Von Maximilian Steinbeis

09.09.2012
Die FAZ wertet die zu Ende gegangenen Filmfestspiele in Venedig als eine "Art Tempel-, Moscheen-, Synagogen- und Kirchentag". Die Vergabe des Goldenen Löwen an den koreanischen Regisseur Kim-Ki-Duk für seinen Film "Pietà" erntet in vielen Medien Beifall, wenngleich die extrem expliziten Gewaltszenen unterschiedlich diskutiert werden.
"Die religiösen Themen und Motive, sie haben im Kino immer noch eine gewaltige Kraft."

Zu dieser Beobachtung sieht sich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Tobias Kniebe genötigt, und zwar anlässlich der soeben zu Ende gegangenen diesjährigen Filmfestspiele in Venedig. Da wird er recht haben, denn die Kollegen von der TAZ und von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG bestätigen seinen Befund.

"Heiliger Bimbam, der heilige Ernst ist da",

überschreibt in der TAZ Christina Nord ihren Festspielbericht und fragt angesichts eines halben Dutzend religiös oder antireligiös inspirierter Wettbewerbsbeiträge mit Faustens Gretchen:

"Nun sag, wie hältst du’s mit der Religion?"

Und in der FAZ wähnte sich Dietmar Dath

"auf dem Lido 2012 (…) auf einer Art Tempel-, Moscheen-, Synagogen- und Kirchentag."

Dazu passt, dass der goldene Löwe an einen koreanischen Film namens "Pietá" ging, der von der Läuterung eines bösen Schuldeneintreibers handelt, allerdings seiner extrem expliziten Gewaltszenen wegen kaum auszuhalten ist.

"Die Gewalt ist ganz eminent in dieser Story, nein, die hätte man nicht anders, nicht milder darstellen können,"

rechtfertigt sich Regisseur Kim-Ki-Duk im Interview mit der WELT.

"Schmerz ist essenziell in dieser Geschichte, ich zeige, wie er sich anfühlt, aber nicht, wie er zugefügt wird. Das macht es vielleicht erträglicher. Aber viele sagen auch, das sei viel schlimmer, weil die Vorstellungen im Kopf viel stärker sind."

Mit der Preisvergabe sind die meisten Kritiker hoch zufrieden, wobei Susanne Ostwald in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG den Film als

"hintersinnige(n) Kommentar zu unserer Zeit der globalen Finanzkrise einzuordnen müht, die einerseits von Geldgier, andererseits von der Hoffnung vieler auf spirituelle Erlösung geprägt wird,"

während Anke Westphal in der FRANKFURTER RUNDSCHAU einfach nur findet:

"Der Mann war irgendwie dran."

Nur die TAZ-Kritikerin Christina Nord mäkelt, der

"sadistische Überschuss"

des Films täusche

"darüber hinweg, dass Kim-Ki-Duk sonst nicht viel zu erzählen hat,"

und ist auch sonst genervt von einem Festival, das sich,

"statt einen Freiraum zu behaupten, zum Abbild dessen machte, was als Gespenst die Gegenwart heimsucht: Der Raum jenseits von Religion, Religionskritik, von Fundamentalismen religiöser wie säkularer Prägung wird klein und eng."

Das wäre jetzt eine schöne Überleitung zu einem weiteren Text voller Nachdenklichkeiten zur Beschneidungsdebatte. Aber nein, ein solcher findet sich im überregionalen Feuilleton heute ausnahmsweise nicht, dafür aber ein Bericht in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG über die Niederlande kurz vor den Parlamentswahlen, in dem sich Dirk Schümer bemüht, die komplizierte Seelenlage der Holländer zwischen

"Sehnsucht nach der Idylle und Agonie und Angst vor der eigenen Courage"

einzufangen. Wird diese Wahl,

"die erste in einer Zahlernation, seit die jüngste EZB-Entscheidung die Dimensionen der europäischen Schuldenkrise vollends ins Unvorstellbare getrieben hat,"

die im niederländischen Parteienspektrum so erfolgreichen linken und rechten Euroskeptiker an die Macht bringen? Der FAZ-Korrespondent bezweifelt das angesichts der Tatsache, dass

"der Abschied von der Einheitswährung und die Rückkehr der heißgeliebten, bunten Guldennoten jeden Bürger ein sattes Monatsgehalt im Jahr kosten"

dürfte, und glaubt zu wissen:

"Im Herbst werden die Märkte das Geld verlangen, und auch die Niederlande werden – egal, wer dann regiert – dann die nächsten Tranchen zur Stützung Griechenlands und des Euro überweisen. Das ist nach wochenlangen Debatten und Rechenexempeln die eigentliche Wasserstandsmeldung der Post-Demokratie: Die Niederländer haben keine Wahl."

Jetzt bleibt uns nur noch Zeit für eine Nachricht, die keinem Feuilleton mehr als eine kurze Meldung wert war: Der kanadische Künstler Gareth Moore hat auf der Kasseler Documenta seine eigene Skulptur mit einem Bulldozer plattgemacht. Wir erwähnen das eines Satzes aus der Agenturmeldung wegen, der uns außerordentlich viel Spaß gemacht hat:

"Der radikale Abriss sei wohl Teil einer Inszenierung und keine mutwillige Sachbeschädigung gewesen, sagte ein Polizeisprecher am Sonntag."