Vom "Sturmgeschütz" zur "Spritzpistole"

Von Michael Meyer · 04.01.2007
Mit Enthüllungen zur Flick-Affäre, dem öffentlich gemachten Skandal um die Neue Heimat oder die aufgedeckte Abhöraffäre um Ministerpräsident Uwe Barschel schrieb der "Spiegel" Pressegeschichte. Allerdings ist vom linken politischen Magazin früherer Tage nicht mehr viel übrig geblieben.
" Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande, denn meine Damen und Herren, wenn von einem Blatt, (...) systematisch, um Geld zu verdienen, Landesverrat betrieben wird ... (Tumulte) "

Diese Rede hielt Bundeskanzler Adenauer am 7. November 1962 im Bundestag: Der "Spiegel", der bereits seit Jahren wenig schmeichelhaftes über Adenauer und seinen Verteidigungsminister Strauß publiziert hatte, befand sich mit seiner Titelgeschichte über das NATO-Manöver "Fallex 62" urplötzlich in der Schusslinie von Polizei und Justiz.

Die damalige Bundesregierung reagierte in Gestalt von Franz Josef Strauß mit aller Härte: Als die Polizei in der Nacht zum 27. Oktober 1962 weder den Herausgeber Rudolf Augstein noch Redakteur Conrad Ahlers in Hamburg antraf, organisierte Strauß per Telefon die Verhaftung von Ahlers in seinem spanischen Urlaubsort Torremolinos. Auch Augstein wurde für kurze Zeit inhaftiert.

Die so genannte "Spiegel"-Affäre" ließ die Republik reifen: Die Pressefreiheit erwies sich als stabil und die Ära Adenauer war durch den Rücktritt von Strauß ihrem Ende ein weiteres Stück näher gerückt, wenige Monate später sollte auch Adenauer selbst abtreten.

Es sollte den "Spiegel"-Redakteuren in den Jahren danach noch einige Male gelingen, die Republik in ihren Grundfesten zu erschüttern: "Spiegel"-Enthüllungen zur Flick-Affäre warfen Anfang der achtziger Jahre ein bezeichnendes Licht auf die Verfilzungen in der bundesdeutschen Wirtschaft und Politik, und auch der Skandal um die Neue Heimat 1982, den der " Spiegel" aufdeckte, entlarvte Gewerkschaftsführer als korrupte Machtelite.

1987 gelang es dem Nachrichtenmagazin ein letztes Mal, bundesdeutsche Geschichte zu schreiben: Die Abhöraffäre um den Ministerpräsidenten Uwe Barschel gegen seinen Konkurrenten Björn Engholm führte zum Freitod von Barschel und zum späteren Rücktritt von Engholm.

Seit der Wiedervereinigung gelang es dem " Spiegel" kaum noch, einen wirklich großen Coup zu landen. Zusehends verliert sich das Hamburger Magazin in Beliebigkeit – was 2005 auch die Augstein-Tochter Franziska in einer Rede monierte und mit der sie hausintern für viele Diskussionen sorgte. Nicht zuletzt werden dem seit 1994 amtierenden "SPIEGEL"-Chefredakteur Stefan Aust politische und thematische Profillosigkeit und eine Neigung zu neoliberalen Positionen vorgeworfen.

Vom linken politischen Magazin früherer Tage ist nicht mehr viel übrig – es ist sozusagen vom "Sturmgeschütz der Demokratie" zur "Spritzpistole der Angela Merkel" geworden, wie es ein Kritiker auf den Punkt brachte.

Das Gespräch zum Thema mit Jürgen Leinemann, langjähriger "Spiegel"-Autor, können Sie für begrenzte Zeit in unserem Audio-on-Demand-Player hören.
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