Vom Kampf gegen das Vergessen

06.07.2012
1,2 Millionen Demenzkranke leben aktuell in Deutschland. 200.000 Neuerkrankungen kommen jährlich dazu. Die Diagnose Demenz löst Angst und Verunsicherung bei Patienten und ihren Angehörigen aus. Zwei neue, praxisorientierte Ratgeber geben Tipps zum Umgang mit der Krankheit.
Alzheimer und Demenz sind Diagnosen, die wie ein Damoklesschwert über der immer älter werdenden Gesellschaft hängen. Denn je älter man wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, an einer Demenz zu erkranken. Ab Mitte 60 mit jedem Lebensjahr um ein Prozent. So klar die Faktenlage ist, so schwer ist das Leben mit diesen Erkrankungen. Beide bedeuten den Verlust der geistigen Fähigkeiten und lösen dementsprechend große Ängste aus. Auch deswegen gibt es schon eine ganze Bandbreite von Sachbüchern zum Thema: Jetzt sind zwei neue, praxisorientierte Gesundheitsratgeber erschienen.

"Alzheimer.Erkennen. Verstehen. Begleiten" heißt der eine. Geschrieben hat ihn Bernard Croisile, der die Neurologische Klinik in Lyon leitet. Der andere wurde vom Präsidenten der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde, von Frank Schneider verfasst und heißt: "Demenz. Der Ratgeber für Patienten und Angehörige".

Fachlich kann man beide Autoren als ebenbürtig bezeichnen. Von der Diagnose, ersten Anzeichen, Betreuungsmöglichkeiten, Therapien und Sozialleistungen vermitteln sie einen fundierten Überblick. Beide beschäftigen sich neben den vielen verschiedenen Formen der Demenz allerdings unabhängig vom Titel hauptsächlich mit der Erkrankung "Alzheimer" – das macht Sinn, denn fast zwei Drittel aller Demenz-Patienten sind davon betroffen.

Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen beiden Büchern. Empathie und Mitgefühl für die Situation von Kranken und ihren Angehörigen findet sich nur in "Demenz". Hier spricht der Autor Zweifel und Ängste behutsam an, illustriert anhand zahlreicher Fallbeispiele wie unterschiedlich Probleme im Alltag sein können und öffnet den Blick auch für kleine Hilfen außerhalb der klassischen Schulmedizin. Massagen, Aromatherapie oder die osteuropäische Betreuerin, die oft illegal im Haushalt hilft, sind ebenso Thema wie Medikamente, Pflegestufen und Heimunterbringung. Dieser Ratgeber geht realistisch mit den Begebenheiten um, zeigt dass das Leben mit Demenzkranken nicht nur klinische Organisation der Versorgung benötigt, sondern auch Zuwendung und Menschlichkeit.

Der Ratgeber des Franzosen Croisile dagegen ist gnadenlosen direkt und von einem Pragmatismus geprägt, der nur abgeklärten Lesern zu empfehlen ist. Ein wenig erinnert das Buch an ein Lehrbuch. Dem Autor geht es um Information. Man bekommt alle harten Fakten vorlegt. "Eine sichere Diagnose der Alzheimer-Krankheit beruht auf der Untersuchung des Gehirns mit dem Mikroskop, nachdem der Patient gestorben ist", lautet so zum Beispiel der erste Satz im Kapitel "Wie sicher ist eine Alzheimer-Diagnose". Einfühlungsvermögen? Fehlanzeige! Ähnlich direkt heißt es, Patienten, die in ein Pflegeheim kommen, sollten in den ersten Wochen nicht besucht werden.

Wer seinen Alltag mit einem Alzheimerkranken organisieren muss, findet generalstabsmäßig alle wichtigen Informationen. Das ist praktisch, schön ist es nicht. Denn den Schrecken den Alzheimer oder eine andere Demenzdiagnose hinterlässt, ist mit reinem Pragmatismus nicht aufzufangen. Die Verunsicherung und Angst, die die Krankheit sowohl bei Patienten als auch ihren Angehörigen hinterlässt, braucht auch freundliche zugewandte Worte, die sagen, es gibt Hilfe und du bist nicht allein.

Frank Schneider schafft genau das in seinem Buch "Demenz" mit vielen kurzen Fallbeispielen zu vermittelt. Ihm gelingt es, neben den vielen wichtigen Informationen eben auch einen Blick auf das Menschliche zu richten. So zeigen die Berichte über Eva P. , 64-jährig und Rentnerin, deren Orientierungsvermögen nachlässt oder über Anton F., der 63-Jährige, plötzlich aggressiv und zurückgezogen ohne Interesse am Familienleben dasteht, persönlich und authentisch, was Alzheimer für den Einzelnen bedeutet. Einzelfälle, die es Millionenfach in Deutschland gibt. 1,2 Millionen Demenzkranke leben aktuell in Deutschland, jedes Jahr kommen 200.000 Neuerkrankungen dazu. Frank Schneider gibt ihnen eine Stimme.

Besprochen von Von Susanne Nessler

Bernard Croisile: Alzheimer. Erkennen - Verstehen - Begleiten
Aaus dem Französischen von Jürgen Schröder
Primus Verlag, Darmstadt 2012
176 Seiten, 16,90 EUR

Frank Schneider: Demenz. Der Ratgeber für Patienten und Angehörige. Verstehen. Therapieren. Begleiten.
Herbig Verlag, 2012
184 Seiten. 16,99 Euro
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