Vor 65 Jahren: "Vom Winde verweht" in Deutschland

Filmklassiker mit Verspätung

Liebesszene zwischen Scarlett O'Hara (Vivien Leigh) und Rhett Butler (Clark Gable) in dem Film "Vom Winde verweht" aus dem Jahre 1939.
Scarlett O'Hara (Vivien Leigh) und Rhett Butler (Clark Gable) in dem Film "Vom Winde verweht": Sie spielt die Gutsherrin, er den Kriegsgewinnler © picture-alliance / dpa
Von Marli Feldvoß · 15.01.2018
"Vom Winde verweht" entstand bereits 1939, kam aber erst 1953 in die deutschen Kinos: Erst verboten die Nazis den Film - weil sie zu beeindruckt von ihm waren. Dann verzögerte der Verleiher die Premiere - in der Hoffnung auf bessere Konditionen.
"Gone with the Wind" – ein Mythos, ein Koloss von Film. Das Leitmotiv "Tara’s Theme" von Max Steiner trägt dem mit jeder Note Rechnung. Es ist ein Melodram über Liebe und Krieg, dessen Botschaften über die schiere Überwältigung des Zuschauers hinausgehen und bis heute überdauern. Das nationale Trauma des amerikanischen Bürgerkriegs, der die Einheit der Nation hervorbrachte, hat schon den 1936 erschienenen Roman von Margaret Mitchell zum Bestseller gemacht.

Auf der Leinwand erblüht Scarlett O’Haras Liebe zum Land ihrer Vorväter, verkörpert in dem herrschaftlichen Anwesen Tara. In herrlichstem Technicolor erinnert es an die verschwenderisch-sorglose Lebensart des amerikanischen Südens und übertüncht beinahe den Makel der Sklavenhaltergesellschaft. Im Bürgerkrieg unterlag der Süden dem rational merkantilen Norden, aber er verkörpert bis heute die Seele des Kontinents.

Postfeministisches Powergirl

Die beispiellose Erfolgsgeschichte des Films ist umso erstaunlicher als das Thema "Bürgerkrieg" in Literatur wie Film als "Kassengift" galt. Entscheidend scheint die Wirkung des ausdrücklich von Produzent David O. Selznick verordneten "weiblichen Blicks". Er verzichtet auf Kriegshandlungen, zeigt stattdessen die Opfer.
Vom Winde verweht: Hattie McDaniel (r.) gewann 1940 als erste Afroamerikanerin einen Oscar.
Eine Szene aus "Vom Winde verweht" - Hattie McDaniel (r.) gewann 1940 als erste Afroamerikanerin einen Oscar.© imago stock&people
Er entfacht auch den unerbittlichen Geschlechterkrieg der Gutsherrin Scarlett mit dem Kriegsgewinnler Rhett Butler, gespielt von Vivien Leigh und Clark Gable. Sein modernes Liebes-Geplänkel macht das Paar zu einem Archetyp des amerikanischen Kinos.
Scarlett: "Du hast gesagt, Du liebst mich. Wenn Du mich noch liebst, Rhett …"
Rhett: "Hast Du vergessen, dass ein Mann wie ich niemals heiratet?"
Scarlett: "Nein. Ich hab’s nicht vergessen."
Rhett: "Und wenn auch, mein Kind, so viel Geld bist Du nicht wert, Du würdest einem Mann immer nur Unglück bringen."
Scarlett: "Meinetwegen, beleidige mich auch noch, nur, gib mir das Geld."
Die amerikanische Filmwissenschaftlerin Molly Haskell spricht von einem "woman’s film" und erklärt die stets widerspenstig und emanzipiert auftretende Heldin Scarlett "zu einer der großen ikonoklastischen Figuren des Kinos", zu einer "Heldin, die über die Jahre immer mehr an Konturen gewinnt", bis hin zu einem "postfeministischen Powergirl", einer Art "Madonna".

Die Nazis verboten den Film - weil sie beeindruckt waren

Dass der Film erst mit 14-jähriger Verspätung in die deutschen Kinos kam, war zunächst der NS-Filmpolitik geschuldet, die mit ihrem Anspruch auf den ersten Platz in der Filmwelt Roman wie Film verbot. Joseph Goebbels schrieb am 30. Juli 1940 in sein Tagebuch:

"Der amerikanische Großfilm 'Vom Winde verweht'. Leider nur in Englisch … Großartig in der Farbe und ergreifend in der Wirkung. Man wird ganz sentimental dabei. Die Leigh und Clark Gable spielen wunderbar. Die Massenszenen sind hinreißend gekonnt. Eine große Leistung der Amerikaner. Das muß man öfter sehen. Wir wollen uns daran ein Beispiel nehmen. Und arbeiten."
Das Filmereignis "Gone with the Wind" führte Adolf Hitler wie seinem Propagandaminister überzeugend vor Augen, dass ein solches Filmwerk aus eigener Produktion noch in weiter Ferne lag.

"Gone with the Wind" – ein Zauberwort

Die große Verzögerung nach dem Krieg verantwortete vor allem die Verleihpolitik von MGM, die um bessere Konditionen pokerte. Nach etlichen Vorankündigungen kam es erst am 15. Januar 1953 zur Deutschlandpremiere in München. Gunter Groll von der "Süddeutschen Zeitung" sprach in seiner Premierenkritik das aus, was auch aus vielen kriegsgeschädigten Ländern berichtet wurde.
"Am stärksten wirkt heute wohl weniger das breite Seelen-Fresko als der Zeithintergrund: Krieg und Bomben, Brand und Flucht, Besatzung, Hunger und Zusammenbruch, bis hin zu General Shermans Taktik der verbrannten Erde. Wir kennen das … obwohl der Film in den Staaten spielt und in den Jahren um 1865. Als ich ihn im Jahr 1940 zum ersten Mal sah (es war eine Beute-Kopie der Wehrmacht), sagte einer versonnen: 'Ob’s wohl bei uns so ähnlich kommt?' Den meisten schien das damals ein frivoler Witz. Jedoch: Es kam so ähnlich. Hier ist des Films Historienmalerei in der Tat rückwärts gewandte Prophetie."
"Gone with the Wind" kam offenbar stets zur rechten Zeit, zwischen zwei Kriegen oder nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs, um seine besondere Wirkung zu entfalten, die bis heute anhält. "Gone with the Wind" – ein Zauberwort. Nicht nur für die Filmgeschichte.
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