Von der Risikofreude

No risk, no fun?

Russisches Roulette: Eine Pistole, in der nur eine Patrone steckt
Russisches Roulette: Eine Pistole, in der nur eine Patrone steckt © imago/Science Photo Library
Von Christian Möller  · 11.06.2017
Welchen Gefahren setzt sich ein Mensch aus und was reizt uns am Risiko? Mit Schülern philosophiert Isabelle Guntermann auf der phil.cologne zum Thema Risikofreude und erklärt dabei beiläufig Kants Vorstellung der Menschenwürde oder Aristoteles Unterscheidung zwischen dem Feigen, dem Tollkühnen und dem Mutigen.
Isabelle Guntermann: "Ihr sehr hier schon so ein Bild. Dieser Taucher befindet sich etwa 125 Meter unter der Wasseroberfläche...."
Guillaume Nery, so heißt der Mann auf dem Foto, das groß auf eine Leinwand projiziert ist. Einer der bekanntesten Apnoe-Taucher der Welt. Ein Extremsport: "Apnoe" bedeutet Atemstillstand. Nery taucht ohne Sauerstoffflasche.
Guntermann: "...und er tut unter Wasser Dinge, die noch nie jemand getan hat. Wie zum Beispiel, dass er unter Wasser in ein unbekanntes schwarzes Loch springt, dass noch nie jemand ausgelotet hat."
Der französische Taucher ist eines von vielen Beispielen, mit denen Isabelle Guntermann und Sascha Mühlenberg ihre Veranstaltung zum Thema Risiko beginnen. Drei Schulklassen, rund sechzig Schülerinnen und Schüler sind ins Comedia-Theater in die Kölner Südstadt gekommen. Zehntklässler. Genau das richtige Alter zum Philosophieren, findet Sascha Mühlenberg.

Würden die Kinder "Russisch Roulette" spielen?

Sascha Mühlenberg: "Die Schülerinnen und Schüler, die fünfzehn, sechzehn Jahre alt sind, das sind eigentlich die, mit denen ich das am liebsten mache. Die sind noch richtig neugierig. Die haben Lust nachzudenken, die sind selbst gerade in diesen Denkprozessen...."
...zumindest, wenn sie nicht gerade damit beschäftigt sind die Diskussion mit anzüglichen Witzen zu torpedieren, wie zwei junge Herren, die sich, als sie merken, dass das nicht klappt, die Kapuzen ihrer Kapuzenpullis so weit wie möglich ins Gesicht zu ziehen, weil man dadurch bekanntlich unsichtbar wird. Aber sowas gehört halt auch dazu. Der Rest der Gruppe diskutiert mit den beiden Moderatoren eine Reihe von Beispielfällen. Welches Risiko würden sie eingehen. Russisch Roulette spielen? Oder in eine Höhle im Meer hineinschwimmen, um jemanden zu retten?
Schülerin: "Russisch Roulette auf keinen Fall, weil das ist einfach nur ein Spiel, davon hast du nichts. Und wenn dir die Person in der Höhle irgendwie wichtig ist, dann würd ich da schon reinschwimmen. Wenn das jetzt jemand ist, den ich überhaupt nicht kenne, dann wohl eher nicht, dann wär mir mein eigenes Leben wohl etwas wichtiger. Aber wenn's jetzt meine beste Freundin ist oder meine Schwester oder so, dann ja."
Zwischendurch fließen immer mal wieder philosophische Begriffe ins Gespräch ein: Kants Vorstellung der Menschenwürde, Aristoteles' Unterscheidung zwischen dem Feigen, dem Tollkühnen und dem Mutigen. Oder die Frage: Was heißt eigentlich Risiko? Die Antwort...
Guntermann: "Risiko heißt im Altgriechischen so viel wie Klippe oder Felsklippe."
Die Klippe steht für Furcht und Faszination, Freiheit und Gefahr.
Guntermann: "Das heißt, das Risiko ist immer ne Entscheidungssituation, in der man sich ner Gefahr aus gesetzt sieht, und man muss schauen, ob man sich ihr stellt oder nicht?"
Zum Beispiel der Gefahr, in die ich mich selbst begebe, wenn ich einen anderen vor dem Ertrinken rette.
Schülerin: "Ich finde, jeder Mensch hat ne Verantwortung, weil wenn zum Beispiel jetzt jemand ertrinkt und man kennt diese Person nicht und besteht die Gefahr, dass man auch etrinkt, aber würde trotzdem riskieren, diese Person zu retten. Ich finde, das ist zwar mutig, aber das hat auch was mit der Menschlichkeit zu tun, weil (…) man kann ja nicht zusehen. Also, ich würde es total bereuen, wenn ich einfach nur zusehe, wie diese Person ertrinkt, nur weil ich Angst habe, diese Person nicht zu retten."

Suche nach dem Sinn des Lebens

Nach solchen ethischen Abwägungen geht es kurz vor Schluss auch noch um existenzielle Fragen: Was reizt uns am Risiko? Ist es eine Suche nach dem Sinn des Lebens, wenn einer wie Reinhold Messner 8000er besteigt oder Guillaume Nery ohne Sauerstoffmaske taucht? Nein, findet eine Schülerin.
Schülerin: "Der Sinn vom Leben ist das Leben. Und deswegen lebe ich. Und deswegen erlebe ich auch was."
Eine Antwort, mit der die Moderatoren nicht gerechnet hätten, sagen sie. Und genau solcher Momente wegen sei auch für sie die Veranstaltung immer lehrreich, sagt Isabelle Guntermann.
"Ich habe immer das Gefühl, dass ich selbst noch mal ganz neue Perspektiven für mein eigenes Denken entwickele. Wir haben eben so ein, zwei Schüler-Äußerungen gehabt, bei denen ich dachte: Ja, so hab ich noch gar nicht gedacht! Das nehm ich immer wieder mit und das bereichert einfach ungeheuer."
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