Vom Komponisten zum gefeierten Dirigenten

Von Michael Stegemann · 27.07.2012
Igor Markevitch, am 27. Juli 1912 in Kiew geboren, gilt als einer der großen Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Dabei hätte es auch anders kommen können: Er hatte seine Karriere als Komponist begonnen und galt als ein zweiter Igor Strawinsky, bevor er mit 30 das Notenpapier gegen den Taktstock tauschte.
Igor Markevitch war noch keine 17 Jahre alt, als er am 15. Juli 1929 in London mit seinem Klavierkonzert seinen ersten Triumph als Komponist und Pianist feierte.

"Mit ihm hat unzweifelhaft die Geburtsstunde einer neuen Generation geschlagen, die sich gegen den allgemeinen Verfall der musikalischen Sitten erheben kann”,

jubelte sein Mentor Sergej Diaghilew, der legendäre Impresario der "Ballets russes”. Die rund 30 Kompositionen von Igor Markevitch sind tatsächlich Meisterwerke, die von Béla Bartók ebenso bewundert wurden wie von Olivier Messiaen oder Igor Strawinsky. Das Ballett Rébus zum Beispiel brachte ihm 1931 den Spitznamen "Igor der Zweite” ein; es war auch das Werk, mit dem Markevitch sein Debüt als Dirigent gab.

Igor Markevitch wurde am 27. Juli 1912 in Kiew als Spross einer angesehenen Musiker-Dynastie geboren. 1914 übersiedelt die Familie erst nach Paris, dann in die Schweiz. Von 1926 bis 1928 studiert er an der Pariser École Normale de Musique – Klavier bei Alfred Cortot und Komposition bei Nadia Boulanger – und gehört bald zum Kern der Avantgarde.

Seit 1940 lebt Igor Markevitch in Florenz, wo er 1942 in eine tiefe Lebens- und Gesundheitskrise fällt und beschließt, die Karriere des Komponisten gegen die eines Dirigenten zu vertauschen. Warum?

""Ich kann Ihnen darauf mehrere Antworten geben. Die erste ist: in unserer Zeit geht das Leben so schnell, dass man leicht innerhalb einer menschlichen Existenz mehrere Leben führen kann. Mein erster Lebensabschnitt als Komponist, den ich mit 13 Jahren begonnen habe, war 1942 beendet, und war im Grunde ein vollständiges Leben mit einem kompositorischen Œuvre, das so komplett ist, dass viele berühmte Komponisten nicht mehr geschrieben haben.”"

Die zweite Antwort ist, dass er sich als Dirigent unabhängiger von Mäzenen und Aufträgen fühlt. Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt also das Zweite Leben des Igor Markevitch – das des Dirigenten. Schwerpunkte seines Repertoires sind französische und russische Musik – Berlioz, Debussy und Ravel, Mussorgsky, Tschaikowsky, Strawinsky und Schostakowitsch –, aber auch Rossini, Schubert, Beethoven und Haydn.

Markevitch steht am Pult aller großen Orchester der Welt, unterrichtet am Salzburger Mozarteum und am Moskauer Konservatorium und nimmt zahllose Schallplatten auf, von denen viele bis heute als Referenz-Aufnahmen gelten. Seine eigenen Werke setzt er allerdings fast nie auf's Programm: Das sollen andere tun, meint er bescheiden. Sein Dirigier-Stil kommt ohne große Gesten aus, er ist – so ein Kritiker – "sensibel, aber nicht sentimental, elegant, doch nicht pathetisch”. In den der 1970er-Jahren zeichnet sich eine allmähliche Ertaubung ab, sodass er nur noch selten dirigiert und sich stattdessen einer "enzyklopädischen Neuausgabe” der neun Beethoven-Symphonien widmet – ein Meilenstein der praktischen Musikforschung. Am 7. März 1983 starb Igor Markevitch – eine der faszinierendsten und vielseitigsten Musiker-Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts – in Antibes an der Côte d'Azur an den Folgen eines Herzinfarkts.

"Ein wahrer Künstler arbeitet nicht, um bewundert zu werden, sondern damit man ihm glaubt.”