Vor 350 Jahren

Revolutionärer Wissenstransfer durch Journale

Von Eberhard Spreng · 05.01.2015
Wissenschaftliche und literarische Zeitschriften sind aus dem heutigen Leben nicht wegzudenken. Die Einführung des "Journal des Sçavans" in Frankreich am 5. Januar 1665 gab den Startschuss für eine ganze Serie von Zeitschriftenneugründungen überall in Europa.
"Ziel dieses Journals ist, bekannt zu geben, was es an Neuem in der Welt der Literatur gibt. Wir werden uns nicht damit begnügen, nur eben die Titel zu nennen, sondern wir wollen sagen, was die Werke behandeln und wozu sie dienlich sind."
Das schrieb der französische Parlamentsberater Denis de Sallo im Vorwort zu seiner ersten Ausgabe des "Journal des Sçavans", die am 5. Januar 1665 in Paris erschien. Doch nicht nur über literarische Neuerscheinungen wollte das Journal berichten. Auch Nachrufe auf berühmte Persönlichkeiten, Neuigkeiten aus den Wissenschaften, wichtige Gerichtsverhandlungen und sogar kuriose Begebenheiten gehörten zu seinem Themenspektrum. 30 Jahre nach der Gründung der Académie Française förderte der mächtige Finanzminister am Hofe Ludwig XIV., Jean-Baptiste Colbert, die Einführung dieser ersten europäischen Zeitschrift. Die Romanistin Brigitte Heymann:
"Ich glaube schon, dass er erkannt hat, dass der Wissenstransfer ganz entscheidend wird. Und den natürlich möglichst auch in Paris zu zentralisieren, ist natürlich ein fast schon genialer Schachzug. Also diese Idee zu haben, wir führen das dann in Paris zusammen. Und die Neugierde der Leser zu befriedigen, was Spannendes und was ein bisschen so hinter die Kulissen führt. Und das aber möglichst aus aller Welt."
Colbert versuchte mit seiner merkantilistischen Politik Frankreich zum Zentrum der boomenden internationalen Ströme von Waren und Dienstleistungen zu machen. Und dazu gehörte für ihn und den König neben der Förderung der Wissenschaften auch die der Literatur. Auf den zwölf Seiten der Erstausgabe fand der Leser des Blattes unter anderem einen kurzen Artikel über Descartes Abhandlung "Über den Menschen", die der Philosoph zu Lebzeiten aus Angst vor der Inquisition nicht zu veröffentlichen gewagt hatte und die 1662 erschienen war. Das Journal schrieb:
"Da Herr Descartes seine Abhandlung in größter Unordnung hinterließ, wäre sie nicht verständlich, wenn Herr Clercelier sie nicht geordnet und De la Forge und Guscouen sie nicht mit ihren Abbildungen illustriert hätten."
Viele Abbildungen veranschaulichen Inhalte
Tatsächlich halfen im "Journal des Sçavans" immer wieder Abbildungen, in der Regel Holzschnitte, zur Veranschaulichung vor allem naturwissenschaftlicher und astronomischer Entdeckungen. Alles, so hatte das Vorwort versprochen, was für den gebildeten Leser von Interesse sein könnte, sollte seinen Platz finden. Aber schon in der ersten Ausgabe konnte man auch solche Berichte lesen:
"Vor etwa drei Wochen hat die Frau eines Stallknechts nahe der Stadt Salisbury ein Mädchen zur Welt gebracht, das zwei diametral entgegengesetzte Köpfe, vier Arme und ebenso viele Hände, aber einen Leib und zwei Füße besaß. Man hatte lange Mühe, dieser Kreatur einen Namen zu geben, befand dann aber, da sie eine doppelte war, sie Martha und Maria zu nennen."
Brigitte Heymann: "Jeder musste gewiss sein, dass das, was er da produziert, auch Stoff in den Salons wird. Und die waren natürlich in erste Linie dazu da, sich nicht irgendwie fachlich und sachlich mit dem, was man da lesen konnte, zu beschäftigen, sondern sich möglichst rhetorisch brillant zu unterhalten. Performanz statt Wissen."
Das Journal hatte naturgemäß nicht nur Freunde.
"Schaumschlägerei, einmal die Woche!",
soll ein Literat gespottet haben. Und mit der Kirche bekam der äußerst freizügig formulierende Gründer Denis de Sallo auch schnell Ärger. Schon ein Jahr später musste er die Leitung an den braveren Abbé Gallois abgeben.
Viele Nachahmer in Europa
Allen Anfeindungen zum Trotz machte das Beispiel des Journals in Europa schnell Schule, zunächst in England, wo Mitglieder der Royal Society bereits drei Monate später mit ihren "Philosophical Transactions" ebenfalls ein allerdings rein wissenschaftliches Periodikum ins Leben riefen.
"Dass es da Nachahmer - und zwar relativ - schnell gab, zeigt ja, dass es offensichtlich eine Notwendigkeit ... Das lag so irgendwie in der Luft, das war nötig. Die Geschwindigkeit kommt ins Spiel, also das, was wir als ein Zeichen der Moderne eben auch ansehen: also eine Art Wettbewerb, dass man über die Informationen auch die eigene Entwicklung voranbringt."
Nach England reagierte Italien 1668 mit dem "Giornale de' Letterati" und deutlich später, 1682, gab der Leipziger Professor Otto Mencke in Deutschland die "Acta Eruditorum Lipsiensium" heraus.
Die Fachblätter revolutionierten den Wissenstransfer, der nun über die bislang üblichen, mühsamen Brief-Korrespondenzen der Wissenschaftler weit hinausging.
Das "Journal des Sçavans" musste in seiner Geschichte lange Unterbrechungen hinnehmen, kam im 19. Jahrhundert unter das Dach des Institut de France und schließlich in die Obhut der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, wo es heute zweimal im Jahr die Aufmerksamkeit einiger weniger Spezialisten erregt.
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