Von Jägern zu Ackerbauern

Als die Freiheit der Menschheit endete

07:45 Minuten
Ein Traktor fährt über ein weites braunes Feld in der Vojvodina (Serbien)
War der Beginn des Ackerbaus eine Sternstunde der Menschheit - oder doch eher ein großer Fehler? © imago images
Von Volkart Wildermuth · 22.08.2019
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Der Wandel der Menschheit von Jägern und Sammlern hin zu Ackerbauern wird oft als zivilisatorischer Fortschritt beschrieben. Falsch, sagen nun einige Wissenschaftler: Vielmehr brachte dies neuartige Seuchen, mehr Arbeit und Knechtschaft mit sich.
"Ein Narrativ in Trümmern" nennt James Scott die Erzählung der frühen Menschheitsgeschichte als einer Geschichte des Fortschritts. Der Politologe von der amerikanischen Yale University interessiert sich für das Wechselspiel von Staat und Gesellschaft und versucht, in seinem neuen Buch diese Frage vom Anfang her zu klären, von der Einführung des Ackerbaus. Aus seiner Sicht keine Sternstunde der Menschheit.
"Während die Anpflanzung von Getreide im Standardnarrativ als entscheidender Schritt hin zu einer utopischen Gegenwart anmutet, kann er denen, die ihn als Erste taten, nicht in dieser Weise erschienen sein."
Skelettfunde zeigen zum Beispiel, dass die frühen Bauern kürzer lebten und längst nicht so gesund waren, wie benachbarte Jäger und Sammler. Letztere hatten unterm Strich ein leichteres Leben, denn Ackerbau ist vor allem eines: arbeitsaufwändig.

Ackerbau macht mehr Arbeit

Wieviel Mühe das Hacken und Pflügen vor zehntausend Jahren gekostet hat, lässt sich heute natürlich nicht mehr feststellen. Deshalb ist eine aktuelle Studie von Mark Dyble so interessant. Der englische Anthropologe ist auf die Philippinen gereist.
Dort, auf der Insel Luzon, leben die Agta hauptsächlich von der Jagd auf Rehe und Schweine, vom Honig, den Früchten des Waldes und von Fischen und Meeresfrüchten. Einige Agta haben aber auch angefangen, Reis zu kultivieren. Mark Dyble hat bei zehn Gruppen dokumentiert, was die einzelnen Mitglieder den Tag über machen, ob sie jagen oder Reisanpflanzen, wann sie sich um die Kinder kümmern, ein Schwätzchen halten oder sich ausruhen und schlafen.
"Unter diesen zehn Gruppen gab es solche, die nur jagen und sammeln, und anderen, die fast nur Ackerbau betreiben. Wenn die Leute mit dem Ackerbau beginnen, dann müssen sie mehr arbeiten und haben weniger Freizeit. Wir schätzen, dass der Ackerbau in der Woche zehn Arbeitsstunden mehr erfordert. Besonders die Frauen haben weniger Freizeit. Sie arbeiten mehr auf dem Acker, als die Männer."
Jagen und Sammeln ist offenbar der effektivere Weg, an die nötigen Nahrungskalorien zu kommen. Zumal es noch weitere negative Konsequenzen des Reisanbaus gibt.
"Wir haben herausgefunden, dass die Gruppen, die Reis anbauen, weniger gesund sind. Sie klagen häufiger über Krankheiten und leiden unter Parasiten, auch ihre Lebenserwartung ist kürzer. Dafür sind sie fruchtbarer, bekommen mehr Kinder und das in kürzeren Abständen."

Brachte ein Kälteeinbruch den Wandel?

Nimmt man das Beispiel der Agta heute, kann man auch den Rückschluss daraus ziehen, dass wohl auch in der Frühgeschichte der Übergang zur Landwirtschaft nicht automatisch eine attraktive Option war. Warum es also machen? Auf den Philippinen ist es vor allem der Druck der umliegenden Bevölkerung, der die Agta dazu bringt, Reis anzubauen und sesshaft zu werden. Einen solchen Gruppendruck gab es vor Tausenden Jahren noch nicht.
James Scott vermutet, dass damals vor allem Klimaschwankungen eine Rolle spielten. In den Feuchtgebieten von Euphrat und Tigris gab es zeitweise Nahrung im Überfluss, die Bevölkerung wuchs. Ein längerer Kälteeinbruch ließ die Ressourcen schwinden und unter diesen Bedingungen wurde Ackeranbau attraktiv: Er war zwar mühsam, lieferte aber verlässliche Erträge. So begann eine Phase der Domestikation von Pflanzen und Tieren, die auch den Menschen veränderte.
"Und was ist mit dem 'obersten Domestikator' Homo sapiens? Wurde er nicht seinerseits domestiziert, gefangen in der Tretmühle des Pflügens, Säens, Jätens, Mähens, Dreschens, Mahlens, alles um seines Lieblingsgetreides willen und zur Erfüllung der täglichen Bedürfnisse seines Viehs?"
Vom freien Jäger und Sammler zum Bauern, der an die Scholle gefesselt ist, bei Buchautor James Scott klingt das nicht sehr positiv. Die archäologischen Funde legen auch nahe, dass die Menschen lange zwischen den verschiedenen Lebensformen wechselten: In kalten trockenen Perioden konzentrierten sie sich auf die verbliebenen fruchtbaren Gegenden und betreiben Ackerbau. Sobald es wieder wärmer und feuchter wurde, lebten die Gruppen wieder mehr als Jäger und Sammler. Stabile Staaten entstanden erst vier Jahrtausende nach der Landwirtschaft und dem Entstehen von festen Siedlungen, vor allem aus der Notwendigkeit, die Bewässerung zu organisieren und um eine größer gewordene Bevölkerung zu ernähren. Es entwickelten sich Hierarchien und Systeme der Zwangsarbeit.
"Der frühe Staat trachtet danach, eine übersichtliche, gleichmäßige, ziemlich einförmige Landschaft besteuerbarer Feldfrüchte zu schaffen und eine große Population auf diesem Boden zu halten, die für Fronarbeit, Kriegsdienste und natürlich für die Getreideproduktion zur Verfügung steht."

Ackerbau brachte strenge Hierarchien mit sich

Der Steuereintreiber ist für James Scott die Verkörperung des Staates schlechthin. Er bewertete die Felderträge und wurde so entscheidend für die Entwicklung von Zahlensystemen und der Schrift für die Buchhaltung. Die Wunder der Zivilisation fußen in dieser Sicht letztlich auf dem Zwangssystem der Besteuerung. Das greift bei Jägern und Sammlern ins Leere, wie auch überhaupt strenge Hierarchien. Das konnte Mark Dyble bei den Agta erleben.
"Im Durchschnitt wechseln die Leute alle zwei Wochen das Camp. Sie sind nicht so ans Land gebunden wie Bauern. Das ist ein wichtiger Mechanismus, um Hierarchien zu unterlaufen. Wenn Einzelne versuchen, eine Führungsposition zu beanspruchen, dann können die anderen einfach die Gruppe wechseln. Bauern haben über viele Wochen Arbeit in ein bestimmtes Feld investiert. Auf eine Art ist man gefangen, sobald man Land besitzt."
Das würde auch James Scott so sehen. In seinem Buch preist er als Alternative den Lebensstil der Volksgruppen, sogenannten Barbaren, die frei die weniger produktiven Landschaften nutzen und Staaten immer wieder von außen angriffen. Dabei gerät allerdings etwas aus dem Fokus, dass auch diese Gruppen oft hierarchisch organisiert waren und zum Teil Sklavenarbeit nutzten.
Ein wenige verklärt der Politologe das Leben der Jäger und Sammler. Davon abgesehen bietet Scotts Buch "Die Mühlen der Zivilisation" einen sehr unterhaltesamen und vor allem Augen öffnenden Einblick in die Anfänge der Landwirtschaft und die Entwicklung von Staaten. Und jedem dürfte nach der Lektüre klar sein: Zivilisation ist eine zweischneidige Sache. Die Agta sind keineswegs rückschrittlich, nur weil nicht alle von ihnen enthusiastisch Reis anbauen wollen.
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