Von Neinsagern und Systemfehlern

Von Annette Riedel, Deutschlandradio Kultur · 26.02.2010
"Hirntot" hat der scheidende demokratische US-Senator Bayh den US-Kongress genannt. Das, was er damit meint, spiegelte sich eindrucksvoll in der gestrigen Marathon-Fernseh-Debatte wider: Die viel gerühmten Checks and Balances, die gegenseitige Kontrolle von US-Verfassungsorganen, führt zu oft nicht etwa zum Ausgleich sondern zur Lähmung im Gesetzgebungsverfahren.
Immer dann, wenn die Opposition kein Interesse an einer überparteilichen Zusammenarbeit hat. Aktuelle Beispiele: Klimaschutz, Finanzmarktkontrolle und eben die Gesundheitsreform.

Es offenbart sich ein systemisches Problem, ein in der US-Verfassung angelegtes. Im Gesetzgebungsverfahren sind zu viele potenzielle Bremsen eingebaut.

Die eigentlich recht komfortable Mehrheit von Obamas Demokraten in beiden Häusern des Kongresses reicht nicht aus, die Blockade der Republikaner zu durchbrechen. Dazu bräuchten sie jene Supermehrheit im Senat, die sie in der Nachwahl in Massachusetts im Januar verloren haben.

Die Lähmung Kongresses schadet in erster Linie dem Präsidenten und seiner Regierung – unter dem Motto: kriegen die denn gar nichts gebacken außer schönen Reden? – und nützt der Opposition. Die ist entsprechend wenig motiviert die Bremsen zu lösen.

Warum greift dann offenbar auch der gestrige Versuch Obamas nicht durchschlagend, die Republikaner öffentlich als genau die Bremser vorzuführen, als die sie sich gebärden, die selbst weitgehend auf schlüssige, alternative Konzepte verzichten?

Weil sich die Bremser bei der Gesundheitsreform in bester Gesellschaft wissen. Angesichts der im Herbst anstehenden Kongresswahlen sogar in allerbester Gesellschaft: rund die Hälfte der Bevölkerung sperrt sich gegen Obamas inzwischen längst abgespeckte Gesundheitsreform.

Wie man überhaupt dagegen sein kann, dass möglichst viele Menschen einen Versicherungsschutz bekommen, dass Krankenversicherungen verlässlicher und erschwinglicher und die Kosten im Gesundheitswesen insgesamt für alle begrenzt werden, ist für viele von uns sozialstaatgewöhnte Europäern nicht nachvollziehbar.

Reconciliation, Versöhnung, heißt ein umstrittenes parlamentarisches Verfahren, mit dessen Hilfe die Demokraten theoretisch ohne überparteiliche Kooperation große Teile ihres Reformvorhabens mit einfacher Mehrheit im Senat durchdrücken könnten. Es wäre allerdings nichts Versöhnliches an diesem Manöver, sondern es liefe de facto auf das genaue Gegenteil hinaus: eine Art Kampfansage der Mehrheit an die Minderheit.

Da unter den rund 50 Prozent Reform-Gegnern in der Bevölkerung durchaus nicht nur potenzielle Wähler der Republikaner, sondern auch der Demokraten sind, hat der Präsident diese Art der Versöhnung in der gestrigen Debatte zwar als eine Möglichkeit erneut pointiert in den Raum gestellt, überhaupt noch irgendeine eine Art Gesundheitsreform zu bekommen. Ob aber die Demokraten im Kongress dazu mehr oder weniger geschlossen die nötige Überzeugung in der Sache für den nötigen Mut vor den Wählern aufbringen? Darauf wetten mag man nicht.