anruf des Innensenators setzte Kirsten Harms auf Sicherheit und hat sich damit heftige Kritik eingehandelt. Vorauseilender Gehorsam gegenüber religiösen Extremisten gefährde die bürgerlichen Freiheiten gleichsam von innen heraus, so lautet nun der Vorwurf. Eine Gefahr, die auch Kirsten Harms sieht. Deshalb wünscht sie sich nun eine Diskussion über die Sicherheitslage und den Zusammenhang mit der künstlerischen Freiheit.

Dass sie selber mit ihrer in aller Stille gefassten Entscheidung diese Diskussion erst richtig aufgeheizt hat, schien ihr erst während der Pressekonferenz richtig klar zu werden. Die zahlreich angereisten Journalisten setzten sie ordentlich unter Druck und hätten gerne von der Intendantin gehört, wie sie sich den Umgang mit der terroristischen Bedrohung konkret vorstellt. Hier jedoch blieb Kirsten Harms vage in ihren Antworten und wies immer wieder darauf hin, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handele, dass breit diskutiert werden müsse.

Ebenfalls auf der Pressekonferenz in der Deutschen Oper anwesend war der Berliner Künstleranwalt Peter Raue. Er vertritt in dieser Angelegenheit den Regisseur Hans Neuenfels. Raue zeigte sich vor allem erbost über die schnelle Kapitulation vor der allzu vagen Bedrohung und fürchtet die Folgen dieser Entscheidung.

"Dann allerdings beginnt erst die Diskussion, ob der Schlag notwendig war. Ich bin ja nicht der Meinung, dass die Kunstfreiheit schrankenlos gewährt ist. Und da, denke ich, hat die Intendanz schwere Fehler gemacht. Sie hat niemals mit einem Menschen vom LKA gesprochen. Wir haben auf der Pressekonferenz erfahren, vor einer Stunde haben sie das erste Mal die Lageeinschätzung bekommen. Ja, da kann ich nur auf Bayerisch sagen, Himmel, Arsch und Zwirn, da muss man eben vorher mal recherchieren und dann sagen, ob es nötig ist. Und dann muss man sagen, wenn das nötig ist, muss man sich mal über die Konsequenzen einig sein. Morgen müssen wir die 'Entführung aus dem Serail' absagen, weil ja da auch Muslims vorkommen. Übermorgen vielleicht 'Nathan der Weise', weil da auch Muslims vorkommen, der keine sehr gute Rolle spielt."