Von Odins Raben bis zur christlichen Taube

    Von Gerd Brendel · 06.05.2013
    Seit jeher spielen Vögel in vielen Religionen eine wichtige Rolle. Im alten Ägypten galten Falken als heilig, der Germanen-Gott Odin wurde von den beiden Raben Hugin und Munin begleitet und bis heute dient die Taube als christliches Friedenssymbol.
    Da saust es um Odin und schwirrte herab.
    Zwei Vögel kamen geflogen.
    Zwei Vögel im schwarzen Gewand der Nacht.


    Heißt es in der Edda. Die Vögel im schwarzen Gewand der Nacht, die den Germanen-Gott Odin begleiten, sind die beiden Raben Hugin und Munin. Sie fliegen über die Erde und dienen dem Gott als gefiederte Informanten

    Bei Tagesanbruch entsendet er sie, um über die ganze Welt zu fliegen, und zur Frühstückszeit kehren sie zurück.

    "Hugin" – lässt sich mit" Gedanke" übersetzen, "Munin" mit Erinnerung. Seit jeher haben Vögel die Menschen an ihre Götter erinnert, nicht nur in Europa. Im alten Ägypten galt der Falke als heilig, weil sich der Himmelsgott Horus in ihm zeigte.

    Ich bin Horus, der Falke. Mein Vogelflug hat das Lichtland erreicht. Ich habe die Götter des Himmels erreicht.

    Heißt es im ägyptischen Totenbuch. In Indien dienen gleich mehrere Vögel als Reittiere, als Vahanas hinduistischer Gottheiten. Schöpfergott Brahma fliegt auf einer Wildgans und seine Gefährtin Saraswati auf einem Pfau. Keine Frage, die Vorstellung von heiligen Vögeln ist so alt wie die Religionen.

    Ihre Geschichte spiegelt das wechselvolle Schicksal der Götter, die sie verkörpern. Verlieren letztere ihre Macht, werden auch ihre gefiederten Symbole umgedeutet. Beispiel: Odins Raben. Mit der einsetzenden Christianisierung wird nicht nur Odin zum heidnischen Götzen heruntergestuft, auch seine tierischen Begleiter wechseln die Seiten vom heiligen zum unheiligen. Seit dem frühen Mittelalter hocken sie nicht mehr auf göttlichen Schultern, sondern als Stellvertreter des Teufels auf dem buckligen Rücken einer Hexe. Seither gelten Raben als Unglücks- und Todesboten. Andere Artgenossen ergeht es besser. Sie können ihre positive Stellung behaupten, wenn auch mit neuer Bedeutung.

    Wenn du nahest, o Göttin, dann fliehen die Winde.

    Dichtete der römische Dichter Lukrez auf Venus oder Aphrodite. Auf antiken Wandmalereien oder Reliefs steht die Liebesgöttin bei ihrer Reise durch den Himmel auf einem Wagen, der von Tauben gezogen wird. Ein turtelndes Taubenpaar gehört zur ständigen Begleitung der Liebesgöttin, bis ja, bis auch Venus zusammen mit den anderen Mitglieder ihrer weitverzweigten Götterfamilie in der Spätantike ihren himmlischen Platz für den Christengott räumen muss. Die Taube allerdings darf bleiben:

    Und es begab sich zu der Zeit, dass Jesus aus Galiläa von Nazareth kam und ließ sich taufen von Johannes im Jordan. Und alsbald stieg er aus dem Wasser und sah, dass sich der Himmel auftat, und den Geist gleich wie eine Taube herabkommen auf ihn.

    Heißt es im Markus-Evangelium über die Taufe Jesu. Vom Symbol irdischer Liebe und ihrer göttlichen Urheberin zum Symbol göttlicher Liebespräsenz unter den Menschen. Ein deutlicher Aufstieg in der Hierarchie heiliger Vögel. Und auch im nachchristlichen Himmel flattert der weiße Vogel im Dienste höherer Ideale: als Friedenstaube. Das Motiv taucht zum ersten Mal im Barock auf und avanciert im kriegsgeplagten 17. Jahrhundert auf Münzen und Medaillen zum politischen Friedenssymbol schlechthin. Klar, dass auch für diese Bedeutung ein heiliger Text Pate stand: In der Erzählung von der Sintflut ist es die Taube, die mit einem Ölzweig zurück zur Arche kehrt und von Noah als Zeichen für das Ende der Flut gedeutet wird.

    Auf eine genauso lange Karriere wie die Taube kann ein anderer Göttervogel zurückblicken, von dem Ovid berichtet:

    Einst für den Phrygiersohn Ganymed erglühte der Götter König in Lieb'.

    Um ihn zu entführen verwandelt sich Jupiter in sein Symboltier, den Adler.

    Doch keinen der Vögel würdigt er, ihm die Gestalt zu leihen, als der ihm den Blitz trägt. Ohne Verzug durchschießend die Luft mit erborgtem Gefieder,
    raubt er den ilischen Spross.


    Vom Symbol des höchsten römischen Gottes wird der Adler als militärisches Feldzeichen zum Symbol der römischen Weltmacht. Rom ging unter, aber als Markenzeichen universeller Macht hält der Höhenflug des Adlers unvermindert an. Die Karolinger waren die ersten, die mit der Übernahme des römischen Symbolvogels ihren Anspruch als Nachfolger Roms dokumentierten. Die Kaiser des "heiligen römischen Reichs deutscher Nation" folgten.

    Und heute? Im Wappen der USA lebt der Jupiter-Vogel als Weißhaupt-Adler weiter. Die Wahl des "bald eagles" als Wappentier geht angeblich auf ein paar aufgeschreckte Weißhauptadler zurück, die eines der ersten Gefechte im Unabhängigkeitskrieg mit ihrem Geschrei begleiten. Legende oder Wahrheit - die Wahl eines Adlers passte zum Selbstverständnis der amerikanischen Gründungsväter, die ihren neuen Staat in der Nachfolge der römischen Republik sahen.

    Heilige Vögel: Sie schmücken nicht nur Tempel, Kirchen und weltliche Gebäude. Sie ziehen nicht nur im göttlichen Auftrag oder als Götter selbst ihre Kreise am Himmel. Sie stehen auch immer für den Anspruch ihrer Priester, diesen Himmel zu beherrschen.

    Links zum Thema:
    Da fliegen sie wieder!
    Vom 6.-12. Mai: Die große Vogelschau im Deutschlandradio Kultur