Vor dem Absaufen

Von Andreas Wenderoth · 15.02.2009
Rund 125.000 Fässer mit radioaktivem Müll lagern in den Salzstöcken des niedersächsischen Bergwerks Asse II. Doch das erste unterirdische atomare Versuchsendlager in Deutschland ist weder trocken noch standfest.
Ein Gutachten gibt ihr noch bis zum Jahr 2014. Asse II - Zwischen Pest und Cholera. Ein atomares Versuchsendlager vor dem Absaufen.

Die Atomkraftgegnerin: "Im Landkreis Wolfenbüttel haben wir genauso viel Einwohner wie Fässer mit Atommüll unten in der Asse sind, also rund 125.000."

Der Landwirt: "Es ist ein erhebliches Unwohlsein unter den Landwirten, denn wie im privatem Leben, wenn man erst mal enttäuscht wurde, dann traut man der ganzen Sache nicht mehr so. Und wenn es sich um radioaktive Stoffe handelt, ist es noch viel extremer."

Der Bürger-Initiative: "Das Problem ist, wir haben Atommüll in einem Bergwerk und wir haben Wasserzuflüsse dazu, somit ist es der denkbar schlechteste Platz, dieses nasse Bergwerk."

Asse II – Zwischen Pest und Cholera. Ein atomares Versuchsendlager vor dem Absaufen. Eine Reportage von Andreas Wenderoth

Als sich die Tischlermeisterin Irmela Wrede 1995 im niedersächsischen Mönchevalberg an der Asse einen alten Bauernhof kauft, hat sie zwar gehört, dass im Berg, drei Kilometer entfernt, irgendwas eingelagert ist, aber da man in der Gegend wenig darüber spricht, denkt sie sich, so gefährlich wird das nicht sein.

Sie freut sich über jenen wunderschönen Flecken Natur, das alte Fachwerk, den riesigen Garten mit der Buchsbaumhecke und die Birnenbäume, die grade Früchte tragen. Sie hat sich einen Traum erfüllt. Heute hofft sie, dass es kein Alptraum wird.

"Das ganze Grundstück ist 4200 Quadratmeter mit Hofgebäuden und dem Garten, alles eigentlich ganz hübsch und idyllisch. Wir haben grad am Wochenende mit meinen Kindern einen Apfelbaum gepflanzt, es gibt ja diesen berühmten Spruch, und wenn morgen die Welt unterginge, so würde ich heut noch einen Apfelbaum pflanzen, haben wir auch gemacht, ich glaube daran, dass das hier lebenswert ist, und dass das hier gut geht und mit der Rückholung klappt, ich glaube nicht daran, dass ich morgen verseucht werde, sonst könnt ich hier auch gar nicht mehr leben. Aber ich weiß auch, dass wie hier dafür kämpfen müssen."

Irmela Wrede in rotem Strickpullover und Birkenstockschlappen, geht über den Hof in Richtung der Werkstatt, wo ihre fünf Angestellten mit der Restaurierung von Fenstern einer Jugendstilvilla beschäftigt sind. Im April 2007 hat die heute 42-Jährige vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg Klage gegen das Land Niedersachsen als Genehmigungsbehörde eingereicht.

"Entscheidend war für mich die Frage meiner Kinder, wenn die mal erwachsen sind, du Mama, du weißt doch, dass hier diese Atommülleinlagerung ist. Was hast du eigentlich dagegen getan? Aus genau dem Grund, hab ich gedacht, ich werde klagen, ich bin es Ihnen und allen Erwachsenen schuldig."

Sie geht hindurch durch Wolken von Holzstaub und erklärt, dass sich ihre Klage dagegen wendet, dass ein stark einsturzgefährdetes Bergwerk mit Atommüll 40 Jahre lang nach dem Berg- und nicht dem schärferen Atomrecht geführt wird.

Weil ihre Forderung seit dem Jahreswechsel erfüllt ist und das Bundesamt für Strahlenschutz den alten Betreiber ablöst, ist ihre Klage gegenstandslos geworden. Die Probleme sind es nicht. Frau Wrede schaut nachdenklich durchs Werkstattfenster in Richtung Asse, als sie warnend sagt:

"Der Berg hat einfach auch’n Eigenleben. Also das Salz ist n bisschen wie, ich sag mal, flüssiger Kuchenteig, ne, der sich einfach hin und herbewegt."

Da fällt ihr ein, dass im Herd noch etwas brutzelt, und sie verabschiedet sich in die Küche.

Im Schachtraum vor dem großen Förderturm wartet Anette Parlitz auf den Förderkorb, mit dem wir in die Asse II einfahren. Sie wendet an der Tafel ihre Marke von Grün auf Rot, damit sie im Ernstfall leichter geortet werden kann.

Jeder von uns trägt einen schweren Metallkasten über der Schulter, den so genannten Sauerstoffselbstretter, der im Fall von Rauchgasentwicklung das Überleben für mindestens eine Stunde sichert. Außerdem haben wir uns ein olivgrünes, chipkartengroßes Gerät um den Hals gehängt. So, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, sagt die Schachtführerin:

"Dann bekommen sie noch so etwas hier, das ist ein kleines Gerät mit Digitalanzeige, steht auf Null kommanullnullnull. Die Einheit dazu ist Mikrosievert, das ist ein sogenanntes Personenalarmdosimeter, das zeichnet auf, was sie für eine Strahlenbelastung unter Tage haben. Ist auf oooo gestellt worden, und ich bin sicher, wenn wir wieder hoch, zeigt es immer noch dasselbe an!"

Sonst hat man ein Problem. Die Schachtführerin Anette Parlitz, weißer Schutzanzug, blonder Pferdeschwanz, weist gern auf die hervorragende Abschirmwirkung des Salzes hin. Und dass die Strahlung über Tage höher ist als unten. Noch.

Unter Tage lagern rund 125.000 korrodierte Fässer mit schwach- und mittelradioaktivem Müll, die zwischen 1967 und 1978 ins Salz gefahren wurden. Doch das erste unterirdische atomare Endlager ist weder trocken noch standfest: Die Asse droht abzusaufen, ein Gutachten gibt ihr noch bis zum Jahr 2014. Frau Parlitz deutet eine Reihe von Problemen an.

Zehn Meter in der Sekunde geht es in die Tiefe, ein etwas mulmiges Gefühl, Salzgeschmack und staubige Luft, alle 100 Meter vier Grad wärmer, 13 Etagen herausgeschlagen aus einem mächtigen Salzstock, hinein in eine Geschichte aus Versäumnissen. Frau Parlitz hält sich am Gitter des Förderkorbes fest, in dem bis zu 14 Personen Platz finden.

In atemberaubenden Tempo – ohne die heute übliche Langzeitsicherheitsanalyse – wird Mitte der 60er Jahr genehmigt, dass das "Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt" ausprobieren darf, wie sich Atommüll in unterirdischen Salzstöcken einlagern lässt. Was Frau Parlitz nicht sagt: Die brisanten 200 Liter-Rollreifenfässer werden zum Teil einfach mit Baggerschaufeln bis unter die Decke hineingedrückt und die Lieferscheine so lässig ausgefüllt, dass bis heute nur vage bekannt ist, was dort alles im Berg schlummert. Auf der 750-Meter –Sole fahren wir mit dem Jeep an ein Absperrgitter und steigen aus. Die Schachtführerin leuchtet mit der Taschenlampe ins Dunkel:

"Hier sehen sie so weiße Tafeln, Radioaktivzeichen, Din A4 große Zettelchen gelbes Zeichen, Plastikkette, das ist ’n ganz normaler Abfallsack und Wischtücher, da sind ein oder zwei Einkubikmeterbehälter, das sind solche Behälter, in denen das bis Januar abgepumpt wurde, aber die stehen, weil sie möglicherweise kontaminiert wurden, eben hinter dieser Absperrung. Und hier sehen sie so was silbernes, zur Messung."

Bei gemütlichen 30 Grad sagt Frau Parlitz betont sachlich:

"Im Wesentlichen ist die Inkorporation gefährlich, also das Verschlucken. Nun handelt es sich immer um ein hochaufgesättigte Salzlösung, das ist´n reines Brechmittel, ist extrem widerwärtig, auch geschmacklich."
Insofern gar nicht so einfach, sich zu verstrahlen. Aber möglich. Radioaktive Lauge gibt es bisher nur an einer Stelle des Bergewerks. 50 Meter hinter der Absperrung, direkt vor Kammer 12, außerhalb der Reichweite unserer Taschenlampe befindet sich etwa zwei Quadratmeter großer Laugensumpf, der die zulässigen Grenzwerte bis zum 11 fachen überschreitet.

Vermutlich ist es keine besonders gute Idee gewesen, die Fässer in ein Bergwerk einzulagern, dass in den Dreißigerjahren mit nassen Resten aus der Kaligewinnung verfüllt worden ist. Aber es gibt noch eine Reihe von anderen Problemen, erklärt Frau Parlitz in routiniertem Redefluss: Wassereintritte aus dem Grundwasser und tektonische Verschiebungen, die vor allem seitlich auf das Bergewerk einwirken.

"Hier haben wir die stärkste Gebirgsverformung, hier haben wir auch Vermesserunkte, an denen man sehen kann, das Großteil der Bewegung, das Entfernung zwei Punkte sich nicht verändern, sondern das Ganze verschoben wird, und dadurch dann eben Stauchungen und Brüche entstehen, Einwanderungen von sechs Meter Baufeld in Südflanke. Also hier sieht man das ziemlich schön, wie stark zusammengestaucht das Ganze ist."

Das natürliche Fortbewegungsmittel in der weit verzweigten unterirdischen Anlage ist der Jeep, der wie alles, was größer ist als der Förderkorb, erst unter Tage zusammengesetzt wurde. Nur hin und wieder steigen wir aus. Die Luft staubtrocken, glatt und rutschig die Salzoberfläche. Ein Blick nach oben zeigt: Wir bewegen uns auf brüchigem Terrain: 14 Decken sind bereits eingestürzt, andere mit Maschendraht und Gebirgsankern gesichert, die sich wie Spreizdübel ins Gestein fressen.

Anette Parlitz fährt an skelettierten Kammern vorbei und lässt sich nicht anmerken, dass es ein ziemlich undankbarer Job ist, im Wesentlichen über die Fehler der Vergangenheit sprechen zu müssen. Darüber, dass die Asse noch Mitte der Achtziger Jahre als potentielles Endlager für ganz Deutschland gilt und heute von Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die "problematischste kerntechnische Anlage Europas" genannt wird.

"Dieser Pfeiler ist also, wie gesagt, 12 Meter dick und wir haben hier alles 60 Zentimeter so einen Riss. Sieht also so’n bisschen aus wie Blätterteigschichten, wenn man frisches Croissant durchschneidet. Dies Risse sind durch Pfeilerstauchung entstanden und Sie sehen auch, die sind auch richtig tief, ich kann hier meinen Zollstock reinschieben, der hört dann bei etwas über einem Meter auf, handbreit. Also die Tragfähigkeit dieser Pfeiler ist dadurch natürlich auch erheblich eingeschränkt."

Wieder in den Jeep. Es gibt noch eine ganze Reihe von anderen aufschlussreichen Stellen.

Ein schmuckloses Büro im 1. Stock der FHW Wolfenbüttel. Rechenzentrum. Das rotweißgestreifte Hemd mit schwarzer Weste, die silberfarbene Krawatte und ein gelbleuchtender "aufpASSEn"-Sticker am Revers verleihen Diplomingenieur Udo Dettmann ein so farbenfrohes Äußeres, dass er ohne weiteres auch im Dunkeln geortet werden kann.

Wenn es um die Asse geht, muss man ihn allerdings gar nicht lange suchen. Denn es gibt kaum eine Kundgebung, ein Krisengespräch oder eine Arbeitsgruppe, in der Dettmann nicht mitwirkt. Die meisten hat er ohnehin selbst einberufen. Der 36 jährige ist Sprecher des "Koordinationskreis Asse II", einem Dachverband von rund 20 Bürgerinitiativen, Umweltverbänden und Kirchengruppen, der mehrere Hundert Atomkraftgegner eint.

"WorstCaseSzenario ist, dass der Laugenzufluss unkontrollierbar groß wird du das Gebäude volläuft, dass sie evakuieren müssen ohne dass sie irgendein Schließungskonzept umsetzten können, sondern einfach den Berg sich selber überlassen. Dann kommt es zum Tagebruch, es ist dann alles offen, wie Radioaktivität das Grubengebäude verlassen wird. Wir haben dann ein unkontrollierbares chaotisches System dort."

Dettmann ist der Kopf eines Widerstands, der sich verstärkt formiert, seitdem bekannt wurde, dass es im Bergwerk kontaminierte Lauge gibt. Er macht Info-Veranstaltungen in den Dörfern und alle 14 Tage den so genannten Asse-Spaziergang.

Bei der bislang größten Demo im letzten Juli haben sie 1000 Menschen zusammen gebracht - nicht so viel wie in Gorleben, aber sie haben ja auch nur Laugencontainer und keine Castor-Behälter. Für Dettmann ist klar, dass es "schon jetzt kaum noch´n heiles Fass im Berg" gibt. Die mangelnde Deklarierung findet nicht nur er "skandalös":

"Aus den Lieferscheinen geht hervor, dass in 94 Fässern wohl doch Brennelemtekugeln aus Jülich drin sind, andere sind wohl Absorberkugeln, die Frage ist einfach, wie viel kann man aud diese Schiene von damals geben, wenn man sie sich anguckt, das ist hahnebüchen, wenn n normaler Mensch einkaufen geht, steht drauf, zwei Pfund Mehl, ein Liter Milch und ne Tüte Nudeln. Da steht einfach nur Lebensmittel. Da steht wirklich drauf Alphastrahler, Betastrahler und Plutonium, daraus haben sie im Jahr 2002 das radioaktive Inventar zurückgerechnet, Respekt vor dieser Leistung!"

Dettmann verabschiedet sich. Ein dringender Termin. Strategiebesprechung der Bürgerinitiativen. Leider nicht öffentlich.

Asse II, Bergwerk: Es ist, als hätte man ein Hochhaus einfach in einen Berg gebaut. Leider fehlten die Fenster, der Weitblick, der sichere Grund. Und die Mieter, die man sich angelacht hat, vergiften nachhaltig die Atmosphäre.

Dummerweise wird man sie nicht mehr los, denn man kann ihnen nicht ohne weiteres kündigen. So steht ein etwas überhastetes Wohnprojekt vor dem Scheitern, sozusagen ausweglos. Schachtführerin Anette Parlitz fährt im Jeep durch die Fehler der Vergangenheit. Es sind nicht ihre Fehler, deshalb kann sie mit einem gewissen Abstand darüber reden.

"Wir biegen jetzt gleich ab auf die Wendelstrecke und fahren jetzt tiefer, tiefer, tiefer in den Berg rein. Wir fahren jetzt als erstes auf 532 Metersole. Dass von 95-2004 größte Teil des Grubengeländes mit Salzpulver von der Heide Ronnenberg verfüllt worden ist, mit riesigen Eisenbahnzügen angekommen, pneumatisch in Kammern verblasen worden, gesamte Baufeld in Südflanke, 131 Abbaukammern für Stein und Speisesalz, verschlossen."

Doch über den aufgefüllten Salz-Schichten haben sich zur Decke hin längst große Spalten gebildet, die die Stabilität der gesamten Konstruktion in Frage stellen. Frau Parlitz deutet mit der Hand auf die Bedrohungen von oben. Das Volumen des eingeblasenen Salzes hat sich über die Jahre verringert. Die Hohlraumfüllung hat paradoxerweise also neue Hohlräume erzeugt.

"Das heißt 50 Prozent des verblasenen Salzes sind Porenräume, Luft. Das sackt in sich zusammen, daher kommen diese Spalte, Firstspalte, im Bergmannsdeutsch heißen Decken Firste, das sackt runter, verdichtet sich durch sein Eigengewicht."

Die Spalten will man jetzt mit einem wasserfreien Spezialbeton verschließen, der dem Wasser weitere Eintrittsmöglichkeiten verwehren soll, sagt Frau Parlitz. Die heilige Barbara, die hölzerne Schutzpatronin der Bergleute, steht, von indirektem Licht erstrahlt, in einer kleinen Grotte und scheint ein wenig überfordert mit all den Wünschen, die derzeit an sie gerichtet werden.

Mit einer Stimme, die andeutet, dass sie es schon allzu oft sagen musste, erklärt Frau Parlitz: Seit 20 Jahren fließen täglich 12000 Liter Salzlösung aus dem Deckgebirge ins Bergwerk, Herkunft unbekannt. An welcher Stelle das Wasser in den Salzstock eintritt, ist unklar. Einer der vielen traurigen Höhepunkte ihrer Führung findet sich auf der 637-Meter-Sole, bis vor Kurzem noch Hauptsammelstelle für das eindringende Wasser. Frau Parlitz deutet mit der Hand auf die so genannten "Bullflex"-Pfeiler, die eigentlich den Zugang zu den Kammern sichern sollen.

"Das sind schwere Gewebesäcke, die sind mit Beton gefüllt worden und draußen noch mal amiert worden mit Stahlmatten. Innerhalb kürzester zeit ist das ganze einfach geplatzt wie, ja ich weiß gar nichts was, ein Apfel der vom Tisch fällt, aufgeplatzt und weggebrochen. Und die gigantische Stahlträger die die Decke sichern sollten, die biegen sich auch durch wie Streichhölzer. Das ist Gebirgsdruck!"

Nahe Kammer 3, auf der 658-Meter Sole steht ein 40 Kubikmeter fassendes Becken, in das pro Minute drei Liter Wasser tropfen. Ein paar Meter entfernt noch größere Becken, Notfallbecken und fast alle bereits bis zum Rand gefüllt. Über Tage weitere 16 Container, leider gibt es zur Zeit aber niemand mehr, der sie abnimmt. "Wir sind an unseren Kapazitätsgrenzen angelangt!", erklärt Frau Parlitz. Auch in die tieferen Solen dringt das Wasser bereits vor.

"Hier sehen Sie oder hören Sie etwas mehr Lösung, die dann hier gefasst wird, das sind keine Massen, sondern ’n Streichholzdicker Strahl, Tropfen ..."

Anette Parlitz fährt wieder nach oben, ans Tageslicht. Gleich hat sie die nächste Führung.

Die Ökolandwirtin Ursula Kleber, Strickpullover, langes grau meliertes Haar, inspiziert mit ihrem Golf die Gegend und freut sich, als sie an einem Gartenzaun das große, gelbe "A" entdeckt - "A" wie "AufpASSEn", die Bürgerinitiative, die Frau Kleber im Jahr 2003 mitbegründet hat.

Eine Behindertenwerkstatt in Wolfsburg produziert mittlerweile 100 A´s in der Woche, bei der Ökobäckerei "Brot und Wein" in Wolfenbüttel gibt es gebackene A´s , aus Roggensauerteig, mit Schafskäse oder Spinatfüllung. Frau Kleber deutet mit der hand drüben zum Waldrand, den ein zehn Meter hohes A ziert. Die Gegend um die Asse ist gepflastert mit dem ersten Buchstaben des Alphabets. Wenn die A´s in der Lage wären, atomare Strahlung aufzuhalten, gäbe es hier den perfekten Schutzschirm. Leider sind sie es nicht.

"Das eigentlich Skandalöse ist das dieses so genannte Endlager nach nur 40 Jahren schon völlig marode ist."

Und deshalb macht Ursula Kleber regelmäßig ihre Beobachtungsgänge. Ob was Verdächtiges auf dem Gelände passiert. Was weggefahren wird, und ob neue Container kommen. Die 56-Jährige steht etwas oberhalb, auf einem Bergrücken, und schaut von der Lichtung zwischen alten Eschen und Buchen auf das Bergwerk hinunter:

"Hier blicken wir jetzt Richtung Süden auf Remlingen, dahinter das ist nächste Höhenzug ist der Fallstein, und wenn das Wetter ´n bisschen klarer ist als heute, sieht man auch´n Harz."

Aber heute regnet es und feiner Nebel liegt über dem Bergwerk. Man kann nicht viel weiter blicken als bis zum alten Förderturm, der im Herbst von "Robin Wood"-Aktivisten und wenig später von "Greenpeace" besetzt worden ist.

"Große graue Kasten, drumrum ,was man leider ganz schlecht sieht, sind die Container, die man aufgebaut hat, um die Lauge oberirdisch zu lagern, weil unterirdisch kein Platz mehr ist, wir kommen da noch näher ran... Schritte.

Was wir jetzt sehen, sind Container, die vor vier Wochen aufgestellt wurden, um die Zutrittslösung, die jeden Tag mit zwölf Kubikmeter in die Asse rein läuft, aufzufangen und zu lagern. Unter Tage ist kein Platz mehr und es ist zur Zeit nicht möglich, sie was ja früher geschah, in andere Bergwerke abzufahren, weil niemand sie mehr nimmt."

Zurück im Auto mit neuem Ziel: Frau Kleber will die Ursprünge des Widerstands zeigen. Ein paar Kilometer entfernt, hat ihre Bürgerinitiative vor einigen Jahren, als sie noch ein kleiner, versprengter Haufen waren, am Fuße der Asse ein Mahnmal errichtet. Eine Art Leistungsnachweis. Die Wurzeln.

"Wir stehen hier vor Mahnmal 2005 Findling Gravur, Aufpassen 2005 mit Radioaktivitätszeichen Infotafel mit Abklingkurve, sehr, sehr langsam, nicht, wir haben dazugeschrieben, die Menschheit wir nie das Abfallen der Radioaktivität auf das natürliche Maß erleben, denn das reicht viel zu sehr in Zukunft, n einer Million Jahren haben wir immer noch einen beachtlichen Anteil der Strahlung, die heute herrscht, ausgerechnet, hier haben wir die verschiedenen Isotope aufgelistet, die hier ne Rolle spielen, z. B. hier das Tritium ist nach 10.000 Jahren weg, nach 100.000 Jahren ist Radium verschwunden."

Es sind nur 20 Fußminuten von der Asse zum Dorfgemeinschaftshaus in Remlingen, 1370 Seelen. Hier, wenige Hundert Meter unterhalb der Schachtanlage, mahnt eine alte, eingerahmte Vereinsfahne zur Heiterkeit: "Des Lebens Sonnenschein ist Singen und Fröhlichsein." Doch so recht unbeschwert fühlt man sich hier schon lange nicht mehr.

Verunsicherung im Gasthaus, beim Taxifahrer, der Bürgermeisterin. Ein Problem bei der Rettung der Zukunft ist, dass es eigentlich keine gute Lösung gibt. Die Klägerin Irmela Wrede sagt:

"Es gibt nur eine am wenigsten schlimme unter den furchtbaren Lösungen. Das hier der Atommüll drin liegt in einem Bergwerk, das sich bewegt, wo es nass ist, wo die Gefahr sehr groß ist, dass die atomversuchte Lauge in das Grundwasser gerät, das ist die Situation in der wir hier leben."

Frau Wrede geht zurück ins Haus. Die Sonne am Himmel versteckt sich jetzt hinter einer dichten Wolkenwand. Auf den Straßen der Dörfer gehen schon am frühen Nachmittag fast keine Menschen mehr. Als hätten sie sich zurückgezogen vor der Unsicherheit, in der sie leben.

Aber zu Hause, in den Familien und auch im Wirtshaus geht es in diesen Tagen um eine einzige Frage: Kann man den Atommüll trocken im jetzigen Bergwerk umlagern oder muss er vollständig rausgeholt werden? Die Anwohner der Asse sagen, sie haben die Wahl zwischen Pest und Cholera.