Von Aufstieg und Fall der Großmächte

Rezensiert von Jacques Schuster · 08.06.2008
Der Politologe Robert Kagan liefert in "Die Demokratie und ihre Feinde" eine flotte Beschreibung der Weltlage: Russland, China, Indien, Japan und der Iran, seien die aufsteigenden Riesen. Um sich gegen bedrohliche Riesen wie Russland und China ein zu wappnen, empfiehlt Kagan eine Allianz der Demokratien auf der Welt.
Es gibt in Europa drei amerikanische Publizisten der jüngeren Generation, deren Werke beständig zitiert werden: Samuel Huntington (der "Kampf der Kulturen"), Francis Fukuyama (das "Ende der Geschichte") und Robert Kagan. Alle drei haben ihre Berühmtheit mit jeweils einem einzigen Aufsatz erlangt.

Im Falle Robert Kagans war es der Essay "Macht und Ohnmacht". Kagan sprach darin vom Mars und von der Venus, um die auf Machtpolitik setzenden Vereinigten Staaten auf der einen und die ausgelaugten und daher stets versöhnlichen Europäer auf der anderen Seite zu beschreiben. Der Beitrag löste in Deutschland wütende Debatten aus. Kagan hatte den Punkt getroffen. Nun hat der brillante Kopf eine weitere Betrachtung über die "Demokratie und ihre Feinde" veröffentlicht.

In ihr befasst sich Kagan mit der Weltlage, mit den Halunken vom Schlage Osama Bin Ladens und fragt, was zu tun sei. Das Ganze liest sich flott und ist durchdacht. Nur: In Kagans duftender Suppe fehlen die Knödel, um mit Heine zu sprechen. Vielleicht mangelt es auch nicht einmal an solchen. Womöglich hätte schon eine Prise Salz Abhilfe geschaffen. Doch davon später.

Worum geht es? Kagan stellt die Rückkehr der Geschichte fest. Nach einer Ruhepause, die mit dem Untergang des Sowjetimperiums begann, erlebe der Globus heute einen neuen "Großmachtnationalismus".

"Nationalismus und die Nation an sich sind heute alles andere als durch die Globalisierung geschwächt, sondern kehren mit Macht zurück. Statt der neuen Weltordnung führen die widerstreitenden Interessen der Großmächte abermals zu den Allianzen und kunstvollen Tänzen, wie sie einem Diplomaten des 19. Jahrhunderts vertraut wären."

Die wachsenden Riesen seien Russland, China, Indien, Japan, gefolgt von Berserkern wie dem Iran. Daneben stehen die USA als einzig übrig gebliebene, etwas schwächelnde Supermacht und - irgendwo dahinter - die europäischen Zwerge, die viel von der weiten Welt reden, doch nicht die Kraft haben, ihre Interessen durchzufechten.

Kagan beginnt den Reigen der Riesen mit Russland. Unter Putin habe der russische Bär eine Stärke erreicht, die an frühere Sowjettage erinnere. Zwar sei Russland keine Supermacht mehr, doch sei seine Schlagkraft bemerkenswert. Dank der Einnahmen aus dem Öl-Geschäft saniere Moskau nicht nur die Wirtschaft, sondern erhöhe auch seinen Verteidigungshaushalt jährlich um 20 Prozent.

"Die heutigen russischen Machthaber trachten danach, die globale Macht, die sie mit dem Ende des Kalten Krieges verloren, zurückzugewinnen. Ihr großer Ehrgeiz ist es, die nach dem Kalten Krieg herbeigeführte Ordnung zu annullieren und Russland erneut als dominante Macht in Eurasien zu etablieren."

Vor allem die Europäer würden dieses neue Selbstbewusstsein bald noch deutlich zu spüren bekommen. Einen Konflikt mit Moskau etwa um Georgien oder das Baltikum hält Kagan für genauso ausgemacht wie die Tatsache, dass Europa dieser Krise mental nicht gewachsen sei.

Größere Beachtung als der Europäischen Union und dem russischen Reich schenkt Kagan China, dessen Aufstieg nicht mehr zu verhindern sei. Zwar sei Peking bislang nur eine regionale Großmacht, doch längst schon unangreifbar. Darüber hinaus taste es sich in alle Regionen der Erde vor, wachse zur Militärmacht heran und werde bald eine der wichtigsten Handelsnationen der Erde sein. Handelsnationen aber sind keine friedlichen Nationen, warnt Kagan mit dem Blick zurück in die Geschichte. Über kurz oder lang hält er eine chinesisch-amerikanische Auseinandersetzung um Taiwan für unausweichlich.

Ähnliche Konflikte mit China wird Indien erleben, fürchtet der Verfasser. Beide Staaten seien groß, ehrgeizig und lebten zudem zu nahe beieinander. Kagan hat auch darin Recht. Schon heute bezeichnet der indische Verteidigungsminister die Chinesen als "Bedrohung Nummer eins"". Der Verfasser macht keinen Hehl daraus, dass ihm und den Amerikanern Delhi näher steht als Peking. Er deutet an, dass aus diesem Behagen im Krisenfall mehr als gegenseitige Zuneigung werden könnte.

Wer nun an Henry Kissinger und seine Ideen vom Gleichgewicht der Mächte denkt, der liegt richtig. Robert Kagan, einer der Vordenker der Neokonservativen, einer der wortmächtigsten Kritiker der realpolitischen Schule, an deren Spitze jener Henry Kissinger steht, eben dieser Kagan bewegt sich auf die Realpolitik zu, ohne es zu verkünden. Die meisten seiner Schlussfolgerungen hätte auch Kissinger ziehen können, und darin liegt die Fadheit der Kaganschen Suppe.

Kagan beschreibt die globalen Entwicklungen so, als seien sie gerade erst aufgetaucht. Kissinger hingegen wies auf sie schon vor sieben Jahren hin. Sein damaliges Buch liest sich wie die Langversion des Kaganschen Essays. Hätten die Neocons schon 2001 auf die Kraft der realpolitischen Schule vertraut, sähe es im Irak heute anders aus. Doch was nützt das Klagen? Kagan entdeckt die Welt, Kagan wird Realpolitiker. Das ist erfreulich.

Wahrscheinlich braucht es noch eines weiteren Buches, bis sich der Neocon klar zu Kissingers Ideen bekennt, sie fortentwickelt und damit zu wirklich originellen Schlüssen kommt. Noch nämlich ist der Autor nicht soweit. Am Ende seines Essays träumt er von einer Allianz der Demokratien auf der Welt.

"Eine Möglichkeit bestünde darin, einen Bund der Demokratien ins Leben zu rufen, mit dem Ziel, die demokratischen Nationen zu regelmäßigen Treffen und Konsultationen über die jeweils aktuellen Themen zusammenzubringen."

Ein sympathischer Traum. Doch bilden die Ideen der Aufklärung allein den Zement, der ein Bündnis zusammenhält? Und wenn ja, reicht ein solcher Pakt aus? Warum sollte man im Kampf etwa gegen den iranischen Machthunger auf Partner verzichten, nur weil sie nicht demokratisch gewählt sind? Warum darf man China nicht als Bündnispartner nutzen, um etwa Russland in Schach zu halten (oder umgekehrt)?

Kagan deutet diese Optionen nur verhalten an. Noch ringt er mit seiner idealistischen Vergangenheit. Er wagt es nicht, klar zu bekennen, dass internationale Politik nur erfolgreich sein kann, wenn sie die Staaten so nimmt, wie sie sind und nicht so, wie sie sie gern haben würde.

In der künftigen multipolaren Welt bedeutet das für die Vereinigten Staaten und die Europäer in ihrem Schlepptau, auf das Gleichgewicht zu setzen, Bündnisse so zu schließen, dass sich die Mächte gegenseitig in Schach halten. Das heißt auch, alles zu versuchen, um Zünglein an der Waage zu sein; oder frei nach Bismarck: eine politische Gesamtsituation zu schaffen, in welcher alle Mächte "unser bedürfen und von Koalitionen gegen uns durch ihre Beziehungen zueinander nach Möglichkeit abgehalten werden".

Robert Kagan: Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?
Siedler Verlag, München 2008
Robert Kagan: Die Demokratie und ihre Feinde
Robert Kagan: Die Demokratie und ihre Feinde© Siedler Verlag