Von der Neuigkeit zum Nirgendwo

Von Michael Meyer · 14.04.2010
In dieser Woche treffen sich in Berlin wieder Blogger und Internetaktivisten, Journalisten und Wissenschaftler, um über aktuelle Trends des Internets zu diskutieren. Dabei geht es unter anderem um das sogenannte Echtzeit-Web, also die sekundenschnelle Verbreitung von Nachrichten durch Twitter und Co, sowie um Probleme der Netzneutralität, also der freie Zugang und Fluss von Daten im Netz.
2500 Teilnehmer sind seit heute auf der mittlerweile vierten re:publica: Auf 160 Veranstaltungen wurde so ziemlich jedes denkbare Thema durchdiskutiert von "Wie verdiene ich Geld mit meinem Blog?" bis hin zur Bedeutung von Modeblogs. Journalisten, Blogger, Wissenschaftler, Internetunternehmer – sie alle wollen über das diskutieren, was sie da jeden Tag im Netz eigentlich tun. Das große Interesse belege, dass man mit dem Konzept richtig liege, so Markus Beckedahl, Autor des Blogs "netzpolitik" und Veranstalter der Messe:

"Ich glaube, wir haben mit der re:publica einen Ort geschaffen, physisch, für Menschen, die sich teilweise das ganze Jahr über nur im Internet sehen, die sich aber den ganzen Tag bei twitter begegnen, gegenseitig die Blogs lesen, kommentieren, und dann mal für drei Tage zusammenkommen, um Freundschaften zu vertiefen, um über die Auswirkungen von dem, was wir da tun, zu diskutieren und gemeinsam zu feiern."

Eines der wichtigsten Themen ist in diesem Jahr das "Echtzeit-Web" – denn Nachrichten sind inzwischen nirgendwo schneller zu finden als bei Twitter. Google hat deshalb kürzlich einen Vertrag mit dem Kurznachrichtendienst geschlossen, der es ihm erlaubt, aktuelle Twitter-Meldungen in seine Ergebnislisten einfließen zu lassen. Dies beschleunigt das Netz noch einmal enorm, meint Johnny Häusler, einer der Veranstalter der re:publica und Autor des Blogs "Spreeblick":

"Natürlich ist dieses Echtzeitding im Journalismus extrem spannend, hinsichtlich Nachrichten, wie schnell bekomme ich Nachrichten, aber natürlich auch: Wieviel Zeit habe ich überhaupt, Nachrichten zu hinterfragen, zu recherchieren. Das sind verschiedene Kanäle, für so einen schnellen Nachrichtenfluss haben wir dieses Echtzeitding, und dann wird es nach wie vor Artikel geben, die recherchiert sind."

Und genau das führt zu einem Problem in der virtuellen Netzwelt: Der Datenstrom an Neuigkeiten von mehr oder weniger Mitteilenswertem wird zwar immer größer, aber die Notwendigkeit, das Bedürfnis einer Standortbestimmung wird ebenfalls immer wichtiger. Sehr prägnant bringt das eine Unterzeile der diesjährigen re:publica auf den Punkt: Vom "Now-here", die Neuigkeiten, die "jetzt hier" beim Nutzer ankommen, führen zum "Nowhere" – also ins Nirgendwo, der Nutzer muss sich orientieren. Doch wie und wo?

Johnny Häusler: "Die Frage stellt man sich ja auch manchmal. Wenn du eine Phase hast, in der du viel twitterst, dann bist du in Echtzeit mit Leuten in der ganzen Welt verbunden, vielleicht sind die jetzt alle in Deutschland, aber da gibt es schon Momente, wo man sich fragt: Was mache ich hier eigentlich gerade? Ich chatte, ich unterhalte mich mit Leuten, die sind irgendwo, ich weiß nicht mal wo, die sind nämlich im Netz, oder wie man es ausdrücken will, insofern wird dieses Nirgendwo plötzlich ein Ort."

Eine noch weitgehend ungeklärte Frage bei Google, aber auch bei seinem Konkurrenten "Bing" von Microsoft ist: Welche Wichtigkeit bemisst man den in Echtzeit verbreiteten Twitter-Meldungen eigentlich? Ist eine beliebig ausgesendete Meldung genau so interessant und relevant wie ein ausführlich recherchierter Artikel? Diese Frage wird auch den Journalismus noch für viele Jahre beschäftigen, meint Markus Beckedahl:

"Echtzeitkommunikation verändert den Nachrichtenfluss, wie bekommt man noch Empfehlungen zu Artikeln, früher gab es Redaktionen, die haben entschieden, was die Leser einmal am Tag als Vorfilterung zu lesen bekommen, heutzutage nehme ich, nehmen sehr viele Hinweise oder Empfehlungen über twitter oder über facebook, soziale Netzwerken auf, wo Freunde sagen, dass ist ein spannender Artikel, den solltest du dir mal durchlesen, das ist zum Beispiel so ein Trend."

Ein anderes wichtiges Thema der diesjährigen re:publica ist die sogenannte Netzneutralität. Dies meint, dass schon jetzt Internet Provider in der Lage sind, Datenströme unterschiedlich zu gewichten, dass also die Daten bestimmter Anbieter gegebenenfalls schneller fließen können, als jene anderer Inhalte-Produzenten. Das untergräbt aber den Gedanken der Dezentralität des Netzes, jenem urdemokratischen Medium, das eigentlich allen Teilnehmern gleiche Zugangschancen geben sollte.

Ein interessantes Gedankenmodell ist, meint Johnny Häusler, sich vorzustellen, das Netz würde nicht der Gesellschaft, sondern privaten Unternehmen gehören. Dies hätte fundamentale Auswirkungen auf die Freiheit des Netzes:

"Wir hätten das Edutainment-Paket für 19 EUR, wo Du Wikipedia hast und eine Suchmaschine, dann könntest Du das Surf und Play dazu buchen und, da bin ich sehr, sehr sicher: Wir hätten kontrollierte Netzinhalte. Und einige Leute wollen dahin, also es gibt Konzerne aber auch Politiker, die Netzinhalte einteilen wollen, etwa: Das ist das Kindernetz für 49 EUR, da garantieren wir, dass Du da keine schlimmen Sachen findest. Bei der Netzneutralität geht es darum, dass jeder, der einen Internetzugang hat, muss Zugang zu allen Inhalten haben."

Diese Forderung stellte in eindrucksvoller Weise auch Jeff Jarvis auf, Journalist, amerikanischer Netzaktivist der ersten Stunde und im früheren Leben TV-Kritiker. Jarvis hielt in einem eloquenten einstündigen Vortrag ein Plädoyer für mehr Offenheit – die Deutschen, so Jarvis hätten aus historischen Gründen immer noch zuviel Angst vor Offenlegung von Daten. Jarvis sieht das völlig anders und hat in seinem Blog sogar über seine Prostata-Krebs- Erkrankung geschrieben, und erhielt so sehr viele nützliche Informationen über diese Krankheit – das ging aber nur, so Jarvis, mittels größtmöglicher Offenheit.

Man tue daher gut daran, dass Internet nicht wie ein Medium zu betrachten, dass es zu reglementieren gelte, sondern als einen Ort der sozialen Interaktion. Jeff Jarvis:

"Wir denken immer noch, das Internet sei ein Medium, das ist es aber nicht. Wenn man es so bezeichnet, ist das schon gefährlich, denn: Damit kommen auch Regulierungen seitens der Politik, oder Zensur wie in China. Also, es geht um diese Betrachtung, die Medienleute oft noch haben, dass man die Welt verpacken kann in kleine Teile. Nein, das Internet ist ein Ort, ein Ort, in dem wir uns miteinander verbinden, mittels Aktionen, Transaktionen, Informationen. Das Internet ist, so oder so, eine einzige große Verbindungsmaschine."