Von Arno Orzessek

20.08.2013
Die Feuilletons besprechen die Verfilmung von Charlotte Roches Skandalroman "Feuchtgebiete" sehr unterschiedlich. Der "Tagesspiegel" rezensiert "Jage zwei Tiger", den zweiten Roman von Helen Hegemann. Dem verstorbenen Konzertveranstalter Fritz Rau werden Nachrufe gewidmet.
Falls Sie sich vor dem Ekeln ekeln, lieber Hörer, hören Sie gleich mal besser für zwei Minuten weg.

Es ist nämlich so: Der Regisseur David Wnendt hat Charlotte Roches analselige Hämorrhoiden-Saga "Feuchtgebiete" verfilmt, in der das Scheidungskind Helen Memel das Maximum aus ihren Körperöffnungen, Körperausscheidungen und Körperflüssigkeiten holt…

Und da bleibt es – wie schon bei der Besprechung des Romans 2008 – nicht aus, dass Kritiker die skandalsüchtige Ekelmasche der Autorin so gut es eben geht kopieren.

Unter ihnen Sabine Vogel, die sich in der BERLINER ZEITUNG über den Film derart kreischend freut wie, sagen wir es feuchtgebietsgerecht, über einen neuen Vibrator. Aber hören Sie selbst!

"Da wird nichts ausgelassen an spektakulärer Hochglanzspucke und brillant glitzerndem Ausscheidungsgepopel. Da klebt das Sperma in Großaufnahme an glitschigen Fingern; wieder und wieder wird Muschischleim angeschnuppert und hinters Ohrläppchen getupft. (…) Helen masturbiert in der Badewanne mit dem Duschkopf und frischem Marktgemüse; ihre Freundin kackt ihrem blöden Drogendealer-Lover auf den Bauch; die Mädchen tauschen ihre wie nach der Schlachtung eines Vampirs bluttriefenden Tampons aus."

Und so weiter. Und so weiter. Sabine Vogel sagt nicht, warum sie das alles toll findet. Sie findet es einfach toll. Was womöglich nicht die allerhöchste Kritikerkunst ist.

In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG geht Tobias Kniebe bedachtsamer vor. Er warnt seine Leser in dem Artikel "Jenseits des Würgreflexes" zunächst:

"Gewisse Hemmschwellen müssen auch an dieser Stelle überwunden werden."

Überwindet sie dann, produziert seinerseits ein Quantum Roche-igen Trash-Klartext, fragt die Leser einmal "Sind Sie noch dabei? Gut" – dann: "Sind Sie immer noch dabei? Sehr gut", bequemt sich schließlich aber zu einem Urteil über Wnendts Film:

"Es ist wie im Leben selbst. Scheidungskinder aus sehr gestörten Elternhäusern können lustig kreativ sein, wahnsinnig unkonventionell und herrlich crazy. Zumindest für kurze Zeit. Sollte man aber gezwungen sein, doch ein wenig länger mit ihnen auszuharren – dann werden sie auch gern mal zur Pest."

Böse Zungen würden sicher behaupten, dass diese Beschreibung auch auf Helene Hegemann passt.

Aber nun. Fest steht: Hegemann, deren Debüt-Roman "Axolotl Roadkill" wegen Abkupferns schwer unter Beschuss war, hat ihr nächstes Werk vorgelegt – "Jage zwei Tiger".

"Minderjährige mit kaputten Elternhäusern in Extremsituationen", "

lautet die Inhaltsangabe im TAGESSPIEGEL.

" "Man kann (…) Spaß haben bei der Lektüre dieses Romans (…) – und doch ermüdet auf Dauer Hegemanns ewiges Stinkefinkergezeige, ihre ohne Unterlass Kaputtheiten zelebrierende Bescheidwisserhaltung", "

klagt Gerrit Bartels.

Lassen wir nun die jüngeren Schriftstellerinnen, kommen wir zu einem älteren Mann, der gerade gestorben ist.

"Rock ‚n‘ Rau" überschreibt die Tageszeitung DIE WELT ihren Nachruf auf den Konzertveranstalter Fritz Rau. Michael Pilz weiß wahre Heldentaten zu berichten.

" "Als Fritz Rau die junge Sängerin Madonna zu einem Konzert ins Waldstadion nach Frankfurt einlud, 1987, eine Zeitungsseite in der ‚Bild‘ mit seiner Anzeige bedruckte, zwanzig Sonderzüge bei der Bundesbahn bestellte und die Deutschen zu Madonna fuhr, gaben ihm nicht nur die Bilanzen recht."

Auch SZ-Autor Willi Winkler schmückt den Verstorbenen – allerdings mit einer dieser übergroßen Nekrolog-Girlanden. Ohne Rau, so Winkler,

"wäre das deutsche Unter- und Oberbewusstsein niemals auf den Stand der Zeit gebracht worden."

Aha! Soso! sagen wir.

Andererseits ist zu konzedieren, dass selbst die Rolling Stones Fritz Rau "‘The Godfather of us all‘" genannt haben. So steht es jedenfalls in der TAGESZEITUNG.

Aus Pietätsgründen enden wir heute mit keiner lustigen Überschrift, sondern einem traurigen Gedicht. Es heißt "Ihr esst nicht", ist von Rudolph Bauer und steht in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG:

"ihr esst nicht ihr trinkt nicht
könnte euch an nichts erfreuen
schwermütig sitzt ihr am tisch
wartet das kommen ab
dessen der junge wie alte zu sich holt
mann und frau aus dem bett
das noch warm ist"