Vor 350 Jahren in Paris

Die erste Bluttransfusion bei einem Menschen

Bluttransfusion von Tier zu Mensch - In England und Frankreich benutzten Mediziner das Blut von Lämmern und Kälbern. Zu sehen ist ein Kupferstich von George Abraham Mercklino Tractatio, Nürnberg 1679.
Bluttransfusion von Tier zu Mensch - In England und Frankreich benutzten Mediziner das Blut von Lämmern und Kälbern. © imago/United Archives International
Von Anne Preger · 15.06.2017
Blutspenden können heute Leben retten. Aber die ersten Transfusionen waren lebensgefährlich. Denn Blutgruppen und Rhesusfaktor waren noch unbekannt – und damit die Faktoren, die bestimmen, ob Spender und Empfänger zusammenpassen. Heute vor 350 Jahren wagten Ärzte die erste Transfusion.
"Na ja, heute würde man wahrscheinlich sagen, was die gemacht haben, das war ein ethisch unzulässiges Menschenexperiment. Heute würde das von keiner Ethikkommission an einer medizinischen Fakultät genehmigt."
Doch in Paris herrschten im Juni 1667 andere Sitten. Da brauchten der Arzt Jean-Baptiste Denis und sein Chirurg Paul Emmerez keine Genehmigung, um Medizingeschichte zu schreiben. Nur ein passendes Versuchsobjekt.
"Am 15. dieses Monats trafen wir auf einen Jüngling zwischen 15 und 16 Jahren, der mehr als zwei Monate lang hohes Fieber gehabt hatte. Das hatte seine Ärzte dazu veranlasst, ihn 20 Mal zu Ader zu lassen, um die übermäßige Hitze zu mildern."
"Und dadurch war er in etwas geraten, was wir heute als eine Anämie bezeichnen würden. Also, einen Mangel an Blut", erklärt Axel Bauer. Er ist Medizinhistoriker und -ethiker an der Universitätsmedizin Mannheim. Auch Jean Denis ging damals davon aus, dass dem Patienten Blut fehlte.

Blutkreislauf im menschlichen Körper

"Meine Vermutung bestätigte sich, als wir eine seiner Adern öffneten. Das Blut darin war so schwarz und zähflüssig, dass es kaum von allein in die Schüssel lief."
Denis war zu seiner Zeit ein fortschrittlicher Arzt. Er glaubte nicht einfach nur an die Säftelehre aus der Antike wie mancher seiner Pariser Kollegen, sondern er kannte die Arbeiten des englischen Mediziners William Harvey.
Daher wusste Denis, dass es im menschlichen Körper einen Blutkreislauf gibt. Und den wollte er wieder in Gang bringen. Mit einer Blutspende.
"Morgens um fünf entnahmen wir zunächst drei Unzen Blut aus der Arterie. Dann brachten wir ein Lamm. Aus dessen Halsschlagader leiteten wir etwa das Dreifache dieser Blutmenge in die Vene des Patienten."

Transfusion mit Lammblut

Das Blut des sanftmütigen Lamms sollte dem Jüngling helfen. Blut von einem anderen Menschen zu übertragen, von der Idee hielt Jean Denis nichts.
"Der hat … seine Lammbluttransfusionen mit der Analogie verteidigt, dass der Mensch ja auch tierisches Fleisch und tierische Produkte zu sich nimmt. … Und unter dieser Analogie war es natürlich viel richtiger, Tierblut zu transfundieren als etwa Menschenblut. Das wäre dann als eine Art Kannibalismus aufgefasst worden."
Allerdings kann es tödlich enden, wenn ein Mensch Blut von anderen Arten übertragen bekommt. Das konnte der französische Arzt im 17. Jahrhundert aber noch nicht wissen.
"Und - ja - wie es so manchmal wunderlich geht, der junge Mann hat diese Transfusion tatsächlich überlebt."

Frankreich im Wettstreit mit England

Ein großer Erfolg. Nicht nur für Jean Denis persönlich, der unter den konservativen Pariser Ärzten ein Außenseiter war, weil er im fortschrittlichen Montpellier studiert hatte.
"Sicher war es auch nicht ganz unwesentlich, dass im Jahr zuvor in England der Physiologe Richard Lower zum ersten Mal Blut eines Hundes in die Vene eines anderen Hundes geleitet hatte. Und das war natürlich die englische Konkurrenz. Denis hat hier auch aus nationalen Motiven heraus gehandelt, auch deshalb dann sehr rasch seine Erfolge publiziert."
Und zwar sowohl in Frankreich, als auch in England. Seine genaue Technik verriet Denis dabei allerdings nicht. Der Franzose unternahm 1667 und im Jahr darauf noch weitere Bluttransfusionen von Tier zu Mensch. Danach starb einer seiner Patienten unter nicht ganz geklärten Umständen.
Denis wurde angeklagt, dann zwar vor Gericht freigesprochen. Dennoch galten Bluttransfusionen seitdem als gefährlich und waren in Frankreich und anderen europäischen Ländern lange verboten. Erst ab 1818 versuchten Ärzte, Blut von Mensch zu Mensch zu übertragen. Doch auch daran starben immer wieder Patienten.

Entdeckung der Blutgruppen erst um 1900

"Letzten Endes war aber dann die entscheidende Innovation die Entdeckung der Blutgruppen um 1900 durch den Wiener Pathologen Karl Landsteiner. Dadurch erst wurde verständlich, warum die Transfusionen so häufig schief gegangen sind."
Weil die Blutgruppen von Spender und Empfänger nicht zusammen passten. Später entdeckte der Forscher außerdem, dass auch der Rhesusfaktor für die Übertragbarkeit von Blut zwischen Menschen wichtig ist. Landsteiner bekam für seine Blutgruppen-Forschung den Medizinnobelpreis. Für die Notfallmedizin entscheidend war aber auch, dass es Wissenschaftlern schließlich gelang, Blut über Wochen haltbar zu machen und am Gerinnen zu hindern.
"Diese Technik erhielt dann natürlich schon bald Bedeutung während des Ersten Weltkriegs. Da war es jetzt nicht mehr nötig, eine Bluttransfusion unmittelbar von Mann zu Mann durchzuführen, sondern man konnte das Blut konservieren und über Strecken transportieren. Und das ist eigentlich dann auch der Durchbruch für das Blutspendewesen, das dann seit den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts seinen Aufschwung genommen hat."
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