Vom Kampf für Menschenwürde und Transparenz

Von Bernd Sobolla · 11.06.2012
Der chinesische Künstler Ai Weiwei ist mit Werken weltweit bekannt geworden, die manchmal subtil, oft aber auch ganz gezielt politische und gesellschaftliche Missstände anprangern. Die amerikanische Regisseurin Alison Klayman begleitete ihn für das Porträt "Never Sorry" drei Jahre lang mit der Kamera.
Der Film beginnt 2008 mit Ai Weiweis Recherchen über das Erdbeben in der Provinz Sichuan, wo zuvor rund 80.000 Menschen starben. Viele kamen um, weil die Häuser ohne Sicherheitsstandards gebaut worden waren und wie Kartenhäuser einstürzten. Davon wollen Regierungsvertreter natürlich nichts wissen. Ein weiterer Aspekt, warum Ai Weiweis Arbeit in China unterdrückt wird. Was jenen aber nicht daran hindert, Missstände zu thematisieren. So kreiert Ai Weiwei ein Jahr später für seine Ausstellung in München die Installation "Remembering". Dazu verkleidet er die Fassade des Ausstellungsgebäudes mit 9.000 Rucksäcken. Darauf steht: "Sie lebte sieben Jahre lang glücklich auf der Erde".

"Der Satz auf dem Rucksack stammte aus einem Brief der Überlebenden des Erdbebens und der Eltern des Mädchens Yang Xiaowan. Ihre Mutter sagte: 'Wir wollen nichts anderes, außer dass man sich an unsere Tochter erinnert. Sie lebte sieben Jahre lang glücklich auf dieser Erde.'"

Richtig glücklich auf Erden war Ai Weiwei bisher nicht: Seit seiner Kindheit hat der 54-jährige Künstler mit Repressalien zu kämpfen. Auch wenn der Film darauf nur wenig eingeht: Ai Weiwei wird 1957 als Sohn des Dichters Ai Qing geboren, ein bedeutender Lyriker des modernen China, der 1958 wegen "antikommunistischer Umtriebe" Schreibverbot erhält und 20 Jahre lang in die Provinz verbannt wird. Dort verbringt auch Ai Weiwei Kindheit und Jugend. 1978 beginnt er ein Filmstudium in Peking gemeinsam mit den späteren Erfolgsregisseuren Chen Kaige und Zhang Yimou und gründet ein Jahr später die Künstlergruppe "Stars Group", die Kunst nach staatlicher Doktrin ablehnt.

1981 wandert Ai Weiwei in die USA aus, kommt dort mit Andy Warhol in Berührung, freundet sich mit Allen Ginsberg an und widmet sich der Konzeptkunst. Als sein Vater erkrankt, kehrt er 1993 nach Peking zurück. Um eine liberale chinesische Kunstszene zu unterstützen, veröffentlicht Ai Weiwei die Bücher "The black, the white und the grey cover book", die Texte und Interviews mit zeitgenössischen chinesischen Künstlern präsentieren. Drei Bücher, die heute Kultstatus genießen.

Für die Filmmacherin Alison Klayman ein wichtiger Aspekt von Ai Weiweis Arbeit:

"Er hat so viele interessante Werke geschaffen und man könnte über jedes einzelne einen Film drehen. In 'Never Sorry' habe ich mich aber etwas auf Projekte konzentriert, die mit dem Erdbeben zu tun haben. Sie vermitteln seine Sicht besonders gut, vor allem die Ereignisse in den letzten Jahren und die verschiedenen Herangehensweisen, mit denen er seine Idee von Menschenwürde, Transparenz und Individualität formuliert."

Diese Themen sind in fast allen Werken Ai Weiweis zu finden. Und fast immer strahlen sie eine große visuelle Kraft aus: So seine überdimensionale rote chinesische Laterne, die nicht von der Decke hängt, sondern gekrümmt am Boden liegt. Oder eine Weltkarte, auf der die Flächen der Länder in die Höhe schießen und den Besucher bzw. den Menschen übersteigen. Oder seine bisher größte Installation, "Sunflower Seeds" in der Londoner Tate Gallery. Dort lässt er auf dem Boden 100 Millionen Sonnenblumenkerne aus Porzellan verteilen, die die Kraft der Massen symbolisieren.

Für Ai Weiwei, der bekennender Internetfan ist, regelmäßig twittert und Blogs schreibt, ein Symbol dafür, dass viele kleine Informationen ein großes Gesamtwerk bilden können – langfristig natürlich.

"Es braucht Zeit, mehrere Generationen. Aber man braucht eine Stimme, die darüber spricht. Die nächste Generation soll nicht die gleichen Kämpfe führen müssen."

Alison Klayman hat formal ein klassisches Porträt gedreht. Sie hat mit langjährigen Wegbegleitern Ai Weiweis gesprochen, mit Künstlern, Galeristen und Autoren, aber ebenso persönliche Gespräche zwischen Ai Weiwei und seiner Mutter Gao Ying aufgezeichnet. Und auch sein dreijähriger Sohn, ein Kind, das er nicht mit seiner Frau, sondern mit "einer Freundin" hat, ergänzen das Bild des Privatmanns Ai Weiwei. In einer der beeindruckendsten Szenen des Films aber muss Ai Weiwei erleben, wie in Shanghai sein gerade gebautes Studio abgerissen wird, weil es angeblich keine Baugenehmigung dafür gibt, obgleich dieses ursprünglich von Lokalpolitikern initiiert wurde. Und ganz geschickt hat die Filmemacherin auch einen nächtlichen Polizeibesuch eingebaut.

Bilder gibt es dazu nicht - die Leinwand bleibt schwarz. Aber auf der Tonspur hat sie die Auseinandersetzung festgehalten, die damit endet, dass ein Polizist Ai Weiwei mit der Faust schlägt und seine Kleider zerreißt. "Ai Weiwei – Never Sorry" ist ein vielschichtiger Film, der weit über die Darstellung eines Dissidenten hinausgeht und ebenso das heutige China zwischen Streben nach internationaler Anerkennung und staatlicher Willkür zeigt.

Filmhomepage "Ai Weiwei - Never Sorry"

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