Vom Weltkulturerbe zum Verkehrsknoten

Von Antje Diekhans · 05.07.2011
Die Stadt Lamu vor der Küste Kenias ist Weltkulturerbe, mit tausendjähriger Geschichte als Handelsort. Jetzt soll dort einer der größten Transporthäfen Afrikas entstehen. Über die Finanzierung wird mit den Chinesen verhandelt, die von dort aus Öl aus dem Sudan verschiffen wollen.
Ein Segelboot legt im Hafen der Insel Lamu an. Männer laden schwere weiße Säcke auf ihre Schultern und schleppen sie die schmale Steintreppe hoch. Als eine Frau aussteigt, kommt das Boot ins Wanken. Wasser schwappt hinein. Alle kriegen nasse Füße.

Für die Menschen auf Lamu gehören Segelschiffe noch zu den Hauptverkehrsmitteln. Sie nutzen sie, um Dinge zu transportieren und um selbst weite Strecken zurückzulegen. Denn Autos gibt es auf der Insel nicht – nur viele Esel, die wie schon vor Hunderten von Jahren als Reit- und Packtiere genutzt werden. Lamu ist vom Festland zwar nur durch einen schmalen Meeresarm getrennt, aber trotzdem findet sich hier eine andere Welt. Es ist, als wäre die Zeit stehen geblieben.

"Ich glaube, das ist die Kultur", sagt Swaleh Abdallah, der hier groß geworden ist. "Lamu ist nur eine kleine Insel ohne Autos. Die Menschen sind viel zu Fuß unterwegs. Sie lassen es langsam angehen – denn es gibt keinen Grund, sich zu beeilen."

Anfang des 17. Jahrhunderts war die Insel ein großer Handelsplatz. Schiffe aus Arabien, Indien und sogar China legten hier an. Die vielen kulturellen Einflüsse sind in der Musik auf Lamu zu hören. Zu sehen sind sie in der besonderen Architektur. Weiß getünchte Häuser aus Korallenstein ziehen sich entlang enger Gassen. Ihre Türen sind kunstvoll aus dunklem Holz geschnitzt, ebenso wie die prachtvollen Veranden. Wegen dieser einzigartigen Bauten hat die UNESCO die Altstadt Lamus vor zehn Jahren zum Weltkulturerbe erklärt.

Eine Insel wie im Dornröschenschlaf. Doch jetzt könnte Lamu sehr unsanft wach geküsst werden. Die zeitlose Insel soll wieder zu einem großen Verkehrsknotenpunkt werden – allerdings diesmal ganz anderer Art. Kenias Regierung will in unmittelbarer Nähe den zweitgrößten Hafen des Landes anlegen. Von hier soll Öl aus dem Südsudan verschifft werden - unter anderem nach China. Das würde die Insel und das Leben ihrer Einwohner schlagartig verändern.

Swaleh Abdallah ist wie so viele junge Männer auf Lamu ein Überlebenskünstler. Der 28-Jährige hätte gern Medizin studiert, doch dazu waren die Schulnoten nicht gut genug. Jetzt hilft er im Eselskrankenhaus auf der Insel aus, das sein Vater gegründet hat. Und er segelt – wie eigentlich alle hier. Mal, um zu fischen, mal, um Touristen rauszufahren, mal einfach nur so zum Spaß.

Heute ist er mit seinem Freund auf dem Meer, den alle nur Captain Blue nennen. Die beiden segeln zu der Stelle, wo der Hafen entstehen soll. Die Wasserwege zwischen Lamu und den Nachbarinseln sind teils sehr eng. Es geht an dichten Mangrovenwäldern in Ufernähe vorbei. Dann aber tut sich vor dem Segelboot der weite Ozean auf. Nur links ist noch das Festland zu sehen – mit einer Anlegestelle.

"Das ist ein Marinecamp. Und ganz in der Nähe wollen sie jetzt den Hafen bauen."

Die Öltanker sollen am Festland beladen werden und dann Kurs Richtung Asien nehmen – vorbei an Lamu und den dazu gehörenden Nachbarinseln.

"Die Route verläuft zwischen Pate und Manda. Genau in der Mitte. Da haben wir besonders tiefes Wasser."

Bis jetzt ist alles hier noch so gut wie unberührt. Das Wasser ist klar und sauber und voller Fische. Nicht weit vom Segelboot entfernt springen Delfine übermütig aus dem Wasser.

"Delphine sind unsere Freunde", sagt Captain Blue. "Du kannst mit ihnen sogar schwimmen."

Die Öltanker würden diese Idylle verändern. Statt Delphine haben sie eher Haie im Schlepptau, die darauf lauern, dass Abfälle über Bord geschmissen werden.

"Im Moment ist alles noch sehr schön", meint Swaleh. "Das Grün am Ufer, die Strände mit dem weißen Sand."

Politiker, die pro Hafen argumentieren, sagen meist, dass er Arbeitsplätze bringt. Für junge Männer wie Swaleh und Captain Blue. Doch davon sind die beiden nicht überzeugt.

"Ich kann nicht schreiben", sagt Captain Blue. "Lesen aber schon. Ich glaube nicht, dass wir im Hafen beschäftigt werden. Da werden die Leute vom Festland Jobs bekommen."

Swaleh und Captain Blue machen sich Sorgen. Dass die Touristen wegbleiben, wenn der Hafen da ist und dass sie dann weniger mit Segelausflügen verdienen können. Und dass nicht mehr sofort die Fische beißen, sobald sie ihre Angel auswerfen. Sie würden gern ein paar Fragen von der Regierung beantwortet bekommen. Zur Zukunft von Lamu. Doch die Planer hüllen sich in Schweigen.

In Kenias Hauptstadt Nairobi haben sich Hafengegner versammelt. Bürgerinitiativen, die den Bau verhindern wollen, bevor die ersten Bagger anrücken und Tatsachen schaffen. Alle hier fühlen sich schlecht informiert.

"Ich bin hier, um mich gegen den Hafenbau auszusprechen", sagt Swaleh Adinani, der am Festland gegenüber von Lamu wohnt. "Vielleicht wäre ich ja gar nicht mal 100 Prozent dagegen. Es geht auch darum, wie die Regierung uns behandelt. Niemand sagt uns etwas. Niemand holt uns zu Gesprächen dazu, wenn es um den Hafen geht."

Es ist noch nicht mal offiziell bekannt, wann die Bauarbeiten beginnen sollen. Die Bürgerinitiativen hier wissen nur: Mit der Unabhängigkeit des Südsudans rückt der Termin näher. Bisher wurden die reichen Ölvorkommen dieses Landes über den Norden exportiert. Der Südsudan will sich jetzt aus dieser Abhängigkeit befreien. Stattdessen soll eine Pipeline bis nach Kenia gelegt werden – direkt zum neuen Hafen.

"Es geht ja nicht darum, dass wir in Kenia einen Hafen brauchen. Es ist doch so: Kenia hat dem Südsudan geholfen, unabhängig zu werden. Wir haben die Regierung immer unterstützt. Aber das vergilt sie uns nun schlecht. Ich weiß nicht, warum sie den Hafen unbedingt hier bauen muss."

Etwa 10 Milliarden Euro soll das Projekt kosten - als Geldgeber sind die Chinesen im Gespräch. Sie sollen angeblich auch die Pipeline bauen. China ist der Hauptabnehmer sudanesischen Öls und würde die Investitionskosten wohl bald wieder raus haben.

"China sieht nur den eigenen Nutzen", sagt der Vorsitzende der Anti-Hafen-Initiative, Mohammed Ali Badi. "Das Land wächst wirtschaftlich sehr stark und hat darum einen großen Hunger nach Energie. Und natürlich auch nach Rohstoffen. Das alles findet China billig in der Dritten Welt. So wollen sie jetzt eben auch Energie aus dem Südsudan beziehen – das ist ihr Ziel."

Andere Länder wollen sich nicht den Rang ablaufen lassen und haben auch schon Interesse gezeigt, sich an dem Hafenprojekt zu beteiligen. Japan beispielsweise erstellte eine Machbarkeitsstudie für die kenianische Regierung. Das Konzept sieht außer einer Pipeline auch eine Bahnstrecke bis zum Hafen vor. Außerdem soll in unmittelbarer Nähe auf dem Festland ein Internationaler Flughafen gebaut werden. Hafengegner Swaleh Adinani sieht auch hier große Gefahren für die Umwelt:

"Wenn die Bahnstrecke und die Pipeline direkt durch den Wald auf dem Festland führen und dann sogar noch der Flughafen entsteht – wie sollen dann beispielsweise die vielen Honigbienen dort überleben? Es wird keinen Honig mehr geben, wegen der ganzen Umweltverschmutzung durch die Bahnstrecke, die Raffinerien und so weiter."

China würde durch den Hafen gute Geschäfte machen. Die Lebensgrundlage der Landwirte und Fischer in der Region wäre dagegen bedroht. Die Gegner des Baus fürchten außerdem, dass Lamu nicht mehr lange so einzigartig wie jetzt bleiben würde. Gemunkelt wird, es könnte sogar eine Brücke vom Festland bis zur Insel geben. Mit ihr kämen dann wohl auch die Autos. Lamu würde in die Zukunft geschleudert und der besondere Charme ginge verloren, meint Swaleh Adinani.

"Wir sprechen jetzt noch meist Kisuaheli. Wir haben unsere eigenen Traditionen – wunderbare Traditionen. Darum hat die UNESCO Lamu ja auch zum Weltkulturerbe erklärt. Aber wenn die großen Tanker kommen, werden mit ihnen auch die Schiffsbesatzungen da sein, mit ihren dicken Taschen voller Geld. Sie werden die Kultur auf Lamu völlig verändern. Denn bis jetzt sind wir eher arme Leute."

Arme Leute mit einem reichen Kulturschatz. Die Befürworter des Hafens sagen, dass die Traditionen trotzdem erhalten bleiben können. Das Weltkulturerbe sei nicht in Gefahr.

Der Mann, der über dieses Erbe wacht, hat sein Büro im alten Fort auf Lamu. Salim Bunu ist der Museumsdirektor der Insel und damit ein Mitarbeiter der Regierung. Die Pläne für den Hafen scheinen ihn mit Sorge zu erfüllen, aber Kritik an dem Bau muss er diplomatisch verpacken.

"Das ist ein Projekt der Regierung. Und wir arbeiten für dieselbe Regierung. Also sind wir nicht gegen den Hafen, weil wir glauben, dass er Entwicklung bringen wird. Und wir sind keine Feinde von Entwicklung. Aber wir haben unsere Bedenken."

Salim Bunu fürchtet, dass bei allen Machbarkeitsstudien und Finanzierungsdiskussionen etwas vergessen wird. Er wünscht sich eine Art kulturelle Bestandsaufnahme. Um festzuhalten, wie Lamu jetzt ist - und so besser darauf achten zu können, dass nichts Wesentliches zerstört wird.

"Überall hier an der Küste haben schließlich schon vor langer Zeit Menschen gelebt – vor 200, 300 oder sogar 500 Jahren. Wir haben darum gebeten, dass eine Bewertung ihrer kulturellen Hinterlassenschaft vorgenommen wird. Dazu gehören auch archäologische Arbeiten. Wenn wir eine Dokumentation über alles haben, können die Pläne weitergeführt werden."

Von der Regierung gibt es aber noch keine Signale, ob sie sich darauf einlassen will. Überhaupt ist kaum jemand bereit, sich zu dem Projekt zu äußern. Einer der wenigen Politiker, die aus der Deckung kommen, ist Gideon Mungaro.

Der 45-Jährige ist Parlamentsabgeordneter für die Küstenregion und gehört zum engen Zirkel um den kenianischen Ministerpräsidenten Raila Odinga. Ein aufstrebender Mann, der zwischen zig Orten hin- und herjettet und viel Zeit mit Hintergrundgesprächen in Hotels verbringt. Er sieht vor allem die Vorteile des Bauprojekts.

"Der Hafen auf Lamu wird Kenia voranbringen. Wir haben im Regierungshaushalt jetzt schon die Ausgaben eingeplant, die nötig sind, um den Anschluss nach Äthiopien und in den Südsudan zu schaffen. Auch der Bahnhof und die Straße sind einkalkuliert."
Und für das, was noch fehlt, können dann ja die Chinesen einspringen. Einen genauen Termin für den Baubeginn kann auch Gideon Mungaro nicht nennen. Aber er geht davon aus, dass ein erster Teil des Hafens schon in ein paar Jahren in Betrieb genommen werden kann.

"Es gibt kein Zurück mehr. Es müssen nur noch wenige Dinge geklärt werden, bevor das Projekt endgültig startet."

Für den Politiker zählt vor allem die Wirtschaft. Das Leben auf Lamu sieht er nicht dadurch beeinträchtigt, dass vor der Insel dann dicke Öltanker hin- und herschippern.

"Das wird auf Lamu als Insel keine Auswirkungen haben. Für die Menschen hier bringt es nur geschäftliche Vorteile. Die Kultur wird nicht zerstört. Es werden auch nicht plötzlich Autos auf der Insel fahren. Die kommen nur bis zum Hafen."

Bis jetzt fehlen auf Lamu sowieso noch die Straßen. Einzig der Weg am Hafen für die Segelboote ist ein wenig breiter und sogar gepflastert. "Highway" nennen ihn die Einheimischen deswegen, als wenn es sich um eine vierspurige Schnellstraße handeln würde. Aber auch hier schieben sich bisher nur Esel mit ihren Karren entlang.

"Der Highway ist noch ganz neu", sagt Swaleh Abdallah. "Ein Politiker hat ihn bezahlt, der hier gerne Gouverneur werden möchte. Die Leute freuen sich über die Straße. Sie haben das Gefühl, dass Lamu jetzt moderner wird."

Eine Straße mit Pflastersteinen – das ist auf Lamu bisher der Fortschritt. Das Tempo ist hier eben etwas langsamer. Zumindest bis jetzt noch.