Von gesetzt bis turbulent

Moderation: Jürgen König · 21.05.2008
Der erste Katholikentag fand 1848 statt. Besonders viel Zulauf hatten die Treffen zur Zeit der Weimarer Republik. Zur Nazizeit wurden sie verboten. Nach Ansicht des Publizisten Hajo Goertz sei der Katholikentag 1968 der turbulenteste gewesen. Man habe dort in Bezug auf den damaligen Bischof von Essen skandiert: "Hengsbach, wir kommen, wir sind die linken Frommen!"
Jürgen König: Heute Abend um 18.00 Uhr wird in Osnabrück mit einer Feier vor dem Dom der 97. Deutsche Katholikentag eröffnet. Zehntausende Katholiken und Gläubige anderer Konfessionen und Religionen werden bis zum Sonntag erwartet. Unter dem Motto "Du führst uns hinaus ins Weite" sollen zwei Themenbereiche im Mittelpunkt des Katholikentages stehen. Große Themen sind das, die Zukunft von Glaube und Kirche und die Zukunft der Gesellschaft. Dazu wird es Gottesdienste geben, Vorträge, Podiumsdiskussionen. Die Bundeskanzlerin wird an einer solchen über den Klimawandel teilnehmen. Auch der Bundespräsident wird den Katholikentag besuchen. Wir werden von alledem berichten, möchten jetzt zum Auftakt einen kleinen Gang durch die Geschichte dieser Katholikentage unternehmen mit dem Publizisten Hajo Goertz. Er ist in Osnabrück. Herr Goertz, guten Morgen!

Hajo Goertz: Guten Morgen, Herr König!

König: Herr Goertz, als erster Katholikentag gilt die Generalversammlung des katholischen Vereins Deutschlands am 3. Oktober 1848. Im kurfürstlichen Schloss von Mainz kam man zusammen, weil man, so steht es geschrieben, der staatlichen Bevormundung etwas entgegensetzen wollte. Schildern Sie uns die Umstände. Was genau hat es mit dieser Gründung auf sich?

Goertz: Es ist in der Tat so, dass die staatliche Bevormundung damals, das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen, ausgesprochen weit ging. Die Behörden nahmen zum Beispiel Eingriffe in die Personalpolitik, in die Besetzung von Bischofsstühlen, von Pfarrerstellen. Und die Laien haben sich gesagt, das können wir nicht weiter dulden. Die Kirchenoberen, die Bischöfe, haben sich immer wieder dagegen verwahrt und gewehrt, aber sich eigentlich nicht durchgesetzt. Und dann haben die Laien sich gesagt, wir müssen uns organisieren, um der staatlichen Bevormundung entgegenzuwirken. Sie konnten dazu, und das ist sozusagen die katholische Revolution in 1848, im Revolutionsjahr, die vom Staat abgerungene Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit nutzen, und haben das getan und sich in Mainz versammelt zum ersten Katholikentag. Der hieß damals noch Generalversammlung der katholischen Vereine oder des katholischen Vereins. Der katholische Verein, das waren die Organisationen der Laien, die sich da gebildet haben.

König: Das war doch aber auch eine große Misstrauenserklärung gegenüber der Geistlichkeit. Wie hat die reagiert?

Goertz: Das ist auch das Spannende an dieser Geschichte, die Laien haben damals die Bischöfe oder auch die Pfarrer, das heißt, die geistliche Obrigkeit, nicht um Genehmigung gefragt, sich zu organisieren. Das ist insofern bemerkenswert, als die Autoritätsgläubigkeit der Katholiken, der katholischen Laien gegenüber ihren geistlichen Oberen, eigentlich ungebrochen war. Man hätte sich an sich vorstellen können, dass sie fragen, ob das genehm ist. Sie haben es nicht getan. Sie haben sich von sich aus zusammengetan, und die Bischofskonferenz ist erst ein paar Monate später gegründet worden. Die Bischöfe waren dieser Entwicklung der Laienorganisationen auch sehr zurückhaltend gegenüber. Sie haben zum Beispiel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur ganz selten die Katholikentage besucht.

König: Ich habe mich gestern gefragt, welche Stellung überhaupt der Laie in der katholischen Kirche hat. Habe eine Anekdote gefunden, des Laientheologen Yves Congar, der sagte, eigentlich drei: kniend vor dem Altar, sitzend vor der Kanzel und dann eine gebückte, nämlich wenn er das Portmonee zückt. Ist das gut erfunden, oder wie viel Wahrheit steckt darin?

Goertz: Das ist ein gutes Stück Wahrheit und widerspricht eigentlich der Theorie. Ich sag das mal so. Die Theorie ist entwickelt worden beim Zweiten Vatikanischen Konzil in den 1960er Jahren. Und was jetzt die Geschichte der Katholikentage angeht, würde ich gerne mal dazusagen, dass die deutsche Entwicklung der Laienorganisationen, ausgerechnet die deutsche, da eine sehr große Bestätigung gefunden hat. Die Geschichte der Katholikentage ist bis zu diesem Konzil hin eigentlich eine permanente Auseinandersetzung um die Eigenständigkeit der Laienorganisationen. Das heißt, dass sie sich immer wieder gewehrt haben dagegen, dass Bischöfe versucht haben, sie an Weisungen zu binden. Das haben sie eigentlich immer erfolgreich abgewehrt bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Das ist eine Sonderentwicklung. Aber das Zweite Vatikanische Konzil hat eben zwei Dinge getan. Es hat erstens eine Theologie des Volkes Gottes entwickelt und gesagt, alle Gläubigen, das heißt auch die Laien, haben Anteil an allen Ämtern und Charismen in der Kirche. Und das ist so etwas wie das evangelische allgemeine Priestertum aller Gläubigen. Und das Zweite, was sie gesagt haben, was das Konzil gesagt hat, ist, dass die Laien auch Verantwortung für die Kirche haben. Und die fordern nun die Laien eigentlich seither ein, und sie wird ihnen von den Bischöfen und den Pfarrern wird sie ihnen nicht sonderlich zugestanden.

König: Gehen wir noch mal zurück in die Geschichte der Katholikentage, ins 19. Jahrhundert. Ich habe einen Brief von Karl Marx gefunden. Da schreibt er an Friedrich Engels, dass, "energisch, speziell in katholischen Gegenden, gegen die Pfaffen losgegangen werden müsse". Und weiter: "Ich werde in diesem Sinn durch die Internationale wirken, die Hunde kokettieren, wo es passend scheint mit der Arbeiterfrage." Was war das für ein Kampf des Karl Marx' gegen die "Pfaffen", wie er es nannte, und wie waren überhaupt die Katholikentage in der Arbeiterfrage definiert?

Goertz: Ich denke mir, dass die Katholikentage so etwas wie eine Kernbewegung der Katholischen Arbeiterbewegung gewesen ist, von den Katholikentagen ausgegangen ist, die Beschäftigung mit sozialen Fragen, da ist die Organisierung der katholischen Arbeiter davon ausgegangen. Und die Katholikentage haben sich eigentlich von Anfang an immer sehr mit den sozialen Fragen beschäftigt. Es war die Zeit, wo der Kapitalismus, wo die Unternehmer die Arbeiter ausbeuteten. Und es ist höchst interessant, was der Katholikentag bereits im 19. Jahrhundert für Forderungen erhoben hat. Ich nehme mal nur ein paar Beispiele. Es wurde ein gesetzlicher Mindestlohn gefordert, um der Ausbeutung der Arbeiter durch die Unternehmer vorzubeugen. Es wurden die Beteiligung der Arbeiter an den Unternehmensgewinnen beteiligt. Es wurden Betriebsräte gefordert, um jeweils Lohnentwicklungen miteinander zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern auszuhandeln. Und es wurde ein familiengerechtes Einkommen gefordert. Das heißt, es musste ein Arbeiter so viel verdienen, dass er seine Familie ernähren konnte. Wenn man sich die Landschaft heute betrachtet, dann ist es schon erstaunlich, was da damals bereits gefordert worden ist. Um noch mal eben dann auf den Karl Marx zu kommen. Diese katholische Sozialbewegung ist eigentlich sehr erfolgreich gewesen, und das war ein Kampf zugleich gegen den Sozialismus, gegen den Kommunismus, gegen die sozialistische Arbeiterbewegung. Und sie war im 19. Jahrhundert ausgesprochen erfolgreich.

König: Die Katholikentage hatten dann in den 20er Jahren, zur Zeit der Weimarer Republik, viel Zulauf. Zur Nazizeit waren sie verboten, fanden nach 1950 in zweijährigem Wechsel mit dem Deutschen Evangelischen Kirchentag dann statt. In den Annalen wird immer der Katholikentag von 1968 so hervorgehoben als ein besonders rebellischer. Was geschah da?

Goertz: Dieser Katholikentag ist in der Tat in der Geschichte der 97 bisherigen der turbulenteste gewesen. Es war das Konzil gerade beendet. Die Laien hatten sehr viel Hoffnung auf eine neue Entwicklung in der Kirche, auf ihre Mitwirkung, auf ihre Mitverantwortung. Und dann platzte in alle Vorbereitungen hinein die berühmte Enzyklika von Paul VI., "Humanae vitae", die vor allen Dingen sich gegen die künstliche Empfängnisregelung, gegen die Pille, ausgesprochen hat. Und das hat viele Katholiken auf die Palme gebracht. Es wurde damals, der Bischof von Essen hieß Hengsbach, skandiert: "Hengsbach, wir kommen, wir sind die linken Frommen!" Es wurden heftigste Diskussionen geführt. Die Katholiken forderten Gewissensfreiheit und ihre eigene Verantwortung, was das sexuelle Verhalten zum Beispiel angeht, da wollten sie sich von der Kirche nicht weiter vorschreiben lassen. Man befürchtete, dass die Entwicklung sozusagen hinter das Zweite Vatikanische Konzil und das neue Kirchenverständnis zurückfallen würde. Und das hat man da sehr lautstark und heftig mit Transparenten und heftigen Diskussionen zum Ausdruck gebracht.

König: Und mit Erfolg auch?

Goertz: Ich würde sagen jein. Es gibt seitdem so etwas wie einen kritischen Katholizismus. Der begann da sich zu formieren. Kurz darauf bildet sich die Kirche von unten. Das führt auch hin bis in den 90er Jahren zu einem Kirchenvolksbegehren. Es hat auch ganz allmählich dazu geführt, dass auf den Katholikentagen und selbst im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das ist der Zusammenschluss, der wesentlich diesen Katholikentag trägt und verantwortet, dass da auch ganz andere Töne, forschere Töne, diskutiert werden, als das früher war.

König: Vielen Dank! Die wechselvolle Geschichte deutscher Katholikentage, erzählt vom Journalisten und Publizisten Hajo Goertz in Osnabrück. Heute Abend wird dort der Katholikentag 2008 eröffnet. Wir werden darüber immer wieder berichten.