Vor 125 Jahren geboren: Joan Miró

Maler einer anderen Wirklichkeit

Der spanische Maler, Grafiker und Bildhauer Joan Miró im Juli 1981 bei der Arbeit an einer Lithographie.
Der spanische Maler, Grafiker und Bildhauer Joan Miró im Juli 1981 bei der Arbeit an einer Lithographie. © picture-alliance / dpa
Von Carmela Thiele · 20.04.2018
Seine luftige Malerei ist ein beliebtes Motiv für Kunstdrucke und Kalender im XXL-Format. Joan Miró hat eine eigene und zugleich universale Bildsprache entwickelt. Für ihn war die Malerei bis ins hohe Alter ein Abenteuer: Vor 125 Jahren wurde der Freigeist Miró in Barcelona geboren.
Im Gelb schweben: Sterne spinnenbeinig, ein Knäuel vibrierender Kreisformen in blau, ein schwungvoll gemalter schwarzer Bogen und ganz klein: ein kieselförmiger roter Fleck. Im Bild "Gold des Azur" aus dem Jahr 1967 von Joan Miró ist alles im Gleichgewicht, aber nichts stimmt mit der sichtbaren Wirklichkeit überein. Die Wirklichkeit des Malers ist eine andere.
"Beredsamkeit des Schweigens"
"Wonach ich eigentlich suche, ist unbewegte Bewegung, etwas, das dem entspricht, was man die Beredsamkeit des Schweigens nennt oder was Johannes vom Kreuz, wie ich meine, als Musik der Stille beschrieben hat", sagte Miró in den 1950er-Jahren einem Freund, dem Dichter Yvon Taillandier.
Spannung und Ruhe waren für Joan Miró keine Gegensätze, sondern bedingten sich gegenseitig. Damals hatte Miró gerade sein neues Atelier in Palma de Mallorca bezogen, wo er abgeschieden von der Welt ganz für seine Kunst lebte. Er war Mitte 60 und befand sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms: Er hatte Aufträge für eine Wandarbeit für das UNESCO-Gebäude in Paris, eine Retrospektive im Museum of Modern Art in New York und nahm an der 2. Documenta in Kassel teil. Diese Ehrungen sind die Früchte seiner beharrlichen Suche nach einer persönlichen Zeichenwelt, die zugleich auch vom Dasein aller Menschen erzählen sollte.
"Ich arbeite, wie ein Gärtner arbeitet oder ein Weinbauer. Die Dinge entwickeln sich langsam. Meine Formensprache zum Beispiel, die habe ich nicht auf einmal entdeckt", sagte Miró einmal.
Geboren wurde Joan Miró am 20. April 1893 in Barcelona. Er war der Sohn eines Goldschmieds und Uhrmachers. Früh begann Miró zu zeichnen. Er besuchte als junger Mann neben der Handelsschule die Kunstschule La Lonja.
Nervöse Depression und Typhus-Erkrankung
Als Miró nach seinem Abschluss als Gehilfe in einem Handelshaus anfangen musste, erlitt er im Alter von 18 Jahren eine nervöse Depression und erkrankte an Typhus. Er erholte sich im Landhaus der Familie in Mont-roig del Camp bei Tarragona, das über viele Jahrzehnte sein Rückzugsort bleiben sollte. In seiner Jugend hatte er Zeiten tiefer Traurigkeit erlebt, ihm war das Leben absurd erschienen. Miró war pessimistisch und wortkarg.
"Wenn meine Malerei auch humoristische Züge aufweist, suche ich nicht bewusst danach. Dieser Humor rührt vielleicht daher, dass ich das Bedürfnis habe, der tragischen Seite meines Temperaments zu entkommen. Es ist eine Reaktion, aber eine ungewollte", sagte Miró.
Ausschnitt aus dem Bild "Femme A La Voix De Rossignol Dans La Nuit" von dem katalanischen Maler Joan Miró.
Ausschnitt aus dem Bild "Femme A La Voix De Rossignol Dans La Nuit" von dem katalanischen Maler Joan Miró.© Carl Court / AFP
Während des Ersten Weltkriegs fanden viele französische Avantgarde-Künstler in Barcelona Zuflucht. Für Miró, der sich nach seinem Zusammenbruch entschieden hatte, Maler zu werden, war das ein Glücksfall. 1919 zog es ihn nach Paris. Er traf dort auf Picasso und später auf die Surrealisten um André Breton, für den die Ausschaltung des rationalen Bewusstseins Voraussetzung einer neuen Kunst war.
Keine Drogen, sondern andere Formen der Inspiration
Der kleinwüchsige, stille Miró aber ging eigene Wege. Während die Surrealisten mit Drogen experimentierten, pflegte er andere Formen der Inspiration.
"Die Dichtkunst, die Musik, die Architektur versetzen mich in eine Stimmung, die dieser Spannung zuträglich ist – Gaudí zum Beispiel ist großartig –, ebenso meine täglichen Spaziergänge auf dem Lande, das Knarren der Räder hölzerner Karren auf der Straße, Schritte, Schreie in der Nacht, Grillen", so Miró.
Bei aller Sinnlichkeit ist der in sich gekehrte Katalane auch ein scharfer Analytiker. Dadaistische Lautgedichte, und vor allem Rimbauds Gedicht "Les Voyelles" faszinierten ihn. Darin wies der Autor den Vokalen A, E, I, O, U Farben und Empfindungen zu. 1924 brachte Miró eine Reihe von Zeichnungen zu Papier, in denen Vokale zu Bildgegenständen werden. In "Automaton" zeichnete er ein großes A neben einen Sprachautomaten in Form eines Kopfes sowie ein Rad, ein O, das ihn mit einer Kurbel in Gang setzt.
Arbeit am künstlerischen Kosmos bis zu seinem Tode
Seine Malerei, so formulierte er es selbst, befreie sich in der Poesie, alles sei mit allem verbunden. Miró arbeitete bis zu seinem Tode 1983 an seinem künstlerischen Kosmos, hoch geschätzt von vielen Kollegen, unter ihnen Alberto Giacometti: "Es ist das Luftigste, das Leichteste, was ich je gesehen habe. In einem gewissen Sinn ist es absolut perfekt. Wenn Miró einen Punkt setzt, gelingt er ihm immer genau. In der Tat ist er ein Maler, der drei Farbflecke auf einer Leinwand lassen kann: sie sind da und damit auch ein Bild."
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