Vom Umgang mit dem politischen Weltspektakel

Tod und Spiel

Zwei Menschenmengen halten Plakate mit "Likes" und "Dislikes".
Zwei Menschenmengen halten Plakate mit "Likes" und "Dislikes". © imago stock & people
Florian Goldberg · 20.05.2018
Trump versetzt die Welt in einen permanenten Spektakelzustand. Florian Goldberg findet, wir sollten uns nicht provozieren und polarisieren lassen – sondern uns vom inneren Herdentrieb befreien und auf uns Selbst besinnen.
Seit dem Amtsantritt des Herrn Trump befindet sich die Welt in einem permanenten Spektakelzustand. Keine Woche vergeht, ohne dass sich die erstaunte Öffentlichkeit auf die ein oder andere Weise mit den Folgen seiner kaum berechenbaren Lebensäußerungen auseinandersetzen müsste.
Ein jüngstes Beispiel, das gerade Berichte über Porno-Aktricen, dubiose Geldflüsse und dergleichen in den Hintergrund drängt: Die Verlegung der amerikanischen Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem.

Erwartungsgemäße Empörung und Protest

Erwartungsgemäß empören sich die Palästinenser, erwartungsgemäß eskalieren die Proteste, erwartungsgemäß werden schlecht bewaffnete junge Hitzköpfe von gut bewaffneten jungen Hitzköpfen in Nahaufnahme erschossen.
70 km weiter treten derweil bei der Botschaftseröffnung zwei amerikanische Prediger auf, die laut Zeitungsberichten aus einem sehr speziellen Grund pro-israelisch sind: Sie glauben, die Rückkehr der Juden ins Heilige Land werde die biblische Prophezeiung von der Wiederkunft Christi auslösen. Was bekehrungsunwillige Juden dann leider in die ewige Verdammnis führe.
Ein Irrsinn! Doch Bibi freut sich. Und Trump triumphiert. Und am Zaun kriegen Palästinenser eine Kugel in den Kopf und junge Israelis ihr Trauma weg.
Und wofür?

"Dieser da, den du außer sich vor Raserei die zerschossene Mauer hochklettern und sich so zur Zielscheibe /…/ machen siehst, und jener andere, /…/ entkräftet, doch wild entschlossen, lieber zu krepieren, als ihm das Tor zu öffnen - glaubst du denn, sie täten es um ihretwillen? Allenfalls für einen, den sie noch nie gesehen haben, und den /…/ ihr Los nicht im geringsten kümmert!"

Wenn der Herdentrieb zur Katastrophe führt

Zeilen nicht von letzter Woche, sondern von Michel de Montaigne, verfasst um 1580, zur Zeit der Glaubenskriege. Sehr genau registriert er, wie die Demagogen seiner Zeit die Bevölkerungsgruppen für ihre Zwecke aufhetzen und polarisieren. Vor allem aber beschäftigt ihn, wie selten Menschen ein Gefühl und Verständnis für sich als einzelne entwickeln. Meistens funktionieren sie als steuerbares Kollektiv. Was im Frieden kaum auffällt, führt in Krisenzeiten zur Katastrophe. Montaigne folgert:
"Vom Herdentrieb in unserem Inneren müssen wir uns abkehren, zukehren aber dem eigenen Selbst, um es wieder in Besitz zu nehmen."
Dieser Landnahme der Seele widmet Montaigne im Selbst-Versuch sein Leben. Während um ihn her die Welt sich zerfleischt, vertieft sich mit wachsender Urteilskraft die Abneigung gegen jede Form der Grausamkeit, Gewalt und Intoleranz.

Menschenrechtler geben die Hoffnung auf Verständigung nicht auf

Im Stillen wirkt sein Geist bis heute fort. Wenn man so will, bis in israelisch-palästinensische Menschenrechtsgruppen. Auf beiden wie vereinten Seiten ringt eine Vielzahl privater Initiativen um Verständigung. Gegen den Vorwurf des Verrats eines weit nach rechts gerückten Mainstreams. Permanenter Gewaltandrohung zum Trotz. Sollte sich im Nahen Osten jemals etwas ändern, dann durch sie. Breaking the Silence, Women Wage Peace, Combattants for Peace - die Liste ist lang, man sollte sie kennen.
Ihr Beispiel zeigt wie man sich davor hütet, dem Spektakel zu verfallen, auch unserem, hier vor Ort, und sich dabei Herz und Verstand vergiften zu lassen. Es gibt genügend Kräfte, die ein düsteres Interesse daran haben, unsere Gesellschaft zu spalten.

Innere Freiheit ist die Voraussetzung für Frieden

Frieden und politische Freiheit stehen immer auf fragilem Grund. Wir haben eine gute Chance, sie über die vergangenen 73 Jahre hinaus zu bewahren. Voraussetzung aber bleibt die Arbeit der einzelnen an sich selbst, die Einübung der persönlichen, inneren Freiheit.
Viel zu tun. Das Selbst ist kein Selfie.
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