Vor 75 Jahren: Ende der Schlacht um Stalingrad

Wendepunkt im Zweiten Weltkrieg

Deutsche Soldaten während der Schlacht in Stalingrad.
Deutsche Soldaten während der Schlacht in Stalingrad. Der damals 28-jährige Oberleutnant Piebatsch erinnerte sich: „Ende Dezember 1942 war klar, dass wir auf nichts hoffen konnten." © AFP
Von Bernd Ulrich · 02.02.2018
Am 2. Februar 1943 endete mit der Kapitulation des Nordkessels die Schlacht um Stalingrad. Der Kampf um die Industriestadt an der Wolga und die Vernichtung der 6. Armee bildeten den Wendepunkt an der deutschen Ostfront.
"Ich wollte zur Wolga kommen, an einer bestimmten Stelle, an einer bestimmten Stadt. Zufälligerweise trägt sie den Namen von Stalin selber, aber denken Sie nur nicht, dass ich deswegen dort losmarschiert bin - sie könnte ja auch ganz anders heißen - sondern nur, weil dort ein ganz wichtiger Punkt ist. Dort schneidet man nämlich 30 Millionen Tonnen Verkehr ab. Dort war ein gigantischer Umschlagplatz. Den wollte ich nehmen, und - wissen Sie - wir sind bescheiden, wir haben ihn nämlich!"
Adolf Hitler am 8. November 1942 in einer Rede vor "Alten Kämpfern". Am 2. Februar 1943, da der Stalingrader Nordkessel kapitulieren musste, war es vorbei mit allen Siegesfantasien. Erstmals war es der Roten Armee gelungen, der Wehrmacht nicht nur zu widerstehen, sondern eine ihrer besten Armeen sowie rumänische, italienische und ungarische Einheiten einzukesseln und zu vernichten. Am 3. Februar 1943 brachte der Rundfunk die "Sondermeldung aus dem Führerhauptquartier":
"Ihrem Fahneneid bis zum letzten Atemzug getreu ist die 6. Armee unter der vorbildlichen Führung des Generalfeldmarschalls Paulus der Übermacht des Feindes und der Ungunst der Verhältnisse erlegen. Noch ist es nicht an der Zeit, den Verlauf der Operationen zu schildern, die zu dieser Entwicklung geführt haben. Eines aber kann schon heute gesagt werden: Das Opfer der Armee war nicht umsonst."

Völlig umsonst gebrachtes Opfer, ohne jeden Sinn und Verstand

Aber genau das war es - ein völlig umsonst gebrachtes Opfer, ohne jeden Sinn und Verstand. Einem Großteil der Deutschen schien das auch ganz klar, trotz aller ungebrochenen Hitler-Gläubigkeit. Die "Geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS" berichteten schon am 4. Februar 1943:
"Viele ziehen in Zweifel, dass die Verteidiger von Stalingrad bis zuletzt starke Kräfte des Feindes gebunden haben. Allgemein ist die Überzeugung vorhanden, dass Stalingrad einen Wendepunkt des Krieges bedeute und die labileren Volksgenossen sind geneigt, im Fall von Stalingrad den Anfang vom Ende zu sehen."

"Als hätten sie Vieh auf einem Schlachthof zusammengetrieben"

Dabei hatte das Überleben bis zum Tod oder bis zur Gefangennahme für die deutschen Soldaten spätestens ab Dezember 1942 ganz im Schatten der Kälte und des Hungers gestanden. Nur etwa 25.000 Angehörige der 6. Armee, andere Schätzungen sprechen von über 30.000 Männern, konnten ausgeflogen werden. Zu keinem Zeitpunkt aber wurde das von Hermann Göring großspurig gegebene Versprechen eingelöst, die Versorgung der Armee aus der Luft gewährleisten zu können. Der damals 28-jährige Oberleutnant Piebatsch erinnerte sich:
"Ende Dezember 1942 war klar, dass wir auf nichts hoffen konnten. Es war, als hätten sie Vieh auf einem Schlachthof in einem Gatter zusammengetrieben, und dann werden einzelne Tiere herausgeholt und getötet."

"Ein Elend, nicht zu beschreiben"

Immer noch waren auch Zivilisten in der Stadt. Erst Ende August 1942 hatte, endlich erlaubt von Stalin, die Evakuierung der Stalingrader Bevölkerung begonnen. Hitler seinerseits hatte am 2. September 1942 befohlen, dass "die gesamte männliche Bevölkerung" Stalingrads "beseitigt" werden müsse. Die noch angetroffenen Frauen und Kinder sollten sofort deportiert, die Arbeitskraft der Männer zuvor genutzt und die Stadt völlig dem Erdboden gleichgemacht werden. Ein Unteroffizier der 6. Armee schrieb am 6. November 1942 nach Hause:
"Hab heute wieder viele Flüchtlinge gesehen, die von Stalingrad kommen. Ein Elend, nicht zu beschreiben. Kinder, Frauen, alte Männer in dem Alter von Opa liegen hier auf der Straße, nur notdürftig bekleidet und der Kälte preisgegeben."

Desaster auf die Funktion eines Weckrufs geschrumpft

Nach Eintritt der kaum zu leugnenden Katastrophe wurde nun aus ihrer Existenz selbst das vorgeblich Sinnvolle herausgepresst. Der Untergang der 6. Armee, so tönte die Propaganda, wäre der Verteidigung Europas geschuldet gewesen. Im Ergebnis wurde das Desaster an der Wolga auf die Funktion eines Weckrufs geschrumpft:
"Stalingrad war und ist der große Alarmruf des Schicksals an die deutsche Nation. Ein Volk, das die Stärke besitzt, ein solches Unglück zu ertragen und auch zu überwinden, ja, daraus noch zusätzliche Kraft zu schöpfen, ist unbesiegbar."
So Joseph Goebbels in seiner Rede im Berliner Sportpalast am 18. Februar 1943. Deutschland als Bollwerk gegen den Bolschewismus und der Überfall auf die Sowjetunion als Akt der Verteidigung - das war die Propagandalüge, die den von Goebbels herbeigesehnten totalen Krieg und schließlich die Jahre bis zur totalen Niederlage bestimmen sollte.

Hören Sie zum gleichen Thema auch das Gespräch mit Russland-Korrespondent Thielko Grieß "75 Jahre Stalingrad: Wie Russland gedenkt", 7.08 Uhr:
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