Von Blinkherzen und 3D-Druckern

Von Moritz Metz · 29.12.2009
Mit der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung der Hacker-Themen wird der Chaos Communication Kongress in Berlin immer mehr Treffpunkt für eine wachsende Elite von Computerfachleuten und Vordenkern.
Stundenlang Schlange stehen bis morgens um drei am Fuße des vernebelten Berliner Fernsehturms. Die 5000 Eintrittskarten für den Chaos Communication Congress waren mindestens so heiß begehrt wie Festspielkarten in Bayreuth. Unter dem dramatischen Titel "Here be Dragons" - "hier sind wohl Drachen" - geht’s hier jedoch um alternativen Umgang mit Technik, um digitale Lebenskultur und um deren Einzug in die Gesellschaft. Konstanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Club:

"Unser Motto 'Here be Dragons' kommt eigentlich aus ner Zeit, wo die Welt noch nicht kartographiert war – und Bereiche auf der Welt, wo Gefahr drohte und wo man nicht wusste, ob da Inseln sind oder Festland, die wurden eben mit Seeungeheuern gekennzeichnet. Und ich glaube, der typische Hacker, der geht auch gerne in Gebiete vor, wo sich noch niemand hingewagt hat."

Einst Nischenverein für Computerinteressierte hat sich der Chaos-Computer-Club in den letzten Jahren immer mehr zu einer Stimme entwickelt, deren Kompetenz in Politik und Medien beachtet wird. Nach der Wahl scheiterte das "Netzsperrengesetz" der schwarz-roten Regierung an großem Protest aus Richtung Piratenpartei und CCC. Anfang Dezember sagte Konstanze Kurz beim Bundesverfassungsgericht als Sachverständige gegen die umstrittene "Vorratsdatenspeicherung" aus.

"Sowohl für die Vorratsdatenspeicherung als auch für die Netzsperren muss man sagen, dass beide Debatten ganz intensiv dazu beigetragen haben, dass wir ne viel stärkere netzpolitische Bewegung haben. Gerade hier war, glaube ich, auch für Leute, die sich sonst nicht so mit technischen Problemen beschäftigen, offensichtlich, welchen Unfug Politiker produzieren und auch wie viel technischer Unsinn dieses Vorgehen ist. Nun war das sehr stark geprägt vom Wahlkampf, wo ja immer mehr Polemik als Inhalt dabei ist, aber ich denke es hat sehr dazu beigetragen, dass diese technischen Themen auch wieder politisierend wirken – für ne Jugend, die sich gar nicht so sehr interessiert für sowat. Wir freuen uns darüber, klar, denn heute wird der CCC auch wieder ganz anders angehört. Und wir können unser Expertenwissen eben einbringen, und da freuen wir uns. Wir würden uns nur manchmal wünschen, die Politiker würden besser zuhören."

Nachmittags vor den Türen des Kongressgebäudes. Jemand hat eine Spontandemonstration gegen Überwachung und digitale Freiheitseinschränkungen angemeldet. Hunderte Teilnehmer warten auf Grün an der Fußgängerampel und gehen zunächst auf dem Gehweg, obwohl die Polizei die Straßen um den Alexanderplatz für sie gesperrt hat. Hacker sind längst nicht mehr die bösen Cyberkriminellen – auch wenn viele der Vorträge auf dem Kongress von Sicherheitslücken in Produkten handeln, die Hacker in minutiöser Freizeitarbeit entdeckt und bekanntgemacht haben.

Und so ist das riesige Untergeschoß des Kongressgebäudes auch ein einziger Hobbykeller, vollgestopft mit Computern – und deren meist männlichen Benutzern. 24 Stunden am Tag sitzen hier hunderte Hacker aus Deutschland und der ganzen Welt in Halbdämmerung an überbordenden Tischen und arbeiten an zahllosen Bildschirmen an ihren Projekten. Die durchgemachten Nächte stehen vielen ins Gesicht geschrieben - auch wenn für fünf Euro Isomatten in einem Schlafsaal ausrollt werden dürfen – frische Luft und Ohrstöpsel Fehlanzeige.

Zwischen Blinkherzchen zum Selberbauen und in der Luft stehenden Modellhubschraubern führt der Berliner Philip Steffan einen 3D-Drucker vor. Wie ein Tintenstrahldrucker Tinte aufs Papier spritzt – verwendet der sogenannte Makerbot erhitztes Plastik – und druckt damit anfassbare dreidimensionale Objekte.

Philipp Steffan: "Wir drucken hier gerade ein Modell von einem Legostein, also einem Zwei-mal-zwei-Legostein, der aus dem Internet runtergeladen wurde und der tatsächlich, wenn die Maschine gut eingestellt ist, auch exakt ist, also zusammenpasst mit anderen Steinen. (Zwischenfrage: Was kann man damit noch alles ausdrucken?) Es kommt natürlich auf die Anwendung an, Ersatzteile sind sehr interessant oder Prototypen für irgendwelche 3D-Gegenstände, die man am Rechner hat. Wir haben jetzt hier eine Trillerpfeife ausgedruckt, die auch funktioniert, einige Legosteine, und weil die Veranstaltung hier mit Drachen zu tun hat: auch einige Drachenköpfe. Und auch eine Rakte und so. Es ist also eher zum Spaß, aber man kann's natürlich auch ernsthaft benutzen, wenn man sagt, ich brauch ein Teil für eine Maschine, das genau diese Form hat, dann drucke ich das."

Der 3D-Drucker ist eine frei verfügbare Entwicklung findiger New Yorker – Selbstbau-Materialkosten: zirka 800 Euro. Das Besondere: Der 3D-Drucker kann viele Teile für die Herstellung weiterer 3D-Drucker selbst produzieren – und sich also replizieren. Eines dieser Geräte ist, theoretisch gesehen, der Baustein für unendlich viele weitere 3D-Drucker.

In den vergangenen 26 Jahren hat sich auch der Chaos Communication Kongress vervielfacht. Mit der stark gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung der Hacker-Themen wird der Kongress immer mehr Treffpunkt für eine wachsende Elite von Computerfachleuten und Vordenkern, deren Kompetenzen und Kritik mehr denn je nötig sind in unseren digitalen Zeiten.