Von der Kernschmelze zum "Fukushima-Folgeprozess"

09.12.2011
Fesselnde Mixturen aus Analyse und Engagement: Mit der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima beschäftigen sich auf völlig unterschiedliche Weise zwei spannende Bücher, die beide im C.H. Beck Verlag erschienen sind.
Am 11. März 2011 bebte vor Japans Ostküste die Erde. Kurz darauf überfluteten haushohe Wellen die Insel und auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi I. Die Folgen sind bekannt: Kernschmelze, verseuchtes Land, verhungerte Tiere, heimatlose Menschen.

Zwei denkbar unterschiedliche Bücher zum Thema haben nun mit C.H. Beck denselben Verlag gefunden. In "Fukushima: Vom Erdbeben zur atomaren Katastrophe" nähern sich Florian Coulmas und Judith Stalpers dem Thema aus japanischer Binnenperspektive. Die Japan-Kenner hielten sich in Tokio auf, als das Atomkraftwerk in die Luft flog. Nun begeben sich die Insider im Land auf Spurensuche und liefern Hintergründe - geologisch, technisch, politisch, wirtschaftlich und sozial.

Was steckte hinter der "japanischen Gelassenheit", mit der Betroffene klaglos in Turnhallen ausharrten? Warum konnte sich Japan nach Hiroshima und Nagasaki für die Atomenergie entscheiden? Inwiefern sind die Betreibergesellschaft Tepco und die politische Elite des Landes verflochten? Wie steht es in Japan um die regenerativen Energien? All das beleuchten Florian Coulmas und Judith Stalpers engagiert und kenntnisreich - wobei die Liebe zu Land und Leuten ihnen mitunter allzu offensichtlich die Feder führt. So deuten sie die hiesige Schockreaktion als unsachliche Kritik an Japans Umgang mit der Atomenergie, was beim derzeitigen Diskussionsstand doch sehr befremdet.

Da gehen Klaus Töpfer und Ranga Yogeshwar in "Unsere Zukunft: Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima" kritischer zu Werke. Mit dem Gewicht seines jahrzehntelangen Engagements betont Klaus Töpfer: Die Atomtechnologie überschreitet menschliches Maß, weil sie ihrer ungeheuren Gefahren wegen nicht fehlerfreundlich ist. Selbst modernste technische Sicherheitsvorkehrungen verschieben das Problem nur auf andere, ebenso unsichere Ebenen.

Japan spielt in diesem Buch nur am Rande eine Rolle. So reflektieren die Gesprächspartner darüber, wie eine konservative Unternehmenskultur den kreativen Umgang mit dem havarierten Kraftwerk ("Jemand muss das Dach abheben!") verhinderte. Ansonsten beackern die Diskutanten ein weitläufiges inhaltliches Gelände, wozu die Dialogform erstaunlich gut passt: Regenerative Energien, Kreislaufwirtschaft, neue Formen der Verkehrslenkungen und Energieversorgung in Schwellenländern - Töpfer und Yogeshwar umkreisen ihre Themen kompetent, facettenreich, unangestrengt und immer auch mit einer angenehm persönlichen Note. Vor allem kommen auch wichtige, aber selten erwähnte Seitenaspekte zur Sprache, zum Beispiel das starke militärische Interesse, das sich überall in die zivile Nutzung der Atomenergie mengt.

In einer Welt endlicher Ressourcen, immensen Energiehungers und megalomanischer Holzwege der Zivilisation ist der "Fukushima-Folgeprozess" in vollem Gange. Deshalb wagt keines der Bücher eine abschließende Beurteilung der Katastrophe. Auf unterschiedliche Weise und mit heutiger Sichtweite bieten sie aber beide fesselnde Mixturen aus Analyse und Engagement.

Rezensiert von Susanne Billig

Florian Coulmas und Judith Stalpers: Fukushima: Vom Erdbeben zur atomaren Katastrophe
Verlag C.H. Beck, Paperback
Mit 30 Abbildungen und 8 Tabellen
192 Seiten, 12,95 Euro

Klaus Töpfer und Ranga Yogeshwar: Unsere Zukunft: Ein Gespräch über die Welt nach Fukushima
Verlag C.H. Beck, gebunden
234 Seiten, 19,95 Euro
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