Von Widerstand und Wandel

Von Volkhard App · 19.08.2010
Anlässlich der Frankfurter Buchmesse mit dem Ehrengast Argentinien zeigt der Frankfurter Kunstverein die Ausstellung "Tales of Resistance and Change. Artists from Argentina". Sie gibt Einblicke in die künstlerische Praxis der letzten zehn Jahre.
Sind diese Fotos wirklich bedeutend? Jugendliche haben sich in einem heruntergekommenen Viertel am Rand von Buenos Aires mit Selbstauslöser fotografiert. Ernst, fast schon grimmig blicken sie in die Kamera.

Bedeutend ist sicherlich das Projekt, aus dem diese Fotos hervorgegangen sind, denn der in Argentinien lebende Schweizer Künstler Gian Paolo Minelli hat in diesem Viertel mehr als zehn Jahre lang Fotografiekurse gegeben, sodass die Menschen selber produktiv werden konnten. Und hat mit seinen Schülern vor Ort auch ein Kulturzentrum gegründet.

Andere Künstler dieser Schau fertigen zugunsten der Armen - und mit ihnen - einfache, handbemalte Bücher aus Kartonresten oder sie entwerfen und vertreiben Designmöbel aus Stoffabfällen. Mónicá Millán wiederum hält seit Jahren Kontakt zu ländlichen Webern, besucht und fotografiert sie, unterstützt sie im sozialen Kampf und lässt sich von ihnen zu Zeichnungen aus feinsten Linien anregen.

Nicht einzelne Künstlerinnen und Künstler stechen in dieser Ausstellung hervor - betont wird vielmehr ein bestimmtes Bild vom Künstler: dem Künstler, der sich sozialen Problemen öffnet und mit Zeitgenossen einzugreifen versucht. Rodrigo Alonso, Kurator der Frankfurter Ausstellung:

"Es hat seit 2001, seit der großen Wirtschaftskrise, einen entscheidenden Wandel in Argentinien gegeben. Bis dahin hatten viele Künstler für den boomenden Kunstmarkt gearbeitet, nun aber nahmen sie stärker das gesellschaftliche Umfeld wahr, die konkreten Lebensbedingungen im Land – und wie sehr diese von der Krise verändert wurden. Diese Künstler wollen nicht gleich die ganze Gesellschaft verändern - aber doch das Leben in der unmittelbaren Umgebung, in der Kommune, wo sie sich mit Teilen der sozialen Wirklichkeit auseinandersetzen und sich in einzelnen Projekten engagieren."

"Tales of Resistance and Change" heißt diese Schau. Ein Titel, der nahezu Programm ist. Kunstvereinsdirektor Holger Kube Ventura:

"Das heißt übersetzt vielleicht: 'Geschichten vom Widerstand und Wandel'. Das Wichtige daran ist das Wort 'Geschichten'. Denn es wird von Möglichkeiten und von Perspektiven erzählt, wie man widerständig und sich wandelnd reagieren kann."

Politische Aktivisten im engeren Sinn sind allenfalls jene Künstler, die protestierenden Bürgern helfen, Bilder und Parolen per Siebdruck auf Plakate und auf T-Shirts zu bringen – gegen Armut oder das Verschwinden von Menschen. Grundsätzlich gilt jedoch: Nicht politische "Weltveränderung” steht auf dem Programm, es dominiert vielmehr, fern großer Gesten, das ganz selbstverständliche Sich-Einlassen auf die Lebensbedingungen im eigenen Land. Damit könnten diese Künstler fast schon vorbildhaft sein für hiesige Kollegen, die oft in einem allzu engen Gehäuse aus Kunstmarkt, Event- und Medienrummel leben und produzieren. Diese argentinische Kunst setzt jedenfalls Zeichen. Ventura:

"Als wir im Sommer 2009 dieses Projekt zu planen begannen, stellte sich in ganz Deutschland, insbesondere in der Bankenstadt Frankfurt die Frage, was wir aus der Krise zu lernen haben. Und jetzt haben wir eine Ausstellung, die vorzeigt, was man künstlerisch machen kann und was aus der Krise zu lernen ist. Und deshalb finde ich sie sehr passend."

Manchmal streifen die präsentierten Werke aber auch die Banalität: Wenn Bürger von Buenos Aires in einer 6-Kanal-Video-Installation auf ihren alltäglichen Wegen über die Stadt erzählen.

Aussagekräftiger ist die Fotoserie von Ananké Asseff: Gezeigt werden Menschen aus gehobenen Schichten. Doch ob biederes Ehepaar, schöngeistiger Senior oder gediegene alte Lady am Stock: Die Fotografierten haben alle eine Schusswaffe bei sich. Die gehört offenbar dazu, gehört zum Überleben in einer sozial zerrissenen Gesellschaft.

Einen umfassenden Überblick über argentinische Kunst kann und will diese Ausstellung nicht geben, ins Auge fallen einzelne Fotoserien sowie Installationen mit und ohne Videos, Malerei wird dagegen schmerzlich vermisst. Statt mit stilistisch überragenden Werken zu glänzen, empfiehlt sich diese Schau eher durch einen hohen Informationswert zur sozialen und politischen Gegenwart des Landes.

Wobei Gabriel Baggio mit Pastaformen aus Keramik nicht nur an die italienischen Wurzeln seiner Familie erinnert, sondern auch ein Stück Heimat direkt mit nach Frankfurt gebracht hat: Denn in einer improvisierten Küche finden sich Fliesen und Tapetenmuster aus Buenos Aires. Dennoch lässt sich der argentinische Künstler von den Hessen inspirieren und kocht mit Partnerin zur Eröffnung "Grüne Soße", eine regionale Spezialität:

"Wichtig für meine künstlerische Position ist, dass ich mich in die Rolle desjenigen begebe, der etwas lernt. Das ist das Gegenbild zum erfolgreichen Künstler, der ständig nur für den Markt produziert. Und lernen kann ich zum Beispiel, in dem ich mit meiner Performance-Partnerin versuche, dieses ungewohnte Essen zu kreieren."