Vor der Weltklimakonferenz Paris (4/7)

Energiehungriger Riese USA

Ein Fracking-Bohrturm nahe Tunkhannoclk, Pennsylvania
Fracking-Bohrturm nahe Tunkhannoclk, Pennsylvania, USA © dpa / picture alliance / Jim Lo Scalzo
Von Andreas Horchler · 23.11.2015
In unserer mehrteiligen Reihe zu der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 geht es in dieser Sendung um amerikanische Klimapolitik. Barack Obama wollte eigentlich als Klima-Präsident in die Geschichte eingehen, in den USA haben Kohle-, Öl- und Gas-Industrie jedoch weiterhin Priorität.
UN-Klimasekretärin Christiana Figueres:
"Die Augen der Welt werden sich im Dezember auf Paris richten. Aus gutem Grund …"
Dr. Daniel Hill, Leiter des Energieinstituts an der Texas A&M Universität in College Station.
"Geht man vom jetzigen Verbrauch aus, haben die USA Erdgasreserven für 500 Jahre."
Donald Trump, Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei:
"Wenn ich Obama höre, der sagt, der Klimawandel sei unser Problem Nummer 1. Das ist doch Irrsinn."
Präsident Barack Obama:
"Es gibt keinen Plan B."
Eagle Ford Shale, Texas. Die staubigen Straßen sind verdreckt, ein 30-Tonner nach dem anderen jagt über die North Harborth Avenue in Three Rivers, Texas, eine Autostunde südlich von San Antonio. Die Laster fahren Rohöl und Erdgas aus den Frackingfeldern zu den Raffinerien in Corpus Christi oder Houston. Die Menschen hier interessieren sich für den Ölpreis, nicht für eine ferne Klimakonferenz in Paris mit ihren komplizierten internationalen Verträgen, nicht für die Umweltpolitik des Präsidenten.
Sam Garcia schüttelt den Kopf. Der stämmige 50-Jährige ist Bürgermeister der Gemeinde. Vor zwei, drei Jahren lebten hier plötzlich 8000 Menschen. Die Ölarbeiter hatten in Hotels, auf Campingplätzen und in Trailerparks gewohnt. Sie haben ihr Geld in der Stadt ausgegeben, für Schlägereien gesorgt und Prostituierte angezogen. Drogen wurden gehandelt. Das war ein Riesenproblem, erzählt Garcia. Jeder hat hier doch jeden gekannt. Bis zum Ölboom 2011, 2012.
Dann aber fiel der Preis. Pro Fass Öl, das aus dem Schiefer gesprengt wurde, erlösten die Ölfirmen plötzlich weniger als 50 Dollar. War der Fracking-Boom nun Fluch oder Segen?
"Das kann beides sein. Es ist schon ein Segen, dass hier eine Menge Handel stattfindet. Es spült eine Menge Geld in eine kleine Stadt wie unsere. Es macht aber auch Kopfschmerzen. 28.000 Fahrzeuge fahren jeden Tag durch Three Rivers!"
USA führender Anbieter von Erdgas
In Karnes City, 50 Kilometer weiter nördlich laufen die Fracking-Geschäfte prächtig.
Als George Mitchell Anfang des neuen Jahrhunderts die beiden Technologien des hydraulischen Aufbrechens von Gesteinsformationen und des horizontalen Bohrens zusammenbrachte, entstand, was heute verkürzt als "Fracking" verstanden wird. Amerika wurde in wenigen Jahren ein führender Anbieter von Erdgas und ein bedeutender Ölproduzent.
Rancher David Martin Philip, der bei fünf, sechs Grad Außentemperatur Shorts trägt, ist 64, sammelt Autos, betreibt drei Radiostationen, ein Restaurant, hat ein Vermögen mit Öl und Erdgas gemacht. Er hat sein Land an die Frackingfirmen verpachtet.
Und was verdient er dabei?
"25 Prozent, gar nicht schlecht"
Ein Leben ohne oder mit weniger Öl? Nicht denkbar! Obama verhält sich wirtschaftsfeindlich, die Europäer sind Spinner, die in einem Luftschloss mit Windrädern und Solaranlagen leben. Der Klimawandel? Nicht mehr als eine Schlagzeile. Das sagt Philip nicht ins Mikrofon, ist aber sicher, dass er vielen Amerikanern aus der Seele spricht. Denjenigen, die nicht auf ihre Sechs- und Achtzylinder-Karossen verzichten wollen, die ihre Häuser ohne Wärmedämmung elektrisch heizen und kühlen.
16 Tonnen Kohlendioxid hat statistisch jeder Amerikaner im Jahr 2013 nach Berechnungen des "Global Carbon Project" ausgestoßen, 7,4 Tonnen jeder Chinese, 6,8 Tonnen jeder Einwohner der europäischen Union.
Präsident Obama gibt sich beim Klima entschlossen.
"Gegen den Klimawandel vorzugehen ist eine moralische Verpflichtung."
Also verordnete Obama, die Emissionen der Kraftwerke kräftig herunterzufahren. Das betrifft vor allem die Kohle. Die US-Erdöl- und Erdgasproduktion hat aber gleichzeitig vor allem dank Fracking letztes Jahr ein nie dagewesenes Niveau erreicht, für Jobs und steigende Unabhängigkeit von Importen gesorgt. Der Klimapräsident frohlockte:
"Es sieht so aus, als wären wir das Saudi-Arabien beim Erdgas."
Erdgas für schädliche Emissionen verantwortlich
Die Klimabilanz der Erdgasverstromung ist günstiger als die der Kohle, aber das in Amerika "natürliches Gas" genannte Erdgas ist trotzdem ein fossiler Energieträger, der für schädliche Emissionen verantwortlich ist.
Harlan County, Kentucky. Appalachia, Coal Country oder einfach das Armenhaus Amerikas. Von West Virginia bis Tennessee reichen die Kohlefelder. Harlan County, Kentucky, ist Schauplatz des "Krieges gegen die Kohle". Wo früher Stollen in den Berg getrieben wurden, ist das Mittel der Wahl beim Kohlebergbau heute "Mountain Top Removal". Bergkuppen werden mit Dynamit gesprengt, die Kohle wird aussortiert, es bleiben Mondlandschaften.
"Quit coal", steht auf einem Transparent mit übergroßer Sonnenblume im "Mountain Justice Camp". Im kleinen Empfangszelt begrüßt Dusty Metzler die Neuankömmlinge. Er ist 18, barfuß, sitzt entspannt auf seinem Hocker. Dusty fordert wie alle hier "Gerechtigkeit für die Berge". Die Kohleindustrie soll endlich damit aufhören, die Berge abzutragen.
"In der Berggegend ist es schwer, einen Job zu finden. Also sind viele für die Kohle und manche gegen den Tagebau. Das ist so ein Konflikt in unserer Gemeinde. Eine Seite blockiert, die andere nicht. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll."
Hat Dusty jemanden überzeugen können?
"Negativ, ich habe versucht, Leute zu überreden, aber ich denke, die haben ihre eigenen Vorstellungen."
Gegenüber steht schweres Gerät bereit. Ein paar Minenarbeiter stehen in schmuddeligen Blaumännern und gelben Plastikhelmen an ihren Lastwagen. Der Mittvierziger Chico, der viel älter aussieht, zieht die Schultern hoch
"Der Kohlebergbau, das ist kein Job, das ist unser Leben. Das haben wir im Osten von Kentucky. Das ist alles, was wir haben."
Es kracht.
Obama wirbt für "Clean power plan"
Präsident Obama verordnete über die Umweltagentur EPA um ein Drittel schrumpfende Emissionen.
"Zurzeit sind unsere Kraftwerke an gut einem Drittel der Kohlendioxidemissionen schuld. Das ist mehr Verschmutzung als unsere Autos, unsere Flugzeuge und unsere Wohnhäuser zusammen verursachen. Diese Verschmutzung befördert den Klimawandel und verschlechtert die Luft, die unsere Kinder einatmen. Und es hat nie eine gesetzliche Obergrenze für diese Emissionen gegeben. Denken sie einmal darüber nach! Mit diesem 'Clean power plan' wird die Kohlenstoffbelastung durch unsere Kraftwerke 32 Prozent niedriger als vor einem Jahrzehnt sein. In Zahlen ausgedrückt: Wir werden 870 Millionen Tonnen Kohlendioxid von unserer Atmosphäre fernhalten."
In den Kohlerevieren und bei den Kraftwerksbetreibern begann ein Sturm der Entrüstung.
Das ist ein Krieg gegen die Kohle, sagte der republikanische Mehrheitsführer im US-Senat Mitch McConnell aus Kentucky:
"Mittlerweile ist klar, dass diese Regierung und diese Agentur einen Krieg gegen die Kohle erklärt haben. Für Kentucky bedeutet das einen Krieg gegen Arbeitsplätze und unsere Wirtschaft."
Es gab viel Beifall für McConnell, aber auch klare Kritik. Im Rathaus des kleinen Ortes Whitesburg, Kentucky hat Dee Davis sein Büro. Der dickliche Lockenkopf mit großer Brille leitet das Büro für ländliche Strategie. Die Diskussion um die Kohlearbeitsplätze, die Hatz auf den Präsidenten und seine Umweltgesetzgebung, das Gerede vom Krieg gegen die Kohle. Alles Unsinn, findet Davis.
"Die Politiker sind eine Bande von Lumpen. Sie sagen alles, wenn es ihnen nur Wählerstimmen bringt. Und die Politik folgt der Kultur. Das Übergangsstadium weg von der Kohle ist hier ziemlich reif, ziemlich durch."
Windräder hinter einem Farmhaus als Teil des Smoky Hills Wind Projekts in Lincoln und Ellsworth Counties nahe Lincoln, Kansas, USA
Windräder hinter einem Farmhaus als Teil des Smoky Hills Wind Projekts in Lincoln und Ellsworth Counties nahe Lincoln, Kansas, USA© picture alliance / dpa / epa Larry W. Smith
Smoky Hills, Kansas. Platte, windige Prärie. Dodge City ist in der Nähe, früher einmal Viehverladestation der Welt, heute eine Kleinstadt wie hunderte andere in Amerika. Die Verdienstaussichten sind nicht gut, vielen Farmern hier erschien die Idee, Geld mit dem fast immer wehenden Wind zu verdienen, so verlockend wie ihren Kollegen in Iowa oder Westtexas. Landwirt James Shultz.
"Ich wollte erst einmal klein anfangen um zu sehen, wie die Dinge laufen. Mein Motiv war einfach die Idee, meine eigene Energie zu gewinnen."
Viele Farmer in der Region kamen bereits zu dem Schluss: Es funktioniert.
Der Branchenverband American Wind Energy Association meldet für 2014. Der Wind hat Strom für mehr als 18 Millionen Haushalte geliefert.
Insgesamt haben die erneuerbaren Energien in den USA einen Anteil von knapp unter 10 Prozent.
Der Wind hat in Iowa, Texas oder hier in Kansas besonders hohe Zuwachsraten. Spearville hat wie kaum ein anderer Ort vom Windkraft-Boom profitiert. Bürgermeister Ron Temaat ist begeistert.
"Wir haben 2006 Kansas City Power and Light willkommen geheißen, als sie 2006 zu uns kamen. Die Windfarmen waren für uns als Gemeinde eine große Chance, unseren Farmern eine neue Einkommensquelle zu erschließen. Dieses zusätzliche Einkommen hat unserer Hauptstraße sehr gut getan. Ob es um den Ersatzteilladen oder den Supermarkt geht. Ob es um unsere lokalen Jugendprogramme geht oder um Softball oder Football im Sommer. Das wissen wir sehr zu schätzen."
Rund um Dodge City müssen die Leute nicht mehr überzeugt werden. Die Windturbinen brachten Jobs und saubere Energie, in atemberaubendem Tempo bauen Firmen wie Siemens in den USA immer neue, immer effektivere Turbinen.
Aber auch wenn das US-Energieministerium prognostiziert, allein mit der Windkraft könnte Amerika bis 2030 mehr als ein Drittel der benötigten elektrischen Energie gewinnen, ist die tatsächliche Entwicklung kaum vorherzusagen.
Obama mit bisherigen Ergebnissen zufrieden
Billige Preise für vielfach subventionierte fossile Energieträger, eine unzuverlässige steuerliche Situation für diejenigen, die in regenerative Energien investieren gefährden die weitere Entwicklung.
Präsident Obama ist mit den bisherigen Ergebnissen zufrieden:
"Wir gewinnen drei Mal so viel Windenergie und 20 Mal mehr Sonnenenergie als 2008."
Houston, Texas. Hillman Zeissig ist Jurist. Vor über 30 Jahren wurde der deutsche Ölexperte nach Houston entsandt.
"Als ich nach Houston geschickt wurde und den Job beim Salzgitter-Konzern angenommen habe, dachte ich: Das ist wie wenn einem Modedesigner ein Job in Paris angeboten wird ... und ich richte den Geruch von Rohöl sehr gern."
Zeissig ist geblieben. Noch hoch in den 70ern verhandelt er internationale Verträge. Immer geht es um Öl und Gas.
Houston ist der richtige Ort dafür. Die am schnellsten wachsende Stadt der USA verdankt ihren Aufstieg den fossilen Brennstoffen, den Raffinerien, dem Hafen.
Chemiefirmen aus aller Welt, die für ihre Produktion Erdgas benötigen, kommen nach Houston. Der Rohstoff ist konkurrenzlos billig.
Die Stadt mit ihrem Ölhafen, der NASA, den zehnspurigen Straßen wirkt wie ein Gegenentwurf zu allen Bemühungen, weniger fossile Energie zu verbrauchen. Warum auch. Benzin ist dank Fracking-Öl und ungebremster Opec-Förderung billig wie lange nicht: 80 Eurocent pro Liter im Herbst 2015.
Jim Krane, Professor für Energiestudien an der Texas A&M Universität wundert sich nicht.
"Niedrige Kraftstoffpreise stehen in einem direkten Wettbewerb mit Windkraft und Solarenergie. Das hat also einen Effekt. Die Entwicklung hat definitiv den Enthusiasmus für Wind und Sonne gedämpft."
Kernkraft wird weiter eine Rolle spielen
Öl und Gas werden aus dem Boden geholt. Die Kernkraft wird im Energiemix der USA weiter eine Rolle spielen. Wenn auch die Frackingressourcen aufgebraucht sein werden, sollte Teersand aus Kanada an der Reihe sein, der über die Keystone XL Pipeline in den Süden der USA gepumpt würde. Zuletzt wollte die kanadische Betreiberfirma die Entscheidung über das Großprojekt auf die Zeit nach Obama vertagen. Ein republikanischer Präsident hätte Keystone XL wahrscheinlich zugestimmt, so das Kalkül. Obama nicht. Anfang November erteilte er der Pipeline und damit dem schmutzigen kanadischen Öl eine Abfuhr. Nach sieben Jahren zähen Verhandlungen. Sie hätte nur weniger Jobs gebracht. Sie hätte nicht für noch geringere Kraftstoffpreise gesorgt. Eine Zustimmung zur Keystone XL-Pipeline hätte Amerikas neuer Rolle als Anführer im Kampf gegen den Klimawandel geschadet.
"Eine Genehmigung hätte unserer Führungsrolle geschadet. Unser größtes Risiko ist, nicht zu handeln. Wir führen beispielgebend. Wenn wir weite Teile der Erde davor bewahren wollen, in unserer Lebensspanne nicht nur lebensfeindlich sondern sogar unbewohnbar zu werden, müssen wir einige fossile Brennstoffe eher im Boden lassen als sie zu verbrennen."
UN-Klimasekretärin Christiana Figueres hatte im Ausblick auf die Klimakonferenz gesagt:
"Die Augen der Welt werden sich im Dezember auf Paris richten. Aus gutem Grund."
Aus genau diesem Grund ist auch der Blick auf das Land geboten, das weiterhin für einen enormen Anteil der Schadstoffemissionen verantwortlich ist, das nur zögerlich beginnt, umzusteuern, das sich ohne wirtschaftliche Anreize zu langsam aus dem fossilen Zeitalter heraus begibt.
Präsident Barack Obama stellte fest:
"Ich freue mich auf das Treffen mit den anderen Weltpolitikern in Paris. Wir kommen dort zusammen, um einen ehrgeizigen Rahmen zu definieren; zum Schutz des einen Planeten, den wir haben."
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