Vom Aussterben bedroht

08.01.2008
In der Natur sind schon immer Arten ausgestorben, andere sind neu entstanden. Der Zoologe Josef Reichholf analysiert in seinem Buch "Ende der Artenvielfalt?" die aktuellen Bedrohungen für Tiere und Pflanzen und plädiert eindringlich für stärkere Schutzbemühungen weltweit.
Der Münchner Zoologe Josef Reichholf schreibt nicht zum ersten Mal über den Artenschutz und seine bisweilen provokanten Thesen kennt man bereits aus seinen anderen Büchern. Man trifft also auf zahlreiche Wiederholungen. Zu empfehlen ist das Buch denn auch allen, die sich bislang noch nicht mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Ihnen allerdings muss man seinen knappen Überblick ausdrücklich ans Herz legen, denn er erklärt einfach, verständlich und mit vielen anschaulichen Beispielen, was es mit der bedrohten Artenvielfalt auf sich hat.

Zuerst einmal macht der Ökologe klar, dass Natur ständigen Wandel bedeutet. Der Untergang von Arten ist ein natürliches Begleitergebnis der Evolution, kein Sonderfall. Ohne ihn hätten sich viele heute vorkommende Arten gar nicht ausbreiten können. Die Vielfalt ist zudem dort am reichhaltigsten, wo es wenig zu verteilen gibt. Verkürzt formuliert: je schlechter die Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere, desto mehr spezialisieren sie sich. Es entstehen neue Arten. Der Regenwald ist dafür ein paradoxes Beispiel: Er wächst auf wenig fruchtbaren Böden. Dennoch birst er geradezu vor Vielfalt. Je fruchtbarer die Erde, desto geringer die Artenvielfalt. Einige wenige setzen sich durch und verdrängen alle anderen. Zudem fördert viel Sonne die Vielfalt, denn je größer die Strahlungsenergie, desto wahrscheinlicher kommt es zu Mutationen, zur Erbänderung. Neue Arten bilden sich.

Pflanzen und Tiere brauchen aber stets einen ihnen angemessenen Lebensraum: Je größer sie sind, desto größer muss die Fläche sein, damit sie sich erfolgreich vermehren und überleben können. Und genau hier beginnen für Josef Reichholf denn auch die Probleme. In den ausgeräumten Agrarlandschaften Europas sind die geschützten Flächen oftmals zu klein, zum anderen sind sie maßlos überdüngt. Der Stickstoffeintrag aus Landwirtschaft, Kraftwerken und Verkehr hat Naturräume, die von Natur aus mager sind, so nährstoffreich werden lassen, dass die Arten, die dort lebten, untergegangen sind. Ihre Rettung sind die nährstoffarmen Großstädte geworden, die heute - was viele überraschen dürfte - eine viel größere Artenvielfalt aufweisen als das Land.

Reichholf plädiert für größere Nationalparks und zudem für private Naturschutzgebiete, denn in denen würden Jäger und Angler reglementiert und nicht wie im deutschen Naturschutz privilegiert. Der Naturschützer ist überzeugt: Erst wenn die Menschen die Natur wieder erfahren dürfen und nicht von ihr ferngehalten werden, werden sie sie bewahren wollen. Grundsätzlich allerdings gilt: Die reichen Länder können sich Naturschutz leisten und haben ihn zum Teil auch schon erfolgreich betrieben. Man denke nur an die Wiederansiedlung von Bibern, Wölfen oder Luchsen in Deutschland.

Anders sieht die Situation in den Entwicklungsländern aus. In den Tropen zum Beispiel wird der Urwald vor allem für Futtermittelanbau oder Weideflächen für Rinder abgeholzt, die wiederum unserem wachsenden Fleischbedarf dienen. Zudem haben die Armen in vielen Entwicklungsländern so geringe Einkommen, dass sie oftmals auf den Raubbau an der Natur angewiesen sind, um überhaupt überleben zu können.

Hier nun fordert Josef Reichholf von den reichen Nationen massive finanzielle Unterstützung aller Schutzbemühungen. Schließlich profitieren sie doppelt: zum einen von der Vernichtung, sei es für Viehfutter, für Tropenholz und Rohstoffe, zum anderen von der Artenvielfalt und ihrem Genpool zu Züchtungszwecken oder für neue Medikamente. Nur wenn der Naturschutz auch den Armen nutzt, werden sie ihn beachten. So bringt zum Beispiel der Naturtourismus in Afrika den Einheimischen mehr Geld ein als die Übernutzung der Natur, werden sie diese aus Eigeninteresse schützen. Der Naturschutz wird nach Ansicht Reichholfs nur nach dem Prinzip "Gibst du mir, gebe ich dir" funktionieren.

Erforderlich ist für Josef Reichholf auch eine emotionale Wende: statt die Erhaltung der Artenvielfalt nur unter Nützlichkeitsaspekten zu sehen, müssen wir sie als Kulturleistung verstehen. Dann gibt es für sie eine Chance.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Josef H. Reichholf: Ende der Artenvielfalt? Gefährdung und Vernichtung von Biodiversität
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007
224 Seiten, 9,95 Euro