Von Adelheid Wedel

17.09.2012
In der "TAZ" empört sich der irakische Schriftsteller Najem Wali über die Elite in seinem Land, die ihr Fähnchen nach dem Wind hänge und den Mächtigen nach dem Mund rede. In der "SZ" lobt Felix Stephan das "zusammenwachsende Europa der Billigflieger".
Eine Tendenz fällt in den Feuilletons auf: arabische und muslimische Autoren teilen uns ihre Meinung zum frisch ausgebrochenen Konflikt zwischen Orient und Okzident mit. Sie bringen ihren Blickwinkel ein, aufklärend. So schreibt Eren Güvercin in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:

"Uns europäischen Muslimen ist jegliche Form von Freund-Feind-Denken wesensfremd. Der Kampf der Kulturen, der jetzt wieder von vielen heraufbeschworen wird, macht nach wie vor keinen Sinn. Der moderne Islamismus wird deswegen zum Problem, weil er eine kranke Mischform zwischen westlich-politischem Denken und dem Islam darstellt. Der lautstarke Mob, der westliche Botschaften niederbrennt, ist genau von dieser Ideologie geprägt, nämlich das 'Islam gegen den Westen-Konzept'".

Aus dem rasanten Wechsel der weltpolitischen Lage leitet Güvercin die Erkenntnis ab:

"Die alten Feindbilder sind längst passé, es stehen nicht mehr 'Amerika' oder 'der Westen' gegen 'den Islam'. Das müssen wir den Kulturkämpfern auf beiden Seiten immer wieder klarmachen."

In der Tageszeitung DIE TAZ empört sich der irakische Schriftsteller Najem Wali über die Elite in seinem Land. Er berichtet:

"Viele arabische Intellektuelle suchten lange die Nähe der Mächtigen, nun wollen sie schon immer Oppositionelle gewesen sein. Über Jahrzehnte hinweg haben sie Zuflucht unter die Fittiche der Macht gesucht, um Ignoranz, Unwissenheit und Demagogie zu propagieren."

Wali beschreibt das "irakische Modell", bei dem die einstigen Anhänger Saddam Husseins mit dem Sturz ihres in Ungnade gefallenen Diktators keinesfalls verstummten.

"Auf einmal waren diese – dreist wie sie sind und ohne einen Anflug von Scham – voll des Lobes für die neuen Machthaber in Bagdad."

Vor kurzem seien drei Bände in Libyen aufgetaucht, berichtet er.

"Sie dokumentieren die Namen derjenigen, die einst Gaddafis Gespür für Literatur priesen und seine Gastfreundschaft genossen."

Wali kommentiert:

"Vielleicht muss man die Diktaturen für solche Dokumentationen loben, erzählen sie doch viel. Wie viele solcher Bände wird uns wohl Syriens Kulturbürokratie hinterlassen?"

In Berlin ging das Literaturfestival zu Ende und die Feuilletons ziehen Bilanz. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG reflektiert Felix Stephan: Bei diesem Literaturfestival, das sich schwerpunktmäßig mit dem Zustand Europas befasste, beschuldigte sich Europa selbst.

"Es sei aber nicht das erste Mal,"

meint der Autor,

"dass Europa seinen eigenen Ausverkauf moderieren muss. Der Historiker Karl Schlögel nannte die Phase, die der Kontinent derzeit durchläuft, den zweiten Teil der Abwicklung Europas."

Der erste habe 1989 begonnen und allein den Osten Europas betroffen. Die jetzige Krise führe dazu, dass Europa für die aufstrebenden Wirtschaftsnationen immer weniger zum Vorbild taugt.

"Als beim Literaturfestival nicht-europäische Autoren ihre Außenwahrnehmung Europas darstellten, fiel die Bestandsaufnahme ernüchternd aus. Aber, …"

erinnert Stephan,

"… es gibt auch ein anderes Europa (…), das zusammenwachsende Europa der Billigflieger, der Euroline-Busse und der intervenierenden Zivilgesellschaft, in dem sich die Menschen in Bewegung setzen, um eigenhändig ihre Lebensumstände zu verbessern."

Dieses Europa funktioniere heute besser denn je.

Nach den Berichten über das Berliner Literaturfestival stößt man in der TAZ auf die liebevolle Beschreibung eines anderen, wesentlich kleineren Literaturfestes, dem Literaturfestival Sprachsalz im österreichischen Hall. Seit zehn Jahren existiert es und provoziert noch immer die Frage, ob Literatur Festivals braucht. Die Antwort:

"Dafür sind Festivals gut, um am eigenen Leibe zu erfahren, was das gesprochene Wort vom gedruckten unterscheidet."

Martin Walser machte das erlebbar und der Amerikaner William H. Gass,

"dessen 'Tunnel' die Kritiker in eine Art Ehrfurchtsstarre fallen ließ."

Aber auch dafür sind Literaturfestvals gut:

"Dass man sich irgendwann nach sehr vielen gesprochenen Worten wieder nach der kontemplativen Stille bedruckten Papiers sehnt."