Vor der Abstimmung im US-Senat

Kavanaugh kann auf Mehrheit hoffen

In dem Demonstrationszug hält ein Mann ein Plakat mit dem Kopf Kavanaughs und der Aufschrift "Kava - Nope" in der Hand. Im Hintergrund sieht man das Kapitol.
Trotz der Proteste gegen den Kandidaten des Obersten Gerichtshofs Brett Kavanaugh könnte er im US-Senat eine Mehrheit finden © Manuel Balce Ceneta / AP / dpa
Boris Vormann im Gespräch mit Axel Rahmlow  · 06.10.2018
Vor der Abstimmung im US-Senat wächst die Unterstützung für Brett Kavanaugh. Zwei entscheidende Senatoren kündigten an, dass sie für den umstrittenen Richter stimmen wollen - eine Mehrheit wird immer wahrscheinlicher. Der Politologe Boris Vormann analysiert die Polarisierung des politischen Systems.
Der umstrittene Richterkandidat Brett Kavanaugh kann auf eine Mehrheit im US-Senat hoffen. Zwei bisherige Wackelkandidaten unter den 51 Senatoren der US-Republikaner und sogar ein Senator der oppositionellen Demokraten haben sich hinter Kavanaugh gestellt.
"Wir sehen eine starke Polarisierung des politischen Systems", sagte der Politologe Boris Vormann im Deutschlandfunk Kultur. Das sei zum Teil eine strukturelle Frage, da die USA ein präsidentielles System mit zwei Parteien hätten. "Dann haben wir noch eine Medienlandschaft, die noch viel klarer gespalten ist, als das in Deutschland der Fall ist", sagte der Professor am Bard College Berlin. Er glaube, was jetzt ganz entscheidend zur Zuspitzung führe sei, dass die Justiz bislang ein einhaltgebietendes Organ gewesen sei. Deshalb pochten die Demokraten auch noch mal ganz besonders darauf, dass diese Nominierung ordentlich über die Bühne gehen sollte. Gleichzeitig sei es aber auch ein symbolischer Kampf.

Das Interview im Wortlaut:

Axel Rahmlow: Brett Kavanaugh wird seinen Sitz am Supreme Court bekommen, dem höchsten Gericht der Vereinigten Staaten. Gestern haben sich ein paar entscheidende Senatoren für ihn ausgesprochen, heute wird er demnach wohl gewählt werden mit einer knappen Mehrheit, aber das reicht auch völlig aus. Und das, obwohl ihn mehrere Frauen bezichtigt haben, sexuelle Übergriffe ihnen gegenüber geleistet zu haben, darunter auch die Psychologieprofessorin Christine Blasey Ford. Am Telefon ist Boris Vormann, er ist Professor für Politologie am Bard College Berlin. Schönen guten Morgen!
Boris Vormann: Guten Morgen!
Rahmlow: Herr Vormann, gehen wir mal davon aus, dass Brett Kavanaugh tatsächlich den Sitz bekommt. Und jetzt ungeachtet von der Frage, ob er schuldig ist oder ob er nicht schuldig ist, ungeachtet von der Frage, ob er ein Konservativer oder ein Liberaler ist: Ist er geeignet für das Amt?
Vormann: Ich glaube, so ganz unabhängig kann man das natürlich nicht beurteilen. Allerdings betonen die Republikaner vor allem, dass die Gemengelage zu unklar ist, dass zumindest das FBI keine schlüssigen Ergebnisse geliefert hat, dass er schuldig sei, und man ihn deswegen auch ins Amt übernehmen müsste. Gerade die Senatorin Frau Susan Collins aus Maine, die sehr mit sich gerungen hat, hat aufgrund dieser Faktenlage dagegen entschieden, sich gegen ihn auszusprechen.
September 27, 2018 - Washington, District of Columbia, U.S. - Christine Blasey Ford, the woman accusing Supreme Court nominee Brett Kavanaugh of sexually assaulting her at a party 36 years ago, testifies during his US Senate Judiciary Committee confirmation hearing on Capitol Hill in Washington, DC, September 27, 2018 |
Die erschütternden Aussagen der Professorin Christine Blasey Ford reichen vielen US-Senatoren nicht als ausreichender Beweis gegen die Ernennung von Brett Kavanaugh zum obersten Richter aus. © dpa
Rahmlow: Sie hat ja gestern eine gute Stunde da im Senat geredet und mit vielen Worten umschrieben, warum sie dann doch für ihn stimmt. Aber es ist sozusagen verziehen, dass er auch vor dem Senatsausschuss sich schon sehr emotional geäußert hat, viele sagen ja auch fast schon: wütend gegenüber seinen Gegnern gewesen ist?
Vormann: Das ist ein guter Punkt. Viele sagen auch, ganz unabhängig eben von dieser Faktenlage scheint er sich disqualifiziert zu haben durch die Art und Weise, wie er da aufgetreten ist. Sehr, sehr emotional, parteilich, vielleicht schon voreingenommen, viele haben ihm unterstellt – gerade vonseiten der Demokraten natürlich –, dass er die Rhetorik und auch das Vokabular der Republikaner genutzt hat, also dass er nicht unabhängig jetzt im Nachgang als Richter agieren kann.

Die Berufung als Politikum

Rahmlow: Die Frage ist: Sind nicht alle diese Richter in einem gewissen Maße schon voreingenommen? Sie werden ja vom Präsidenten bestimmt, der der einen oder anderen Partei angehört.
Vormann: Völlig richtig, und deswegen ist das auch immer ein Politikum. Die Richter des Obersten Gerichtshofs werden auf Lebenszeit berufen, das heißt, da kann man sehr nachhaltig und langfristig Politik mit bestimmen. Und deswegen ist es natürlich immer eine wichtige Entscheidung. Wir erinnern uns, vor zwei Jahren, im März 2016, also im letzten Amtsjahr von Barack Obama wollte er einen freigewordenen Richterplatz mit dem nominierten Merrick Garland besetzen und da haben sich dann die Republikaner quergestellt und gesagt, das kann nicht passieren im letzten Amtsjahr und wir warten bis nach der Präsidentschaftswahl. Und politisch waren sie erfolgreich damit.
US-Präsident Barack Obama stellt Richter Merrick Garland (rechts) als Kandidaten für die Nachfolge des verstorbenen Supreme-Court-Richters Antonin Scalia vor. 
Unter US-Präsident Barack Obama gab es heftigen Streit um die Berufung von Richter Merrick Garland (rechts) als Kandidaten für den Supreme-Court. © imago/ZUMA Press
Rahmlow: Jetzt haben sie ihren zweiten Kandidaten höchst wahrscheinlich durchbekommen. Ist es aber gleichzeitig auch den Demokraten mit zu verdanken, dass dieses Gericht so hoch politisch ist, oder ist das nur den Republikanern zu verdanken?
Vormann: Wir sehen eine starke Polarisierung des politischen Systems. Zum Teil ist das eine strukturelle Frage, das ist ein präsidentielles System mit zwei Parteien, das heißt, ganz grundsätzlich sehen wir schon eine starke Polarisierung. Dann haben wir noch eine Medienlandschaft, die noch viel klarer gespalten ist, als das in Deutschland der Fall ist. Und seit spätestens den 1980er-Jahren spricht man auch von den Kulturkriegen, von den "culture wars", wo sich die Demokraten und die Republikaner in gewissen Fragen ganz diametral gegenüberstehen.
Das heißt, das ist tatsächlich eine längerfristige Entwicklung. Ich glaube, was ganz entscheidend zur Zuspitzung führt und was man vielleicht hier noch mal betonen muss, ist, dass jetzt im Kontext von Präsident Trump die Justiz bislang ein einhaltgebietendes Organ war. Das haben wir in verschiedenen Instanzen gesehen und ich glaube, deswegen pochen die Demokraten auch noch mal ganz besonders darauf, dass diese Nominierung ordentlich über die Bühne geht. Gleichzeitig hat man auch versucht, das Momentum aus der Trump-Kampagne zu nehmen, gerade für die Kongresswahlen, und deswegen war das auch ein symbolischer Kampf.

Die Kongresswahlen im Blick

Rahmlow: Sie haben die Kongresswahlen angesprochen, die finden im November statt. Und beide Seiten versuchen ja jetzt, ihre Wähler durch diese Diskussion der letzten Wochen zu mobilisieren. Wer wird da erfolgreicher sein?
Vormann: Man betont es tatsächlich auf beiden Seiten. Die Republikaner sagen, viele seien jetzt aus der Lethargie aufgewacht, weil sie nicht wollen, dass jemand, sozusagen ein persönliches Schicksal in Mitleidenschaft gezogen wird, damit ist natürlich Brett Kavanaugh gemeint. Die Demokraten hingegen betonen, dass die FBI-Ermittlungen nicht ausreichend waren, und versuchen natürlich vor allem, Stimmen aus der Me-too-Bewegung zu gewinnen. Letztlich können wir nur einschätzen, wer da erfolgreicher war, nachdem die Kongresswahlen gelaufen sind.
Rahmlow: Kommen wir noch mal zurück auf den Supreme Court. Sie haben das ja gerade schon erwähnt, seit den 80er-Jahren im Rahmen auch des Kulturkampfes zwischen beiden Seiten ist das immer politischer geworden. Ist denn dieser Oberste Gerichtshof noch eine wirklich unabhängige Instanz, unabhängig von der Politik?
Oberster Gerichtshof der USA, der Supreme Court in Washington
Der oberster Gerichtshof in Washington ist in das Zentrum der politischen Auseinandersetzung gerückt. © picture-alliance/ dpa/dpaweb / Abaca Olivier Douliery 10143
Vormann: Ganz unabhängig kann sie nicht sein, aber der Grund natürlich, warum man die Obersten Richter auf Lebenszeit ernennt, ist, dass sie eine gewisse Unabhängigkeit bewahren. Und viele Richter haben dann auch gezeigt, nachdem sie berufen wurden, dass sie sich von der Politik losmachen konnten. Und das scheint auch die Einschätzung einiger Republikaner zu sein, ganz unabhängig von diesen Fragen des Kulturkampfes, dass Kavanaugh, wenn er dann im Amt ist, auch durchaus dafür einstehen würde, dass der Präsident auch nicht jenseits des Gesetzes oder über dem Gesetz steht.
Rahmlow: Ja, das ist ja ein großer Diskussionspunkt auch, die Frage, ob der Präsident, während er im Amt ist, zum Beispiel strafrechtlich verfolgt werden kann. Da geht es ja um die ganzen Vorwürfe der Zusammenarbeit mit Russland. Und da hat Kavanaugh ja auch eine eindeutige Meinung dazu.
Vormann: Richtig, und deshalb auch die Kritik der Demokraten. Kavanaugh hat sich nämlich relativ, sagen wir, lax oder locker gezeigt mit Blick auf die Regeln, die den Präsidenten betreffen. Ich glaube tatsächlich, dass auch Präsident Trump sich da einiges ausrechnet mit dieser Nominierung, und auch das ist eine weitere Dimension der Politisierung des Obersten Gerichtshofs.

Politisierung der unteren Gerichte

Rahmlow: Jetzt haben wir über den Obersten Gerichtshof gesprochen, es gibt ja aber viele untere Gerichte in den USA und auch da werden die Richter vom Präsidenten bestimmt. Kavanaugh zum Beispiel wurde ja schon von George W. Bush auf einen Sitz eines unteren Gerichtes gehoben und da haben ja sehr viele Senatoren damals zugestimmt. Bei diesen unteren Gerichten, wie sieht es da mit der Politisierung aus?
Vormann: Ja, da ist es ganz ähnlich. Aber ich glaube, was da bei den unteren Gerichten gilt wie auch beim Obersten Gerichtshof, ist, dass es in den USA eine Gewaltenteilung gibt, nicht nur eine horizontale Gewaltenteilung zwischen den verschiedenen Zweigen der Regierung, sondern auch eine temporale Gewaltenteilung und auch vor allem Checks und Balances, die zeitlich passieren.
Das heißt, nach zwei Jahren kommen die Kongresswahlen, die dann auch dafür sorgen, dass das Pendel nun wieder zurückschwingt und dass bestimmte Nominierungen nicht mehr möglich werden. Zum Teil diskutiert man bei den Demokraten auch schon, ob man mit Blick auf Kavanaugh gleich ein Impeachment-Verfahren anstoßen könnte oder zumindest die Ermittlungen des FBI noch mal überprüft, …
Rahmlow: Gegen Trump oder gegen Kavanaugh?
Vormann: Nee, gegen Kavanaugh, die jetzt durchgeführt worden sind letzte Woche, um zu sehen, ob man da nicht hätte mehr Zeugen befragen müssen und ob dieses Urteil, das jetzt entstanden ist über Kavanaugh, auch tatsächlich Bestand hat.
Rahmlow: Sagt Boris Vormann, er ist Politikwissenschaftler am Bard College in Berlin. Wir haben gesprochen über den wahrscheinlich nächsten Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Herr Vormann, herzlichen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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