Von Arno Orzessek

06.11.2010
Der Tod des Schriftstellers Harry Mulisch, der Jelinek-Abend im Schauspiel Köln, der Film "Carlos - Der Schakal" und der Fünfteiler "Entweder-Broder - Die Deutschland-Safari" mit Hendryk M. Broder wurden in dieser Woche in den Feuilletons thematisiert.
Am Anfang trug die Woche Trauer.
Zum Tod von Harry Mulisch, dem Schriftsteller, der von sich gesagt hat "in Holland bin ich weltberühmt", schrieb sein Kollege und Freund Cees Noteboom in der Wochenzeitung DIE ZEIT:

"Natürlich haben wir geglaubt, ihn zu kennen, und vielleicht war es auch so. Doch hinter demjenigen, den wir kannten, mit dem wir gelacht, getrunken und Reisen unternommen haben, gab es immer noch einen anderen, geheimnisvolleren Harry, einen, der seine Bücher schrieb und [...] auf einmal [...] durch einen hindurchschauen konnte, als sehe er in der Ferne etwas oder jemanden ganz anderen, jemanden, der plötzlich aus dem auftauchte, was er die Gegenerde nannte, für uns unsichtbar."

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG würdigte Dirk Schümer die Persönlichkeit des Verstorbenen:

"In Amsterdam bewohnte Mulisch – wenn der Vater dreier Kinder nicht mit seiner offiziellen Nebenfrau zusammenlebte – lange ein verwinkeltes, etwas dunkles Dachgeschoss beim Leidseplein, also bewusst nicht an den edlen Grachtengassen, sondern mitten im Viertel der Junkies und Nutten. Seit den wilden Achtundsechzigern brachte Mulisch seine Existenz als glühender Verehrer Fidel Castros, als patriotischer Ritter des königlichen Ordens von Nassau-Oranien und als stadtbekannter Grachtendandy mühelos unter einen Hut","

staunte FAZ-Autor Dirk Schümer.

Im Blickpunkt der Theaterkritiker stand der Jelinek-Abend im Schauspiel Köln mit den Stücken "Das Werk, Im Bus" und "Ein Sturz" - der, anders als der 'Einsturz' des Stadtarchivs in zwei Worten geschrieben wird.

Wiederum in der FAZ lobte Andreas Rossmann:

""In 'Ein Sturz' gelingt [der Regisseurin] Karin Beier alles. Nie war sie so sicher und wagemutig, fulminant und facettenreich in ihren Mitteln, nie hat sie ihr Ensemble derart gefordert. [...] Köln hat, wie es hier sinkt und kracht, eine Aufführung, die sich seinen Abgründen gewachsen zeigt."

In der FRANKUFURTER RUNDSCHAU erfreute sich Peter Michalzik am Spiel von Kathrin Welisch, die in "Ein Sturz" als nackter Erdgeist auftritt:

"Sie ist die Erde, nass, geschunden, ungreifbar. Bis das Wasser kommt. Erde und Wasser, heißt es bei Jelinek, treiben es miteinander. Karin Beier zeigt das und was sie da zwischen Choreografie, Gewalt und einem Wasserbecken inszeniert hat, ist eine der schärfsten Sexszenen, die im Theater bisher zu sehen war."

In Japan fallen scharfe Sexszenen immer häufiger aus - und auch deshalb fehlt es an Kindern. Wie die NZZ berichtete, haben die Japaner die als Hauptschuldige ausgemachten Männer längst gründlich kategorisiert:

"Einer dieser neuen Soziotypen ist der soshoku danshi, der 'pflanzenfressende Mann', der sich durch passive Lebenshaltung und sexuelle Unlust auszeichnet. Meist handelt es sich dabei um jüngere Männer, in deren Lebensentwurf sich kein Wunsch nach Familiengründung abzeichnet."

Das hiesige Verhältnis der Geschlechter beschäftigte die TAGESZEITUNG. Der Politologe Micha Brumlik zitierte aus dem Korintherbrief, in dem Paulus das Verhältnis von Mann und Frau wie folgt fixiert:

"'Der Mann ist nämlich nicht aus der Frau, sondern die Frau aus dem Manne. Auch wurde der Mann nicht um der Frau willen geschaffen, vielmehr die Frau um des Mannes willen.'"

So in der TAGESZEITUNG der Apostel Paulus, den Micha Brumlik natürlich nicht von ungefähr zitierte, sondern um der politischen Attacke willen:

"Nach den Kriterien von Geert Wilders oder der um 'Politically Incorrect' rotierenden islamophoben Bloggosphäre stellt sich [...] die Frage, ob diese Aussage des Apostels mit den Wertsetzungen des Grundgesetzes vereinbar ist, ob die Briefe des Apostels wie so manche anderen Passagen des Alten und Neuen Testaments nicht verboten werden müssten, und vor allem, was dann noch 'christlich-jüdische' Unterfütterung des Grundgesetzes heißen kann."

Vergleichbares etwas milder äußerte in der FR Markus Tiedemann, Didaktiker für Ethikunterricht an der Freien Universität Berlin:

"Gerade in den drei großen Buchreligionen häufen sich positive und erschreckende Impulse. Die Bergpredigt ist mit den Menschenrechten kompatibel, die Offenbarung des Johannes sicherlich nicht. Immer wieder muss daran erinnert werden, dass die Menschenrechte nicht durch, sondern gegen die Kirchen erstritten wurden. Selbstverständlich können Religionen zur Achtung der Menschenrechte motivieren, die Verbindlichkeit dieser Werte ist jedoch über die Zustimmung der Religionen erhaben."

Hendryk M. Broder hätte auch zu diesem Thema etwas zu sagen. Ins Erste kommt er aber nun mit dem Fünfteiler "Entweder-Broder - Die Deutschland-Safari" - eine Reise, die er mit dem Ex-Antisemiten Hamed Abdel-Samad unternommen hat. Dabei geschah es, dass der Muslim Abdel-Samad dem Hund des Juden Broder den Arsch abwischte und erklärte, dass seine ägyptischen Verwandten ihn wohl enthaupten würden, hätten sie es nur gesehen.

Angesichts solcher Witze sah TAZ-Autor Cigdem Akyol gute Chancen für Broder, aus der blassen Rolle des Sarrazin-Verteidigers herauszukommen.

"Jetzt [in der Deutschland-Safari] rennt [...] [Broder], als Gedenkstele verkleidet, vor der [...] Holocaust-Gedenkstätte in Berlin herum, unterstrichen wird die Szene durch Marschmusik. [...] Man kann das für fürchterlich unterkomplex halten. Man kann es aber auch schlicht lustig finden. Denn der ewigen Migrationsdebatte fehlt Humor, auch wenn dieser Schmerzgrenzen überschreitet."

In einer anderen Kategorie spielt "Carlos - Der Schakal", der Film des französischen Regisseurs Olivier Assayas, der einhellig gelobt wurde. Als einer sei hier für alle der FAZ-Autor Michael Althen zitiert, der "Carlos" "ein kleines Wunder" nannte.

Am Anfang trauerten wir um Harry Mulisch, am Ende gratulieren wir dem Historiker Hans Mommsen, einem Streithammel ehrenhalber, der nun 80 Jahre alt geworden ist.

"Möge [...] [er] noch lange von der Altersmilde verschont bleiben", wünschte sich Andreas Mix in der BERLINER ZEITUNG.

Wir aber werfen einen Blick in Mommsens Zukunft und widmen ihm die Überschrift der Woche, aufgespießt im TAGESSPIEGEL:

""Mit 98 hat man noch Träume"."