Von Wundern und dem Streben nach Glück

Jessica Hausner im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.03.2010
Die österreichische Regisseurin und Drehbuchautorin Jessica Hausner schickt in ihrem dritten Film eine gelähmte Frau auf Pilgerreise nach Lourdes. Der Ort ist Bühne für eine Geschichte vom Streben nach Glück und der drohenden Vergänglichkeit desgleichen.
Liane von Billerbeck: Es ist einer der Orte in Europa, von dem man Wunder erwartet - nicht die kleinen, sondern die ganz großen: Erlösung von Krankheit, Kummer, ja, dem Tod. Lourdes. Und dort hat die junge österreichische Regisseurin Jessica Hausner ihren gleichnamigen Film gedreht.

Sie ist 1972 geboren, Tochter des Malers Rudolf Hausner, und kam übers Schreiben zum Film, hat an der Wiener Filmakademie studiert und schon mit ihrem Abschlussfilm "Interview" Aufmerksamkeit erregt. Ihr voriger Film "Hotel" wurde auf den großen Festivals von Toronto bis Cannes gezeigt. Der neue, "Lourdes", lief auch schon in Venedig. Jessica Hausner ist jetzt zugeschaltet. Ich grüße Sie.

Jessica Hausner: Guten Tag!

von Billerbeck: Was treibt eine österreichische Filmemacherin nach Lourdes?

Hausner: Ja, das habe ich mich lange auch gefragt. Es war mir eine Zeit lang gar nicht so klar, welches Ziel ich eigentlich mit diesem Film verfolge, weil: An sich war die ursprüngliche Idee, lediglich einen Film über ein Wunder zu machen. Und ich habe dann auch verschiedene Recherchen gemacht, und an Lourdes hat mich dann letztlich doch sehr interessiert, dass es ein realer Ort ist, also wo man tatsächlich behauptet, dass man durch ein Wunder geheilt werden kann, wo man doch eigentlich glaubt als Erwachsener, alle sind sich einig, es gibt keine Wunder und das ist Kinderkram.

Und dann gibt es sozusagen diesen märchenhaften Ort in der Wirklichkeit, wo man als Sterbenskranker doch noch eine letzte Chance kriegt. Und das fand ich dann total faszinierend, weil: Ich fand darin eine Art Überhöhung von so einem ganz eigenen menschlichen Wunsch eigentlich, dass man das Unglück oder vielleicht auch sogar das Sterbenmüssen überwinden können möchte.

von Billerbeck: Ihre Heldin hat ja eine unheilbare Krankheit, multiple Sklerose, sitzt im Rollstuhl und hofft auf Erlösung, also sie hofft auf dieses Wunder. Wie erlebt sie denn nun Lourdes?

Hausner: Ach, das kriegt man gar nicht so mit. Der Film hat eine relativ distanzierte Erzählhaltung. Ich hatte immer das Gefühl, ich bin ein japanischer Forscher, der jetzt dorthin kommt und sich das Treiben dieser Leute mal anschaut. Ich wollte sozusagen nicht von vornherein Partei ergreifen, auch nicht die Partei einer Figur, und sei es die Hauptfigur.

Das heißt, ich habe mich sehr bemüht, eine distanzierte Haltung einzunehmen, während ich den Film gemacht habe, also indem ich das Storyboard und die Bilder gestaltet habe, weil es mir mehr auch um das gesellschaftliche Phänomen geht, also um die Idee an sich, was ist das überhaupt, dieser Wunsch, geheilt zu werden, und warum wird dann einer geheilt und ein anderer nicht.

von Billerbeck: Lourdes ist ja einerseits eine katholische Legende, zugleich aber auch als Wallfahrtsort ziemlich kommerziell. Wie haben Sie das erlebt?

Hausner: Ja, das hat mich nicht so gestört. Ich glaube, was mich eher schockiert hat, vor allem, wie ich das erste Mal dort war, war die Krankheit, also dass dort wirklich Menschen hinfahren, die sterbenskrank sind. Und ich hatte das so noch nie gesehen, also eine solche Ansammlung an sterbenskranken Menschen, dass wirklich Tausende von Rollstuhlfahrern und elend Kranken dort sich versammeln.

Das riecht man auch, ja, also das ist irgendwie, das liegt dort in der Luft, das ist einfach ein Anblick und ein Gefühl, das mich total schockiert hat, weil man ja eigentlich normalerweise dem Bild des Krankseins oder des Sterbens ausweichen möchte. Und dort springt einem das ins Auge, und dann noch dazu mit der Hoffnung, dass doch noch alles gut ausgehen könnte. Das hat mich eigentlich sehr betroffen und eigentlich auch schockiert, wie ich das erste Mal dort war.

von Billerbeck: Aber dieses Wunder, auf das alle hoffen, die Sie da gesehen haben, auf die Heilung, das tritt ja nicht immer ein, das tritt eigentlich in den seltenen Fällen ein, und wenn es dann tatsächlich eintritt, dann könnte das ja auch so, man könnte sagen eine größere Belastung sein, als wenn es nicht geschieht, denn ein Wunder ist ja ungerecht und zufällig - den einen trifft es, den anderen nicht. Wie kommt man damit klar?

Hausner: Also eben diese Ungerechtigkeit eines Wunders, das ist eigentlich der Knackpunkt auch in meinem Film, also in der Geschichte, die da erzählt wird, weil es eben genau davon handelt: Kann dieses Wunder, diese Heilung, die da passiert, kann mich das versichern, dass da jemand ist, vielleicht der liebe Gott oder sonst jemand, der eine gute Absicht mit mir hat.

Oder ist es im Gegenteil so, dass man sagen muss, das ist eben passiert, ohne dass man wirklich wissen kann, warum und warum es diese Person getroffen hat und nicht eine andere. Also es stellt sich anhand dieses Wunders eben diese Frage oder diese Gegenüberstellung, gibt es ein positives Prinzip im Leben, gibt es die Hoffnung auf einen sinnvollen Ausgang von dem Ganzen, oder ist es so, dass der Zufall einen ins Weltall geworfen hat, und da ist man halt jetzt und irgendwann krepiert man sinnlos.

von Billerbeck: Ein Wunder, darüber kann man ja als aufgeklärte junge Frau nicht ganz ohne Skepsis nachdenken und einen Film drehen. War man bei der katholischen Kirche in Lourdes eigentlich misstrauisch, als Sie mit Ihrem Anliegen kamen?

Hausner: Die sind auch sehr skeptisch. Also in der katholischen Kirche gibt es ganz viele Leute, die diesen Wunderglauben auch kritisch betrachten, weil, ja weil es eben so kindlich und naiv ist und weil letztlich, die wissen ja auch, dass jedes Wunder, auch von der medizinischen Seite aus gesehen, ambivalent ist, und dass natürlich immer wieder die Frage kommt, ja, warum wird jetzt der geheilt und nicht ein anderer.

Also ich glaube, innerhalb der katholischen Kirche selbst ist es auch nicht so klar, und ich glaube, das in den Gesprächen mit dem dortigen Bischof, der hat schon verstanden, dass ich in meinem Film dieses Wunder ambivalent darstellen werde, auch weil es gar keine andere Möglichkeit gibt, ein Wunder darzustellen, außer wenn man naiv wäre.

von Billerbeck: Nun geht es ja um die ganz großen Fragen, Sie haben es schon beschrieben, dass es Sie sehr erschreckt hat, so viele auf den Tod kranke Menschen an einem Ort zu sehen. Und wir wissen ja, alle müssen wir sterben, und die einen auf sehr qualvolle Weise und viel früher als die anderen - das ist ja eigentlich ein sehr düsteres Thema. Kommt einem das als Filmemacherin entgegen?

Hausner: Nein, im Gegenteil, eben wie ich das erste Mal dort war, habe ich gedacht, das ist so schrecklich, darüber will ich gar keinen Film machen, weil dann würde ich auch nichts sehen wollen, weil ich auch Sorge hatte, dass es sozialpornografisch wird, also dass man das Leid ausbeutet, um irgendwie einen tragischen Film zu machen. Das wollte ich eben auf keinen Fall. Sondern mich hat vielmehr eben das Allgemeinere dahinter interessiert.

Also ich konnte den Film erst dann machen, als mir klar war, dass ich keinen Film über Lourdes mache und auch nicht darüber, ob es jetzt Wunder gibt oder nicht - das ist mir eigentlich fast egal -, sondern es wird, Lourdes ist die Bühne für eine allgemeinere Erzählung, und die handelt von einem ganz grundsätzlichen Wunsch eines Menschen nach Erfüllung und nach Glück im Leben. Und sobald dieses Glück da ist, droht schon wieder die Vergänglichkeit desselben.