Vor 200 Jahren

Wie die "Times" die Medienwelt revolutionierte

Bleilettern stehen im Museum für Druckkunst Leipzig (Sachsen) in einem Setzkasten
Vor 200 Jahren begann ein neues Zeitalter für Verlage. © dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
Von Florian Felix Weyh · 29.11.2014
Am 29. November 1814 landete die britische "Times" einen folgenreichen Coup: Zum ersten Mal wurde eine Zeitung nicht mehr von Hand gedruckt, sondern mit Hilfe einer dampfgetriebenen Maschine. Verantwortlich für diesen Erfolg waren zwei deutsche Erfinder.
Zeitungsdrucker in der Londoner Fleetstret, so spottete man um 1800, könne man an ihrem Gang erkennen: Fast torkelnd liefen sie durch die Straßen; ihre rechte Körperhälfte war ungeheuer muskulös, die linke dagegen unterentwickelt. Das kam von der Gutenbergschen Druckerpresse. Die großen Zeitungsseiten wurden im Ganzen flach gedruckt, wozu man den Tiegel mit eigener Armkraft heben und senken musste. Mehr als 250 Mal in der Stunde ging das kaum, und so war die Londoner "Times" zu jener Zeit ein hochelitäres Blatt – schon die bürgerliche Oberschicht hätte man wegen der technischen Beschränkungen gar nicht versorgen können.
Am 29. November 1814 trat allerdings der "Times"-Besitzer John Walters jun. in den frühen Morgenstunden vor seine verblüfften Drucker hin – man hatte ihnen vorgegaukelt, dass die Zeitung wegen ausstehender Nachrichten später gedruckt würde – und sprach historische Worte:
"The 'Times' is already printed - by steam."
Die "Times" war schon gedruckt – dampfgetrieben. So begann heute vor 200 Jahren das Medienzeitalter mit einem Überraschungscoup. Monatelang hatten die beiden deutschen Erfinder Friedrich Koenig und Andreas Bauer in einem abgeschirmten Seitengebäude der "Times" heimlich einen Prototyp erbaut. Diese erste Rotationsdruckmaschine der Welt ließ lange Papierbahnen durch mehrere Zylinder laufen, auf denen die nun halbrund geformten Druckstöcke saßen, und mit jeder dampfgetriebenen Umdrehung brachten sie eine neue Zeitungsseite zu Papier. Statt auf 250 kam man auf stündlich 2000 Exemplare, und die Arbeiter mussten sich auch nicht mehr so anstrengen.
Doch genau um ihretwillen war die Geheimniskrämerei betrieben worden. Seit 1812 wüteten in Großbritannien die Ludditen, entlassene Textilarbeiter. Sie verwüsteten mechanisierte Spinnereien und wurden auch hierzulande als "Maschinenstürmer" bekannt. Folgerichtig fügte der "Times"-Verleger seiner triumphalen Ankündigung eine Warnung vor Aufständen hinzu und versprach den Druckern, sie weiter zu beschäftigen, weil man ja nun viel mehr Zeitungen herstellen würde. Die Arbeiter hielten still, und das Projekt wurde nicht nur ein ökonomischer, sondern auch ein politischer Erfolg.
Bei der "Times" wurde auch das Ende des Printzeitalters eingeläutet
John Walters kämpfte gegen das adlige Establishment und verschaffte bürgerlichen Kreisen mit steigender Auflage der Times entsprechenden Einfluss. Allerdings dauerte es mehr als ein Jahrzehnt, bis britische Verlage die neue Technologie in der Breite akzeptierten – nicht zuletzt, weil die Finanziers der deutschen Erfinder mit einem restriktiven Lizenzmodell operierten. Frustriert kehrten Koenig und Bauer in ihre Heimat zurück und errichteten in Würzburg eine Druckmaschinenfabrik. Entgegen aller Unkenrufe vom Ende des industriellen Medienzeitalters existieren noch beide Firmen, die Londoner "Times" wie Koenig&Bauer.
Aber so märchenhaft lässt sich diese Geschichte dann doch nicht zu Ende erzählen. Begann das Medienzeitalter mit der Londoner "Times", so verbindet sich mit ihr auch das erste Menetekel vom Ende gedruckter Zeitungen. Freilich hat es damals niemand wahrgenommen.
Am 24. August 1995 kaufte Bill Gates die gesamte Auflage der "Times", verdoppelte sie und schmückte die Titelseite mit einem Werbebanner:
"Dank Microsoft die Times heute umsonst"
Warum? Es war der Erstverkaufstag von Windows95, und die triumphierende Geste sollte wie John Walters Worte 1814 den Anbruch einer Epoche verkünden: Ich, der Computer, bin die neue Medienmacht! Damals mochte man das noch belächeln, heute wissen wir, dass Gates recht behalten hat. Ironischerweise ist Microsoft auf dem zeitungsgefährdenden Tablet-Markt selbst untergegangen, doch das tröstet weder die Verleger noch die leidende Druckmaschinenindustrie. So hat Koenig&Bauer eben den Abbau von tausend Arbeitsplätzen verkündet. Noch ist man Weltmarktführer – beim Banknotendruck. Doch was wäre, träte EZB-Chef Draghi vor die Presse und verkündete:
"The money is already created – by code."
Parallel zum Siechtum der Printpresse wäre das Druckmedienzeitalter wohl endgültig vorbei. Aber seien wir ehrlich: Nennenswerte Mengen an Banknoten benutzen nur Schwarzgeldgangster, und 200 Jahre Lebenszeit sind für eine Technologie ziemlich beachtlich.